An den europäischen Börsen sinken die Milchpreise in diesen Tagen wieder auf das Niveau von vor einem Jahr. Als hätte es nie Corona oder einen Krieg in Europa gegeben, versucht der Detailhandel, wieder zurück ins alte Fahrwasser zu rudern, und drückt auf dem Buckel der Landwirte die Preise. Waren in der Krise die Landwirte die Helden, welche das Volk ernährten, versucht man dieses neue Bewusstein nun geflissentlich wegzulächeln. In den Regalen stehen wieder Spargeln aus Übersee und Erdbeeren aus den zukünftigen Wüsten Spaniens, als wäre der Treibstoff nie teuer und die Energie nie knapp gewesen.
Doch es ist schwierig, die leeren Regale bei Reis, Teigwaren, Müesli oder Hundefutter zu übersehen. Auch hier in den Läden wäre sichtbar und spürbar, dass es nicht ist wie vorher. Aber gäbe man das zu, dann würde es teuer. Wollen wir wieder so viel für das Sonnenblumenöl bezahlen wie vor einem Jahr oder tun wir so, als hätte es nun doch auf magische Weise genug Lebensmittel auf der Erde, als wäre die Energie nicht knapp und die Transportrouten nicht unterbrochen? Doch es ist ein löchriges Gebilde, das die Wirtschaft da aufrechtzuhalten versucht. Hier geht ein Schmerzmittel aus, da ist der Holzofen nicht lieferbar, jenes Autoteil ist erst in ein paar Wochen wieder verfügbar.
Auf den Schultern der Landwirte
Wenn wir etwas gelernt haben sollten, dann wie wichtig es ist, dass zumindest das Nötigste im Inland hergestellt wird, denn die Welt ist nicht stabiler geworden. Diese Woche hörte ich einen Satz, der sich mir tief einbrannte: «Denkt immer daran, die Welt hört nicht in Basel auf.» Nachdem man den Kartoffelproduzenten hierzulande jahrelang gepredigt hat, sie seien einfach zu teuer, zu ineffizient, zu wetterabhängig und man solle doch mal die Fläche reduzieren, fehlen nun die Kartoffeln. Zumindest wenn es wieder trocken wird. Oder wenn der Konsument seine Ansprüche wieder nach oben schraubt und man ein Drittel unförmige, zu grosse, zu kleine, zu braune Kartoffeln den Kühen füttern muss.
So recht will sich bei den Grundnahrungsmitteln kein vernünftiger Mensch mehr auf das Ausland verlassen müssen. Also sollen es die Landwirte richten und neben mehr Umweltschutz auch noch mehr Heu, mehr Getreide, mehr Ölfrüchte und mehr Kartoffeln produzieren. Das Risiko für das immer extremere Wetter, steigende Energie- und Hilfsstoffpreise kann man hingegen den preissensiblen Konsumenten nicht zumuten, darum verteilt man es auf den Schultern der Landwirte. Aber bitte schön mit Nachhaltigkeitslabel und billig. Kaum hat man die Landwirte überredet, wieder mehr zu produzieren – fürs Vaterland –, drückt man die Preise. Die europäischen Milchbauern können ein Lied davon singen.
Dem Ruf des Geldes folgen
«Denkt daran, die Welt hört nicht in Basel auf», oder wie meine Kinder immer sagen, wenn mir wieder mal das Toastbrot schimmelt: «In Afrika wären die Kinder froh gewesen, sie hätten dieses Brot zu essen gehabt.» Und das ist das Problem. Wir negieren hier die Krise wieder einmal auf dem Buckel der Ärmsten. Während in Afrika die Menschen nun aufgrund der Inflation nur noch eine statt wie bisher zwei Mahlzeiten am Tag essen, überlegen wir schon wieder, wie wir dank Importen zu tieferen Preisen kommen können.
Alles nicht so schlimm, alles wird wieder, wie es mal war. Oder nicht? Zu hoffen wäre es. Damit sich etwas ändert, darf man nun nicht wieder, ungeachtet der Risiken, dem Ruf des Geldes folgen. Und hier kämen unsere Verbände ins Spiel, denen der Ruf vorauseilt, dass sie bei Preisverhandlungen gerne mal schon vorher verkünden, mit einer Preiserhöhung sei dann nicht zu rechnen. Oder sie loben sich zwei Wochen nachdem die Krise bewältig ist, man habe dann auch dazu beigetragen, mehr so im Geheimen, damit man den Erfolg der Verhandlungen nicht gefährde.
Es braucht angemessene Preise
Wenn nicht jetzt, wann dann hat die Lebensmittelbranche die Gelegenheit, mit neuem Selbstbewusstsein aufzustehen und ihre Wichtigkeit zu betonen.
Es sind die Preise zu fordern, die es braucht, damit die Produktion für Umwelt, Mensch und Tier gesund werden kann. Der Konsument muss für sein Gebaren in die Pflicht genommen werden und die Grosskonzerne dürfen von ihrem hohen Ross heruntersteigen. Statt vor dem Kapital sollten wir uns vor denjenigen verneigen, die dafür sorgen, dass wir auch in der Krise Essen, Medikamente und eine warme Stube haben. Wir sind bisher mit einem blauen Auge durch die Wirren gekommen. Dafür sollten wir dankbar sein. Wir sollten aber auch daraus lernen und unsere Verantwortung für alles, was noch kommt, wahrnehmen: «Die Welt hört nicht in Basel auf.»
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