«Wir haben den Betrieb vor acht Jahren via Zeitungsinserat gefunden», erinnert sich Hansjürg Zürcher. Der finanzielle Spielraum der sechsköpfigen Familie war nach der Übernahme eng, der Alltag auf dem 8,8-ha-Betrieb in Arni BE anstrengend – zumal sowohl der Betriebsleiter als auch seine Frau Nadia zusätzlich auswärts arbeiten. In dieser Ausgangslage führten Zürchers die letzten Jahre daher die Jungvieh-Aufzucht weiter, wie es ihre Vorgänger getan haben. «Das passte auch zu unserer Alp in Flühli LU, auf der wir jeweils eine Gustiherde auch mit Tieren von anderen Betrieben sömmern», ergänzt Hansjürg Zürcher.
Veränderung gewünscht
Ganz glücklich mit der Ausrichtung ihres Kleinbetriebs waren Hansjürg und Nadia Zürcher aber nicht. «Ich hatte keine Beziehung zu den Tieren und habe eher mechanisch die Arbeit erledigt», sagt die Bernerin. Ihr Mann legte Wert darauf, das Jungvieh gut an Menschen zu gewöhnen, um den Umgang auf der Alp zu vereinfachen. «Aber die Tiere haben unseren Betrieb jeweils verlassen, wenn ich sie so weit hatte.» Ein weiterer Punkt sprach für eine Veränderung, denn Zürchers möchten irgendwann von der Landwirtschaft leben können oder zumindest nicht mehr beide einem Nebenerwerb nachgehen müssen, damit es finanziell aufgeht.
«Wir wussten, es kann funktionieren.»
Nadia Zürcher über ein alternatives System für ihren Kleinbetrieb.
«Wir können es uns nicht leisten, zu oft auf die Nase zu fallen», gibt Nadia Zürcher zu bedenken. Ins kalte Wasser zu springen und eine Neuausrichtung zu wagen, kam daher für die Familie lange nicht infrage. Letztes Jahr haben Zürchers ihren Betrieb trotzdem umgestellt, auf Mutterkuh-Haltung mit zwei ersten Schottischen Hochlandrindern und einem Patensystem zur Direktvermarktung von Fleisch. Die Paten können freiwillig auf dem Talbetrieb oder auf der Alp einmal jährlich mitarbeiten, um die Landwirtschaft besser kennenzulernen. «Wir hatten eine Perspektive und wussten, dass es funktionieren kann», sagt die Ernährungsberaterin.
Haupterwerb mit 6,5 ha
Diese Sicherheit und den nötigen Zuspruch gab den Bernern ein Coaching bei Marlen und Stephan Koch in Root LU. Die beiden führen dort den Hof Obermettlen mit 6,5 ha LN im Haupterwerb. Ihre Tier-Patenschaften unter Mitarbeit der Konsumentinnen und Konsumenten auf dem Betrieb, Hoftötungen und die Verwertung des ganzen Tieres, die Kochs auch durch den Verkauf von Knochen und Leder realisieren, haben ihnen viel mediale Aufmerksamkeit und den Prix-Climat-Publikumspreis gebracht. «Wir möchten nicht quantitativ, aber qualitativ wachsen», sagt Marlen Koch. Dazu gehört für sie, das Praxiswissen weiterzugeben, das sie und ihr Mann sich zusammen in den letzten Jahren erarbeitet haben. Den passenden Rahmen dafür gab das Betriebscoaching, ein Projekt des Schweizer Netzwerks für Agrarökologie Agroecology works und seiner Partnerorganisationen, das in diesem Winter mit einem Pilotprojekt und dem Hof Obermettlen als Pionier gestartet ist.
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Die Coaches werden in diesem Projekt mit 800 Franken für einen vierstündigen Austausch vor Ort mit einem anderen Betriebsleiter(paar) entschädigt. Die Besucher(innen) bezahlen 250 Franken, den Rest übernimmt der Projekt-Fonds. «Es gibt viele Stiftungen mit dem Ideal einer nachhaltigen Landwirtschaft in ihren Statuten», sagt Marlen Koch. «Das Betriebscoaching ist eine Möglichkeit, wie sie mit ihrer finanziellen Unterstützung eine effektive Veränderung auf dem Boden bewirken können.» Für den Hof Obermettlen sei es eine Entlastung gewesen, diesen Rahmen für Treffen mit der wachsenden Anzahl Interessenten zu haben. «Es sollen nicht alle dieselbe Aufbauarbeit leisten müssen wie wir», erklärt die Luzernerin ihre Motivation.
Es sei in den bisher fünf Coachings aber nicht nur um das Konzept der Patenschaften, Strategien auf Social Media oder das Vorgehen für eine Hoftötung gegangen, sondern auch um Emotionales: Wie geht man damit um, ein über Jahre lieb gewonnenes Tier selbst zu töten? Wie kann man mit Anfeindungen in Sozialen Medien umgehen oder mit jenen, die konsequent warnen und von einer Betriebsumstellung abraten?
Auf Augenhöhe
«Uns hat man auch gesagt, dass niemand sein Steak herumlaufen sehen wolle», wirft Marlen Koch ein. Die Paten ihrer Rinder scheinen es aber durchaus zu wollen – der Hof Obermettlen führt eine zweijährige Warteliste mit Interessenten für eine Patenschaft. «Es ist ein grosser Mutmacher, wenn man sieht, dass so etwas auf einem anderen Betrieb funktioniert. Denn die Widerstände vor einer Veränderung sind meist gross», weiss die Agronomin. Im Betriebscoaching spreche man auf Augenhöhe und in einem vertraulichen Rahmen, anders als mit Berufskollegen an einer Veranstaltung oder in einer Weiterbildung. «Wir helfen einander, Wind unter die Flügel zu bekommen», beschreibt es Koch.
«Dieses Wissen ist viel weniger wertvoll.»
Marlen Koch über das, was sie an der ETH gelernt hat.
Sie betont, wie viel das Wissen aus der Praxis wert sei, das Betriebe einander weitergeben können. «In meinem ETH-Agronomie-Studium habe ich auch viel gelernt, aber das ist weniger wertvoll», findet sie. Es sei nicht zu vergleichen mit alltagserprobten Ratschlägen, die nur Landwirtinnen und Landwirte austauschen könnten. Dabei sei das Betriebscoaching keinesfalls als Ersatz für klassische Beratungsangebote zu sehen, sondern vielmehr als Ergänzung. «Vielleicht könnte man solche Coachings von Bauer zu Bauer auch einmal in die Ausbildung einbauen», ergänzt Marlen Koch. Bei den vielen (politischen) Ideen dazu, wie die Landwirtschaft der Zukunft aussehen sollte, geht ihrer Meinung nach der Faktor Mensch vergessen – und der Mut, den es braucht, um Veränderungen anzugehen.
Da jeder Betrieb anders ist, können Konzepte nicht 1:1 übernommen werden. Hansjürg und Nadia Zürcher haben das Modell des Hofs Obermettlen für ihren eigenen Betrieb adaptiert. Die Hochlandrinder passen gut zu ihren steilen Flächen und sie konnten bereits Paten für die ersten zwei Kälber finden. Die Arbeit mit der neuen Rasse macht beiden Freude. «Aber wir wissen noch nicht, was die Hoftötung dieser Kälber nach 2,5 Jahren dann mit uns macht», sind sie sich einig.
Gute Investition
Mit Kochs pflegen die Berner einen freundschaftlichen Austausch. «Es ist so schön, die schnelle Wirksamkeit dieser Coachings zu sehen», freut sich Marlen Koch. Zürchers sind sich einig, dass die 250 Franken gut investiert waren. Von Anfang an habe ein gemeinsames Verständnis geherrscht, der Austausch fand im Gespräch, auf einem Betriebsrundgang ebenso wie beim Zmittag statt. «Ich schätze es, dass Kochs ihr Wissen nicht für sich behalten, sondern teilen wollen», sagt Nadia Zürcher.
Das Projekt wird breiter
Das Schweizer Netzwerk für Agrarökologie Agroecology works hat im Winter 2024/25 das Betriebscoaching mit zwei Pilotbetrieben gestartet – dem Hof Obermettlen und dem Katzhof. Um teilzunehmen, füllen Interessierte einen Fragebogen als Bewerbung aus. «Damit können sich die Coaches auf die Treffen vorbereiten und wissen, wo die Schwerpunkte liegen könnten», erklärt Samira Amos von Agroecology works. Die Coachings können vier Stunden (bei ganzen Betriebskonzepten wie im Fall des Hofs Obermettlen) oder zwei Stunden dauern (wenn es um einzelne Aspekte wie z. B. Keylines geht) und kosten für die Teilnehmenden 250 Franken bzw. 100 Franken. Im kommenden Winter soll das Projekt mit etwa 12 Coaching-Betrieben breiter werden. Auch das Bundesamt für Landwirtschaft will sich finanziell beteiligen.
«Die Idee für das Betriebscoaching kam von Landwirtinnen und Landwirten», sagt Amos. Die Stiftung Biovision, ein Mitglied des Netzwerks Agroecology works, zeichnet Pionierbetriebe als «Leuchtturmprojekte» aus. Im Austausch mit diesen Betrieben wurde deutlich, dass erfolgreichen Pionieren oft Zeit und Ressourcen fehlen, um ihr Wissen ohne finanzielle Entschädigung weiterzugeben. Das Coaching ermögliche einen konstruktiven, vertraulichen Austausch auf Augenhöhe, der mit der Unterstützung des Projekt-Fonds finanziell entschädigt wird. «Der horizontale Wissenstransfer ergänzt das bestehende Beratungsangebot», ist Samira Amos überzeugt.
Webseite zum Projekt