Im Kanton Thurgau werden mehr als 60 Prozent der Heizsysteme nach wie vor mit fossilen Energieträgern wie Öl und Gas betrieben. Doch in Zukunft soll sich dies ändern: Mit der Abstimmung vom Juni hat sich die Schweizer Stimmbevölkerung für das Netto-null-Ziel bis 2050 ausgesprochen.
Der See ist eine riesige Wärmequelle
In den nächsten Jahren wird es dementsprechend Zeit, um auf erneuerbare Energien umzusteigen. Zum Beispiel auf Photovoltaik oder Windenergie. Eine weitere, noch wenig genutzte Möglichkeit ist die Wärmegewinnung aus grösseren Gewässern. Für den Kanton Thurgau heisst dies: «Der Bodensee ist eine riesige Wärmequelle, wobei das Angebot grösser ist als die Nachfrage», sagte Thomas Volken vom Thurgauer Amt für Energie an einem Medienanlass, der vor einer Woche in Gottlieben stattfand.
Um das Potenzial dieser Art von Wärmegewinnung auszuloten und Planungsgrundlagen für Gemeinden und Private bereitzustellen, liess der Kanton die Machbarkeitsstudie «Thermische Nutzung von Bodensee und Rhein» verfassen. Laut den 2021 veröffentlichten Ergebnissen könnten 10 Prozent des kantonalen Wärmebedarfs, der heute mit Öl und Gas abgedeckt wird, durch Wärme aus dem Bodensee ersetzt werden. Ebenfalls zeigte sich, dass 14 Gebiete besonders günstige Voraussetzungen für einen Energiebund aufweisen.
Empfohlen wird ein warmes Netz
Darunter fällt auch das am Seerhein liegende Gottlieben. Weil die Gemeinde mehrere grössere Verbraucher zählt, die an einer nachhaltigen Wärmegewinnung interessiert sind, gab sie eine vertiefte Machbarkeitsstudie beim Elektrizitätswerk des Kantons Thurgau (EKZ) und beim Kompetenz-Zentrum Erneuerbare Energie-Systeme Thurgau (Keest) in Auftrag. Diese schlussfolgerte, dass ein Seethermie-Projekt in Gottlieben gute Voraussetzungen für die Umsetzung mitbringt. So kann etwa eine hohe Anschlussdichte erreicht werden.
Zudem hat es im Dorfkern viele alte Liegenschaften mit einem erhöhten Wärmebedarf. Die Analyse empfiehlt insbesondere die Realisierung eines warmen Netzes (Fernwärme). Auch das Kühlen wäre mit Seethermie möglich, was jedoch mit mehr Aufwand verbunden ist. «Beim warmen Netz benötigen die vernetzten Liegenschaften keine Wärmepumpen, sondern eine Übergabestation, welche kostengünstiger ist», so Andreas Koch vom Keest.
Die Mehrheit im Dorf ist dafür
Untersucht hat die Studie auch die ökologischen Aspekte. Dabei zeigte sich, dass eine kurze Leitungsführung bis in eine Seetiefe von etwa 10 bis 13 Metern möglich ist. Dabei ist ein geringer Eingriff in die Natur umsetzbar, beispielsweise im Bereich der Hafeneinfahrt. In Gottlieben findet das Seethermie-Projekt, bei dem 95 Liegenschaften und 266 Haushalte erreicht werden können, Zustimmung. Nicht nur der Gemeinderat und die Bürgergemeinde haben sich dafür ausgesprochen: «Auch eine grosse Mehrheit im Dorf steht dahinter», sagte Gemeindepräsident Paul Keller.
«Wärmeentnahmen werden angesichts des Klimawandels heute weniger kritisch beurteilt», so Thomas Volken. Fest steht jedoch: Die Nutzungen haben sich den ökologischen und anderen Schutzaspekten (z. B. Trinkwasser) unterzuordnen. Dabei ist auch auf Amphibienlaichgebiete oder Wasservogelreservate Rücksicht zu nehmen. In der Diskussion spielte nebst der Ökologie auch die Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern und somit vom Ausland eine grosse Rolle.
Das Gottlieber Projekt ist bereits weit fortgeschritten. In Aussicht steht, dass das Wärmenetz erstmals im Winter 2025/2026 Wärme aus dem Bodensee liefert. Auch in weiteren Thurgauer Gemeinden sind Projekte zur Seethermie in Planung. Bereits sind hierzulande Anlagen in Betrieb, so etwa am Zürichsee.
Energie aus dem See
Primärkreislauf: Die thermische Nutzung zieht nicht Wasser, sondern Energie aus dem See. Dies erfolgt über eine Entnahmeleitung sowie eine Übergabestation. Die Temperatur des aus tieferen Seeschichten entnommenen Wassers liegt in der Regel zwischen 4 und 8 Grad. Dem Wasser wird mittels Wärmetauschern (siehe Grafik) Energie entzogen, die dann mit Wärmepumpen auf das gewünschte Temperaturniveau angehoben wird. Je nachdem, ob im Gesamtsystem Heizung oder Kühlung dominiert, ist das Rückgabewasser wärmer oder kälter als das Seewasser. Das etwas kältere Wasser wieder anschliessend in den See zurückgeleitet.
Sekundärkreislauf: Beim Anergienetz (1–20 °C); bildet einen Energieverbund mit unterschiedlichen Wärme- und Kältebezügern.
Tertiärkreislauf: Nahwärmeverbund, der von einer zentralen Wärmepumpe versorgt wird (30–60 °C).