Michael Spycher hat im März dieses Jahres für eine kleine Sensation gesorgt: Mit seinem Gruyère AOP hat der Betreiber der Käserei Fritzenhaus bei Wasen im Emmental seinen zweiten Käse-Weltmeistertitel errungen. Sein Gruyère AOP hat sich an der WM im amerikanischen Bundesstaat Wisconsin gegen 3667 andere Käse durchgesetzt und wurde zum besten Käse der Welt gekürt. Aufgrund der Corona-Pandemie konnte Spycher aber nicht nach Übersee fliegen, um seine Trophäe persönlich abzuholen.

Der Beste wohnt in der Nähe

Spychers sensationelle Geschichte habe er in einem Magazin gelesen, sagte US-Botschafter Edward McMullen, der als ein ausgesprochener Gourmand und als Käseliebhaber gilt. Als er gesehen habe, dass die kleine Käserei im beschaulichen Emmental lediglich eine knappe Autostunde von seiner Residenz in Bern entfernt sei, habe er beschlossen, Michael Spycher einen Besuch abzustatten. So kam es, dass der amerikanische Botschafter am 9. September im Emmental auf den Schweizer Weltmeister traf.

Wichtiger Gast in Fritzenhaus

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Der Besuch des Botschafters machte Käsermeister Michael Spycher nicht sonderlich nervös, wie dieser vorab sagte. Zu Recht, wie sich zeigte: War die Stimmung beim Eintreffen des Botschafters in Fritzenhaus noch etwas angespannt, lockerte sich die Atmosphäre schlagartig, sobald der hohe Besuch in die Käserei eingetreten war. Edward McMullen zeigte sich begeistert von der Qualität der in Fritzenhaus hergestellten Käse. Interessiert liess sich der Amerikaner auf dem Rundgang durch die Produktionsstätte die einzelnen Produktionsschritte und die Unterschiede zwischen den einzelnen Käsesorten erklären. Stutzig machten ihn Spychers Ausführungen zum Produktionsrythmus und zum Produktionsvolumen. «Wie, Sie produzieren hier während sieben Tagen in der Woche? Machen Sie keine Ferien?», fragte der Botschafter anerkennend.

Der Botschafter auf Tuchfühlung

Nach der Führung durch die Käserei konnte Ehrengast Edward McMullen eine ruhige und sichere Hand unter Beweis stellen. So teilte er unter Michael Spychers Anleitung einen grossen Laib Gruyère AOP in zwei Hälften; «fast wie ein Profi», urteilte der Meister. «Gruyère ist mein Lieblingskäse», verriet Botschafter Edward «Ed» McMullen, «und das sage ich nicht nur, weil Herr Spycher solchen herstellt.» Er kenne Gruyère seit seiner Kindheit in den USA, wo man Französische Zwiebelsuppe damit überbacke, fuhr er fort. Jedes Mal, wenn er in seiner Kindheit die Schweiz mit seinen Eltern besucht habe, hätten sie viel Käse gegessen und auch mit nach Hause genommen. Umso mehr schätze er es, den besten Käse der Welt nun gleich dort zu verkosten, wo dieser hergestellt werde.

Botschafter McMullen schätzt kleine Betriebe

Der US-Botschafter zeigte sich bei seinem Besuch erstaunt darüber, dass in einer so kleinen Käserei dermassen viel Käse hergestellt werden könne. Die Käserei Fritzenhaus zeige auf, wie in einem natürlich gewachsenen Umfeld mit vergleichsweise einfacher Technik beste Resultate erzielt werden könnten. «Die kleinen, familiengeführten Betriebe hierzulande produzieren Produkte von ausgezeichneter Qualität», lobte Ed McMullen. Man schmecke die Leidenschaft der Produzenten und die Ehrlichkeit ihrer traditionellen Produkte. Das hätte man auch in Übersee festgestellt; Michael Spychers WM-Titel zeige das exemplarisch. Die Entwicklung hin zu einer stärker verankerten regionalen Produktion beginne mittlerweile auch in den USA, Fuss zu fassen. Vor vierzig Jahren habe man in Amerika vorwiegend Cheddar-Käse gegessen; seither hätten sich Angebot und Nachfrage stark verändert. Je mehr die Amerikaner in Kontakt mit Spezialitäten aus der ganzen Welt in Kontakt gekommen seien, desto stärker habe sich die Esskultur verändert. Gerade was Käse anbelange, finde man heute in ausgesuchten Supermärkten ein breites Angebot aus dem In- und Ausland.

Käse-Fan McMullen ist glücklich in der Schweiz

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Er schätze es sehr, in der Schweiz sein Amt ausführen zu dürfen, sagte Edward McMullen. Das Land gelte mit seiner jahrhundertealten Käse-Tradition eindeutig zu den «Top Spots» für Käseliebhaber. Im Vergleich zu den USA, wo oftmals ein generischer «Swiss Cheese» gegessen werde, treffe man hier auf eine Vielzahl regionaler Spezialitäten. Exemplarisch nannte der Botschafter etwa das Fondue, das hierzulande in verschiedenen Variationen hergestellt werde, während man in Amerika schlicht «Swiss Cheese» erhitze. «Diese regionale Vielfalt zeige ich unseren Gästen sehr gerne. Die sind jeweils sehr erstaunt über die hohe Dichte an ausgezeichneten Spezialitäten», sagte der Botschafter.

Schweizer Käseproduktion als Modell

Auf die Frage, was die Schweiz und die Vereinigten Staaten in Punkto Käseherstellung und Vermarktung voneinander lernen könnten, wies Botschafter Ed McMullen darauf hin, dass viele innovative amerikanische Farmer sich an der europäischen und im Besonderen an der Schweizer Käsetradition orientieren würden. So seien etwa die Regionalität und die Qualität der Inhaltsstoffe sowie die traditionellen Herstellungsverfahren entscheidende Faktoren für gute Produkte. Diese Entwicklung würden nicht zuletzt von den zahlreichen Schweizer Auswanderern ausgehen, die noch immer stark mit ihrem Ursprungsland verbunden seien.

Keine Angst vor einem offenen Markt

«In den vergangenen drei Jahren habe ich als Botschafter immer wieder versucht, die Bedenken gegenüber einem offenen Markt abzuschwächen, die viele Schweizer Bauern hegen», berichtete Edward McMullen. «Es gibt eine riesige Nachfrage nach qualitativ hochstehenden Produkten in Amerika. Gerade für Schweizer Bauern hat dieser Markt ein enormes Potenzial, denn für gute Produkte werden gute Preise bezahlt.» Die Abwehrreaktionen des Bauernstandes gegenüber einem Freihandelsabkommen seien auf den ersten Blick wohl nachvollziehbar, fuhr der Botschafter fort. Er sei sich aber sicher, dass angesichts der Grösse des amerikanischen Marktes für die Schweizer Bauern mehr zu gewinnen als zu verlieren sei. «Ein weiterer zentraler Aspekt, den ich in Punkto Freihandelsabkommen immer wieder betont habe, ist folgender: Wir unterhalten mit der Schweiz bereits ausgezeichnete Handelsbeziehungen. Wenn ein Abkommen nicht von Vorteil für die gesamte Schweiz – das schliesst die Bauern mit ein – wäre, dann würden wir nicht an der Sache arbeiten.»