Man wollte eigentlich über die Themen «Inwertsetzung der landwirtschaftlichen Gemeinleistungen» und «Wie die Landwirtschaft bessere Preise für ihre Produkte und Leistungen erzielen kann» diskutieren. Doch am Ende waren es die Vorschriften der IP-Suisse, welche die Bäuerinnen und Bauern an der Podiumsdiskussion der Berner Landwirtschaft vom Freitag, 10. Januar in Münsingen am meisten beschäftigten. Auch, dass der Detailhandel und der Konsument nicht bereit sind, mehr für Tierwohl und integrierte Produktion zu bezahlen, stösst den Bauern an der Podiumsdiskussion, welche von der Radio-SRF-Redaktorin Sonja Hasler moderiert wurde, sauer auf. Es ist nicht einfach, die Veranstaltung in einem Lauftext zusammenzufassen. Wir präsentieren Ihnen deshalb hier ein paar Statements von den Beteiligten.
Auf Vorteile hinweisen
Andreas Stalder, Präsident IP-Suisse: Alle haben eine andere Vorstellung davon, was ein Mehrwert ist. Der Konsument geht davon aus, dass dies mit den Direktzahlungen abgegolten ist, der Landwirt ist der Überzeugung, dass er mit seiner Produktionsweise auf dem Markt seine Preise erzielt. Erfreulicherweise herrscht immer noch ein grosses Interesse an IP-Suisse-Produkten. Als Branche müssen wir auf unsere Vorteile aufmerksam machen, der Detailhandel wird es nicht für uns tun. Dies fängt schon bei einem geschickten Marketing an. Es ist nicht immer einfach, seine Forderungen beim Handel durchbringen zu können. IP-Suisse ist aber immer noch eine Marke der Bauern und nicht der Migros, das ist ein grosser Vorteil für uns. Was ich beobachte, ist, dass der Konsument sensibler geworden ist, so muss die Landwirtschaft auch in den Umweltfragen ein Teil der Lösung sein.
Finanzielle Folgen
Urs Haslebacher, Landwirt und Schweineproduzent: Dauernde Gesetzesänderungen machen es für die Landwirtschaft nicht einfach, langfristig planen zu können. Wer in ein neues Label einsteigt und dafür bauliche Massnahmen auf dem Betrieb vornehmen muss, ist auf langfristige Verträge der Abnehmer angewiesen. Ändern diese plötzlich die Spielregeln, kann dies für den Landwirt massive finanzielle Folgen haben. Tierfreundliche Ställe sind beim Konsumenten nicht mehr das Wichtigste, sondern nur der Preis – das macht mir Sorgen. IP-Suisse will die Vorschriften für die Produzenten leider noch ausbauen statt abbauen. Der Konsument sieht gar nicht, wie viel Arbeit hinter einem Produkt steckt, er kauft lieber billiges Fleisch aus Argentinien. Auch im Pflanzenschutz haben wir in der Schweiz immer weniger Mittel zur Verfügung. Obwohl hier die inländische Produktion von Jahr zu Jahr abnimmt, steigen die Preise nicht entsprechend, die fehlenden Nahrungsmittel werden einfach importiert. Das beste Beispiel ist bei Bio. Obwohl im Ausland nicht die gleichen Standards gelten, wird importierte Ware gleichgesetzt mit einheimischen Bioprodukten. Mir geht es finanziell gut, doch 40 % der Bauern machen rückwärts. Viele können nicht mehr investieren, leben vom Kapitalverzehr.
«Wir verlangen höhere Preise und mehr Wertschätzung.»
Jürg Iseli, Präsident des Berner Bauernverbands am Podium der Berner Landwirtschaft.
Langfristig denken
Reto Sopranetti, Geschäftsleiter Genossenschaft Migros Aare: Die Migros glaubt immer noch an die Nachhaltigkeit, doch auch wir sind dem Markt ausgesetzt. Der Konsument entscheidet, was er kauft und was nicht. Der Hype, während Corona nur Bio- und Labelprodukte zu kaufen, ist heute nicht mehr so gross. Die Migros denkt langfristig, der Konsument ist preissensibler geworden, darum werden wir in Zukunft die Billiglinie ausbauen. Bei den Labels will der Konsument einen Mehrwert sehen – analog der Wiesenmilch. Doch auch die Labels dürfen einen gewissen Preis nicht übersteigen, sonst werden sie nicht mehr gekauft.
Die Branche ausbluten lassen
Beat Gerber, Bioproduzent und Vizepräsident Bio Bern: Schlussendlich sitzen wir alle im gleichen Boot. Was mich immer ärgert, ist, dass am Sonntag das Stimmvolk abstimmt und am nächsten Tag schon wieder ganz anders einkauft – immer möglichst billig. Die Landwirtschaft macht für die gesamte Gesellschaft viel Gratisarbeit, wie das Ausmähen von Wanderwegen. Für solche Leistungen bekommen wir keinen Mehrwert. Es kommt mir manchmal vor, als ob man unsere Branche ausbluten lässt, denn vielfach können die Bauern ihr Einkommen nicht mehr nur aus der Landwirtschaft erzielen.
Jeden Franken umdrehen
Babette Sigg Frank, Präsidentin Konsumentenforum: Den Konsumenten ist es überhaupt nicht bewusst, was für eine Riesenarbeit hinter der Lebensmittelproduktion steckt. Viele Familien müssen aber jeden Franken umdrehen, darum kaufen sich Bioprodukte nur Leute, die es sich leisten können. Ihr müsst mit euren Produkten in die Städte kommen, am Abend fährt niemand zu euren Hofläden hinaus.
Konsument hat ein Recht
Hansjürg Jäger, Dozent HAFL, Fachbereich Agronomie: Ich finde es wichtig, dass der Konsument den Anspruch hat, gute Produkte kaufen zu wollen. Hier muss die Landwirtschaft aber die Nachhaltigkeit besser kommunizieren. Marken wie IP-Suisse oder Bio Suisse funktionieren am Markt. Doch der Landwirt muss sich vermehrt bewusst sein, dass er ein Unternehmer ist.
Die Forderungen sind klar
Jürg Iseli, Präsident Berner Bauernverband: Die Bauernproteste haben es gezeigt, die Forderungen der Basis sind klar. Wir verlangen höhere Preise, weniger Bürokratie und mehr Wertschätzung für unseren Beruf.
Stimmen aus dem Publikum
Andreas Gafner, Landwirt und Nationalrat: Ich bin enttäuscht von den Labelorganisationen. Ich war 20 Jahre lang Kontrolleur und ich empfehle IP-Suisse, den Anforderungskatalog durchzukämmen. Auch die Aussage der Migros, dass die Preise für Grundnahrungsmittel gesenkt werden müssen, hat mich schockiert.
Martin Schlup, Landwirt und Grossrat: Viele Betriebe überleben nur Dank der Direktzahlungen und nicht von ihren Produkterlösen. Die vielen Vorschriften müssen gesenkt werden. Auch in Zukunft sind wir auf verlässliche Partner angewiesen.
Heinz Kämpfer, Landwirt: Unsere Kosten sind massiv gestiegen, die Produzentenpreise nur leicht. Auf einen Schlag fehlen mir so Ende Jahr 6000 Franken – das tut weh. Wer will bei dieser Situation heute noch Landwirt(in) lernen?
«Wer am Markt bestehen will, muss dranbleiben»
In seinem Inputreferat referierte der HAFL-Dozent Hansjürg Jäger zum Thema «Sind Mehrwerte mehr wert?» und zeigte dabei auf, wie gut die Wiesenmilch am Markt funktioniert. «Was macht die Wiesenmilch eigentlich aus: Sind es die schönen Kühe oder die gepflegten Weiden?», fragte Jäger in die Runde.[IMG 2]
Eine grosse Wirkung
Auf jeden Fall ist die Wirkung gross, die Wiesenmilch macht in der Zwischenzeit rund 10 % des gesamten Milchmarktes aus. Das sind rund 342 Mio Kilo Milch, die unter diesem Label verkauft werden können. Das macht am Ende für die Produzentinnen und Produzenten 16 Mio Franken jährlich aus. Wiesenmilch fördert letztlich die Stärkung der raufutterbasierten Milchproduktion und die Inwertsetzung der natürlichen Ressource Gras(land).
Einen Mehrwert erzielen
Solche Mehrwerte eines Produkts müsse man immer kommunizieren. «Wenn das der Konsument weiss – umso besser», hielt Hansjürg Jäger fest. Dazu brauche es noch eine Erzählung, ein schönes Erscheinungsbild und natürlich das richtige Verpackungsdesign. Erfüllt man diese Bedingungen, ist der Konsument gerne bereit, bis zu 30 % mehr für ein Produkt zu bezahlen. Doch das Kaufverhalten sei auf der ganzen Welt unterschiedlich: «Im asiatischen Raum ist die Bereitschaft viel höher, für solche Milchprodukte mehr zu bezahlen als in anderen Regionen», stellte Jäger fest. Ein Mehrwert eines Nahrungsmittels kann auch folgendes beinhalten:
- Nähe
- Frische
- Qualität
- Umweltschonende Produktion
- Tierschutzniveau
- Gemeinwirtschaftliche Leistungen
Bezahlen Junge mehr?
«Es ist bekannt, dass die jungen Menschen eine höhere Zahlungsbereitschaft für nachhaltige Produkte haben», sagte Hansjürg Jäger. Aber auch das Geschlecht habe einen Einfluss darauf. Aus Sicht der ganzen Land- und Ernährungswirtschaft bedeute dies, dass sich die Schweizer Landwirtschaft gegenüber den ausländischen Importen differenzieren müsse. «Hier spielt die Qualität der Produkte sicher eine grosse Rolle.»
Am Markt bleiben
Aus Sicht einzelner Akteure bedeute das, Nischen zu besetzen, eine Geschichte zum Produkt zu erzählen und eine konsequente Positionierung sicherzustellen. «Wer am Markt bestehen will, muss dranbleiben. Nur schon am Markt bestehen zu können, ist eine Glanzleistung», so Jäger.
1