In den warmen und lärmigen Hallen im Schlachtbetrieb der Reichmuth Fleischwaren AG in Schwyz schiebt Ady Zurfluh vier Rindviehhälften in den Wägebereich. Dort mustert er die Körper von allen Seiten, von oben bis unten, greift bestimmte Partien ab und nimmt einen DNA-Abstrich. Dann tippt er ein paar Daten in den Computer ein, druckt Etiketten aus, klebt sie auf die Schlachtkörper und schiebt diese weiter in den Kühlraum – ruhig, konzentriert und routiniert. Danach das Ganze von vorn, im Minutentakt.

Vom Metzger zum Taxierer

Ady Zurfluh ist einer von mehreren Taxierern der Proviande. Er weist jeden Schlachtkörper gemäss dem CH-TAX-System (siehe Kasten) einer Kategorie zu, die letztlich den Preis bestimmt. Nach der Metzgerlehre hatte er jahrelang in einem Metzgereiindustriebetrieb gearbeitet, bevor er vor fünf Jahren zur Proviande wechselte. 

Er kommt in sieben Betrieben zum Einsatz, bei denen sich die Arbeit stark unterscheidet. In den grossen Schlachtereien beschränkt sie sich auf das reine Taxieren. Bei den kleineren kommen teils weitere Aufgaben dazu, wie das Wägen, die Wahl der Bahn für die Schlachtkörper oder Farbmessungen bei den Kälbern. Es sind kostenpflichtige Dienstleistungen, die Betriebe zusätzlich von Proviande beziehen können.

Richter bei den Schwingern

Die Situation, in kurzer Zeit Entscheide zu fällen, kennt er gut. Denn Ady Zurfluh stammt aus einer Schwingerfamilie und war nach seiner Aktivzeit rund drei Jahrzehnte Richter bei den Schwingern und Ringern. Was heute routiniert aussieht, musste er sich an seiner neuen Arbeitsstelle allerdings erst erarbeiten. «Neben dem Taxieren bestand die grösste Herausforderung darin, mich mit den verschiedenen Betriebssystemen vertraut zu machen», resümiert er. In diesem Zusammenhang lobt er die vorbildliche Proviande-interne Einarbeitung. Die Klassifizierer werden sporadisch durch Fachspezialisten kontrolliert, und alle zwei Jahre steht die Erneuerung ihrer Lizenz an. 

Lieferanten erhalten zeitnah die Resultate der Taxierung. Sie kann sowohl vom Verkäufer als auch vom Käufer angefochten werden. In der Regel ist sie unbestritten. Aber es gibt doch ab und zu Grenzfälle, bei denen die beiden Parteien uneinig sind. «Dies vor allem bei Kühen, die auf öffentlichen Märkten lebend klassiert wurden», sagt Zurfluh. «Eine Hoch- oder Niederstufung macht schnell einmal 100 bis 200 Franken pro Schlachtkörper aus.» Wenn keine Einigung zustande kommt, entscheidet am Folgetag ein Fachspezialist über die Klassierung.

Lob zu CH-Tax-System

Christian Kamer arbeitet als Viehhändler in der Zentralschweiz für die ASF Tiervermarktung AG Sursee. Er ist jeden Donnerstag dabei, wenn bei der Reichmuth AG in Schwyz geschlachtet wird, um die Taxierung der von ihm gelieferten Tiere zu verfolgen. Das sei natürlich nur in einem kleineren Betrieb möglich. «Wenn ich mit einer Einstufung nicht einverstanden bin, kann ich so direkt vor Ort mit dem Klassifizierer darüber diskutieren. CH-TAX bietet generell eine sehr gute Grundlage zur Beurteilung.» 

Dieser Ansicht ist auch Co-Juniorchef Louis Reichmuth vom Schlachtbetrieb: «Das System ist logisch aufgebaut und gut nachvollziehbar. Dass es bei der Einstufung manchmal zu Differenzen kommt, ist verständlich.» Das sei aber eher selten der Fall. Der Schlachtkörper könne jedenfalls präziser bewertet werden als das lebende Tier.


Die Zukunft der öffentlichen Märkte ist unsicher

Proviande organisiert auch die öffentlichen Märkte, mit Jahres- und Wochenmarktprogramm und Festlegung der Marktordnung. Die Organisatoren vor Ort sorgen für die Durchführung, melden Preise und Auffuhrzahlen. Gemäss Statistik sind die Zahlen recht stabil. Letztes Jahr wurden an 646 Märkten 55 271 Stück Rindvieh aufgeführt, fast gleich viele wie im Vorjahr. In der Zentralschweiz gibt es öffentliche Märkte für Grossvieh lediglich noch in Sarnen und Rothenthurm. Viele Luzerner Bauern lassen ihre Tiere nach Sarnen bringen, die Urner nach Rothenthurm. Wir haben mit Franz Philipp, Geschäftsführer der Schwyzer Viehvermarktungs AG (SViAG), über die Situation und Zukunft dieser Märkte gesprochen.[IMG 2]

Wie bedeutsam sind diese überwachten Märkte heute noch?

Franz Philipp: Für die Preisbildung und Markttransparenz sind sie sehr wichtig, da die Nachfrage nach Schlachtvieh am Markt für alle sichtbar wird. Händler, die am Markt einkaufen, schätzen die Auswahl, zudem sind die Tiere versichert, das dient bei Diskussionen dem Händler und Tierhalter. Die Tiere haben zudem einen gesicherten Absatz und müssen übernommen werden. Die Bauern schätzen auch die rasche und sichere Auszahlung, und dass es keine nachträglichen Abzüge gibt. Solche können rasch einige Hundert Franken ausmachen, wenn beispielsweise Finnen am Schlachtkörper entdeckt werden. Den Abzug übernimmt dann die Versicherung.

Wie sehen denn die Auffuhrzahlen konkret in Rothenthurm aus?

Letztes Jahr wurden hier 2375 Stück Grossvieh vermarktet, 65 mehr als im Vorjahr. Die Tiere stammten von 510 verschiedenen Betrieben. Der Vorführdienst der SViAG wurde für 644 Tiere in Anspruch genommen. Im Mittel wurden die Kühe der Kategorie VK 231 Franken über der Schatzung gehandelt. Rinder mit maximal vier Schaufeln lösten im Schnitt 164 Franken mehr. Insgesamt wurde für die 2375 Tiere ein stattlicher Mehrerlös erzielt, als wenn diese zur Schatzung weggegangen wären. Die Marktsituation war letztes Jahr gut, so musste auch kein Tier dem importberechtigten Handel zugewiesen werden. Auch für dieses Jahr sind die Zahlen konstant, und der Absatz ist gut.

Die Fleischimporte sind ja an Inlandleistungen gebunden, das heisst die Käufer von kontingentsberechtigten Tieren von Märkten bekommen einen Kontingentsanteil der möglichen Fleischimporte. Weil der Bund sparen muss, soll mit dem Entlastungspaket 2027 auch die Inlandleistung wegfallen. Was würde das bedeuten?

Damit würden die Importkontingente für die Käufer wegfallen und es bräuchte eine Neubeurteilung des gesamten Systems. Die öffentlichen Märkte wären gefährdet. Die Konsequenzen, wenn die wegfallen, wären weniger Transparenz, mehr Preisdruck und weniger gute Absatzchancen für abgelegene Betriebe. Die Preisbildung basiert zwar auf den Proviande-Richtpreisen, die Zahlen dafür werden jeweils wöchentlich bei Handel und den Schlachthöfen erhoben. Aber lebhafte Märkte haben sicher einen positiven Einfluss auf die Schlachtviehpreise generell.

CH-Tax bewährt seit 25 Jahren

Das CH-Tax-Klassifizierungssystem wurde in der Schweiz im Jahr 2000 eingeführt. Es gilt in gleicher Weise für Lebendvieh wie für Schlachtkörper. Differenziert nach Tierkategorie, Alter und Gewicht veröffentlicht Proviande wöchentlich einen Basispreis, der sich aus Angebot und Nachfrage ergibt. Preisbestimmend für das geschlachtete Tier ist letztlich die Einstufung gemäss CH-TAX – jeder der fünf Grossbuchstaben steht für eine Klasse der Fleischigkeit (Fleischausbeute im Verhältnis zu den Knochen). Der Basispreis bezieht sich auf eine mittlere Fleischigkeit (T), für eine bessere Ausbeute (Klassen H und C) gibt es Zuschläge, für eine schlechtere (A und X) Abzüge. Zweites Beurteilungskriterium ist die Fettabdeckung, ebenfalls in fünf Abstufungen. Idealerweise liegt sie bei 8 bis 10 Prozent (Stufe 3), Abweichungen nach unten und oben sind wertmindernd.

Nur wenige Beanstandungen
Stefan Muster leitet bei Proviande den Geschäftsbereich Klassifizierung und Märkte. In diesem Ressort sind 49 Personen in Teil- oder Vollzeitpensen beschäftigt. Für Betriebe ab 1200 Schlachteinheiten ist die Klassifizierung obligatorisch und kostenlos. In der ganzen Schweiz decken die Mitarbeiter 19 Schlachtbetriebe sowie die öffentlichen Märkte ab. Im vergangenen Jahr taxierte Proviande die Schlachtkörper von 495 000 Stück Grossvieh, Kälbern und Schafen. «Wir hatten 3861 Beanstandungen gegen Taxierungen zu bearbeiten», sagt Muster auf Anfrage. «Im Vorjahr waren es noch 5046. Sie stammen im Allgemeinen eher von der Verkäuferseite. Wenn die erste Einstufung korrigiert wird, ist die Beanstandung kostenlos, andernfalls erheben wir eine Gebühr von 25 Franken.»

Automatische Taxierung
Die technische Entwicklung macht auch im Bereich der Schlachtkörpertaxierung nicht halt. So ist seit 2022 im Schlachthaus St. Gallen ein automatisches Klassifizierungsgerät im Einsatz. Vorgängige Tests hatten ergeben, dass es die Anforderungen für den Schweizer Markt weitgehend erfüllt. Abweichungen entstanden vor allem bei Schlachtkörpern ausserhalb der Norm und bei der Beurteilung der Fettabdeckung. Deshalb kommt es nur unter Überwachung eines Klassifizierers zum Einsatz. Das Gerät einer dänischen Firma besteht aus acht Türmen mit insgesamt 40 Kameras, die jede Schlachtkörperhälfte integral erfassen. Aus den Bildern wird ein 3D-Modell erzeugt, das mit der hinterlegten CH-TAX-Formel das Klassifizierungsergebnis liefert.