«Es war nicht einfach, dieses Bouquet von Vertretern aus der Branche zusammenzustellen», sagt Andrea Bory. Sie ist die Vertreterin der Romandie bei der Organisation Carefarming Schweiz. Unter dem neuen Dach der Branchenorganisation Green Care hat sie vor einigen Wochen zum europäischen Treffen der therapeutischen und sozialen Landwirtschaft in Grangeneuve FR eingeladen.
Dem Leben einen Sinn geben
Alle Vertreter aus Irland, Frankreich, der Schweiz und Italien haben dasselbe Ziel: Jugendlichen und auch Erwachsenen einen Ort zu bieten, der eine Tagesstruktur ermöglicht. Und: «Einen Ort, der den Menschen einen Sinn gibt, morgens aus dem Bett zu kommen», wie André Stalder weiss. «Es ist anders, ob du einfach für dich aufstehen musst, oder für ein Tier, das auf einen angewiesen ist», so das Vorstandsmitglied von Green Care Schweiz. Stalder beherbergt selbst drei Gäste auf seinem Betrieb in Lützelflüh BE. Das Verantwortungsgefühl sei ganz anders, der Sinn «irgendwie grösser». Auch Jean-Marc Bovay, ein weiteres Vorstandsmitglied von Green Care Schweiz, erzählt, er gebe jedem Gast einen Esel in die Verantwortung. Die Jugendlichen würden schnell merken, dass es um ein Lebewesen gehe, das auf sie angewiesen sei.
Faire Entschädigung?
Dass Carefarming für Personen aus schwierigen Verhältnissen als Stütze dienen kann, haben diverse Studien mittlerweile gezeigt. Neuer Bestandteil der Diskussion ist die faire Entschädigung von Bauernfamilien für die geleistete Care-Arbeit. «Es ist klar, dass Bauernfamilien damit nicht reich werden, aber die geleistete Arbeit sollte angemessen bezahlt werden. Man sollte trotzdem davon leben können», ist Andrea Bory von der Agridea überzeugt.
Tempo herunterschrauben
Helene Doherty, Koordinatorin der Organisation Social Farming Ireland, erzählt, dass in Irland eine Bauernfamilie im Durchschnitt 80 Euro pro Gast und Tag erhalte, wobei die Gäste in den meisten Fällen die Nacht nicht auf dem Betrieb verbringen würden. Die Zusammenarbeit mit dem Staat sei gut, sagt sie. Ohne die finanzielle Unterstützung wäre «Social Farming», wie es im englischsprachigen Raum heisst, nicht möglich. In Irland habe sich das Konzept als valable Einkommensquelle auf den Betrieben etabliert. Auch in punkto Sichtbarkeit sei man in Irland weit gekommen. Vor zehn Jahren hätten die wenigsten gewusst, was «social farming» bedeutet. «Heute wissen es diejenigen, die es wissen müssen», so Doherty. Sie betont, dass Gäste nicht als Arbeitskräfte eingesetzt werden könnten. Sie würden lediglich an Aktivitäten auf dem Betrieb teilnehmen. Dafür müsse der Betrieb das Arbeitstempo herunterschrauben können, doch das sei nicht allen möglich. In Irland ist es zudem Pflicht, eine 25-stündige Ausbildung zu absolvieren, um den Betrieb als «Social Farm» anbieten zu können.
Es steht viel Arbeit an
In der Schweiz bilden sich die betreuenden Betriebe entweder mit dem Lehrgang Betreuung im ländlichen Raum (ABL, Inforama Rütti) oder in Weiterbildungskursen organisiert durch Nachfrageorganisationen wie WOBE, Caritas Placement familial, etc. aus. Green Care Schweiz ist am Ausarbeiten von Label, welche die Anbieterbetriebe durch Zertifizierung erreichen können, weiss André Stalder.
Hinsichtlich der staatlichen Unterstützung sieht es in der Schweiz auch etwas anders aus. Stalder wünscht sich eine Vereinheitlichung der Regeln, was das Anbieten von Pflegeplätzen auf einem landwirtschaftlichen Betrieb angeht. «Momentan gelten in den verschiedenen Kantonen unterschiedliche Regeln», so Stalder.
Da setzt der Dachverband Green Care nun an, und es steht viel Arbeit an. Es habe lange gedauert, bis man da ist, wo man jetzt als Verband ist, so der Landwirt – «und es muss noch viel gehen.» Die Arbeit mit den verschiedenen Partnerorganisationen und Stakeholdern brauche genauso viel Geduld wie die Arbeit draussen mit den Gästen, die die unterschiedlichsten Hintergründe hätten.
Betrieb aufschalten
Seit neustem können Betriebe, die eine soziale Dienstleistung anbieten möchten, auf der Webseite von Green Care Schweiz ein Profil erstellen und ihr Angebot präsentieren. Die Aufschaltgebühr beträgt im Jahr der Anmeldung unabhängig vom Zeitpunkt:
100 Fr. für Mitglieder von Green Care Mitgliedsorganisationen
und 250 Fr. für Nichtmitglieder.
Weitere Informationen: www.greencareschweiz.ch
Welcher Tarif?
Tarifempfehlung für die Zusammenarbeit mit Platzierungs-Organisationen: Die Begleitung durch die Familienplatz-Organisation kennt eine Vielzahl von (Tarif-) Systemen. Grundsätzlich gilt: Der Tarif der Gastfamilie soll unabhängig vom Tarif der Vermittlungs-Organisation ermittelt werden. Nur so können der tägliche Betreuungsbedarf der Gastfamilie und der individuelle Beratungsbedarf adäquat ermittelt und finanziell entschädigt werden. Vermittlungs-Organisationen im Kinder-/Jugendbereich sind i. d. R. wöchentlich bei der Gastfamilie, begleiten die Gastfamilien in ihrer pädagogischen Aufgabe und nehmen selbst eine zentrale Rolle im Betreuungssystem ein. Das hat Auswirkungen auf deren Tarifsystem (hoher Tarif). Den Gastfamilien wird empfohlen, die Angebote mehrerer Vermittlungs-Organisationen zu vergleichen.
Tarifempfehlung ohne Zusammenarbeit mit einer Vermittlungs-Organisation: In der Praxis zeigen sich grosse kantonale Unterschiede. Während manche Kantone Betriebsbewilligungen mit Fach- und Betriebskonzepten verlangen, kennen andere Kantone die Angebote im ländlichen Raum kaum. Neben der Bewilligung sind aber auch die Finanzierung sowie die qualitativen Anforderungen an die Betreuenden kantonal unterschiedlich.
Die Gastfamilien sollen in ihrem Angebotskonzept erfassen, welche Betreuungs-/Pflegedienstleistung sie erbringen wollen. Zudem empfiehlt es sich, bei jedem Gast bei Anmeldung den individuellen Betreuungs-/Pflegebedarf zu ermitteln. Anhand dieser Einstufung muss die Gastfamilie entscheiden, wie viele Dienstleistungen sie übernehmen kann und will.
