«Gravierende Machtungleichgewichte und mangelnde Transparenz auf allen Marktstufen» macht der Verein Faire Märkte Schweiz (FMS) an Zahlen fest: Zwei Drittel der Landwirt(innen) könnten nicht kostendeckend produzieren. Mehr als die Hälfte sei stark von einem oder wenigen Abnehmern abhängig.

Viele Produktionsrichtungen

FMS bezieht sich auf die Auswertung seines Fairness-Self-Checks, an dem 144 Betriebe teilgenommen haben. «Die Umfrage ist nicht statistisch repräsentativ», sagt FMS-Co-Geschäftsleiterin und Projektleiterin Stéphanie Lichtsteiner auf Anfrage der BauernZeitung. «Sie erhebt aber qualitative Relevanz.» Die Teilnehmenden würden nämlich eine breite Palette landwirtschaftlicher Produktionszweige abdecken. Insbesondere Tierhaltung (71 %), Milchwirtschaft (63 %) und Futterbau (54 %) seien vertreten. «19 % der Befragten sind Bio-Betriebe und 7 % stammen aus der Romandie.» Bei den Teilnehmenden aus diesem Landesteil gaben gar 70 % an, abhängig von einem oder wenigen Abnehmern zu sein.

Zwei Drittel der Landwirt(innen) erleben, dass Liefervereinbarungen nicht auf Augenhöhe abgeschlossen werden, so ein weiteres Ergebnis der Umfrage von FMS. «Preise, Mengen und Qualitätsanforderungen werden von den Abnehmern einseitig vorgegeben», schildert der Verein. Das sei wettbewerbsrechtlich problematisch und bedeute in vielen Fällen einen Verstoss gegen die Regeln zur relativen Marktmacht. Über die Hälfte der Teilnehmenden gibt zudem an, bereits einseitige Vertragsänderungen durch Abnehmer erlebt zu haben, «was auf einen signifikanten Marktmissbrauch hindeutet.»

Informationen zur effektiven Nachfrage und Preiserwartungen wären wertvoll in Verhandlungen, stehen aber 45 % der Landwirte nicht zur Verfügung, rapportiert FMS weiter aus seinen Umfrage-Resultaten. «Das führt dazu, dass die einzelnen Produzenten gegeneinander ausgespielt werden können.» Ein Grossteil wisse zudem nicht, wie hoch ihr Wertschöpfungsanteil am Konsumentenfranken ist. Mangelnde Transparenz, wenig Wettbewerb, zu hohe Preise und Preisverzerrungen werden weiter in den Märkten für Produktionsmittel angeprangert. Zunehmend seien Landwirte als kleine Abnehmer wenigen internationalen Multis und marktmächtigen Anbietern für Dünger, Futter- und Pflanzenschutzmittel ausgeliefert.

Chancen für mehr Stellen

FMS unterhält eine Meldestelle für unlautere Marktpraktiken und verlangt den Aufbau weiterer. «Nur gut ein Drittel der Betriebe kennen und nutzen bestehende unabhängige Beschwerdestellen», so der Verein. Ein erheblicher Teil habe keinen Zugang zu Unterstützung oder zweifle an deren Wirksamkeit. «Die heutige Wettbewerbskommission (Weko) ist für die derzeitigen Missstände nicht ausreichend ausgestattet», ergänzt Stéphanie Lichtsteiner. FMS macht sich daher für eine institutionelle Reform der Weko stark und für neue Instrumente zur Sektoruntersuchung. «Auch andere Bundesbehörden könnten für eine institutionalisierte, niederschwellige und anonyme Meldestelle mit Ressourcen ausgestattet werden», findet Lichtsteiner. Das gelte ebenso für Produzentenorganisationen und Branchenverbände, «die ihre Mitglieder in diesen Fragen aktiv und unabhängig unterstützen sollten.»

Laut der FMS-Co-Geschäftsleiterin bieten bereits einige Produzentenorganisationen oder Branchenverbände interne Schlichtungsstellen an. Häufige fehle es dort jedoch an Anonymität, Unabhängigkeit oder Vertrauen. «15 % der Befragten gaben an, keine Anlaufstellen zu kennen», kommt Stéphanie Lichtsteiner auf ihre Umfrage zurück, «12 % kennen eine, vertrauen ihr aber aus den eben genannten Gründen nicht.»

Im Hinblick auf die AP 30 + fordert FMS von Politik und Behörden, dass die Ursachen ungenügender Wertschöpfung und zunehmender Marktmacht-Problematiken angegangen werden. Martin Rufer, Direktor des Schweizer Bauernverbands (SBV), hat gegenüber der BauernZeitung das vom SBV geplante «Marktpaket» vorgestellt: Es soll im Rahmen der AP 30 + Wertschöpfung und Preise verbessern, u.a. durch Zahlengrundlagen wie Vollkostenrechnungen als Verhandlungsbasis.

Für eigene Abklärungen

Der Fairness-Self-Check hat FMS nach eigenen Angaben mit Wettbewerbsexperten entwickelt. Er solle Bäuer(innen) einerseits zur Selbsteinschätzung ihrer Situation bezüglich Fairness in ihren Beschaffungs- und Absatzmärkten dienen. Vor allem aber führe man Befragungen im Auftrag von verschiedenen Produzentenorganisationen durch. «Sie wollen nicht namentlich genannt werden», hält Stéphanie Lichtsteiner fest. Einige davon würden die Ergebnisse aber aktuell für eigene wettbewerbsrechtliche Abklärungen oder politische Schritte nutzen.

«Bauern doppelt betroffen»

Im Zuge der Revision des Kartellgesetzes kritisiert FMS eine Verwässerung des Artikels zur relativen Marktmacht. «Das würde wettbewerbsrechtliches Vorgehen gegen Missbräuche und für faire Marktbedingungen erschweren», so die Warnung. Namentlich geht es um die Umsetzung einer Motion, die zur Beurteilung der Unzulässigkeit von Wettbewerbsabreden sowohl qualitative als auch quantitative Kriterien berücksichtigen will.

«Durch die drohende Schwächung des Kartellrechts wird die Bildung schädlicher Kartelle erleichtert», sagt Stéphanie Lichsteiner. Gleichzeitig werde die Verhandlungsmacht von KMU, Gewerbe und Bauern gegenüber marktmächtigen Unternehmen geschwächt. Ihr zufolge wären Landwirte und verarbeitende Kleinbetriebe doppelt betroffen: «Einerseits drohen höhere Preise beim Einkauf von Produktionsmitteln und Maschinen und auf der anderen Seite mehr Preisdruck der marktmächtigen Abnehmer bei Milch, Fleisch, Gemüse, Getreide und deren Verarbeitungsprodukten.» Die Diskussion der Kartellrechts-Revision ist im Parlament noch nicht abgeschlossen.