Die IP-Suisse ist als Brückenbauer zwischen Bio undkonventionell 1989 mit dem Käferlogo gestartet. Damit begann das Label-Wettrüsten. Führt der jetzige Labeldschungel nicht in eine Sackgasse?

Fritz Rothen: Für mich ist Labelvielfalt positiv. Vielfältigkeit ist gut – das sieht man auch in der Natur. Biodiversität ist wichtig. Auch der Markt will keinen Einheitsbrei. Darum reicht ein Label allein nicht.

Christophe Eggenschwiler: Die Konsumenten und der Handel äussern immer mehr Sonderbedürfnisse. Das ist eine normale gesellschaftliche Entwicklung. Es liegt in unserer Verantwortung, diese Entwicklung im Interesse unserer Mitglieder zu begleiten und entsprechend zu agieren. Jeder versucht sich auf dem Markt zu profilieren.

Die Labelanforderungen werden immer strenger, das ist für viele Bauern eine Zumutung.

Eggenschwiler: Da gebe ich Ihnen recht, etwas Vereinfachung wäre gut. Aber das wird kommen. Gewisse Labels der Grossverteiler sind auch weggefallen. Gewisse setzen heute schon prominent auf das Käferlogo.

Rothen: Wir analysieren durchaus, was Sinn macht und passen die Richtlinien an. Wir schraubten die Anforderungen nicht nur nach oben, sondern es gab auch Lockerungen und Vereinfachungen. Als wir 2010 das Biodiversitätspunktesystem einführten, gab es einen Aufschrei. Heute haben unsere 10 000 Produzenten im Schnitt 24 Punkte. Das sind sieben Punkte mehr als wir fordern.

Dann muss aber auch der Preis stimmen und kostendeckend sein.

Eggenschwiler: Wenn wir mehr leisten, muss dies durch den Preis oder eine Prämie abgedeckt sein. Diese Achse müssen wir verfolgen. Markt ist Wandel und Schwankungen gehören dazu. Darum braucht es Partnerschaften.

Rothen: Einseitiges Wachstum funktioniert nicht. Es braucht ein gemeinsames Ringen – und zwar von Produzenten, Handel und Verarbeitern. Die IP-Suisse-Labelproduktion scheint wirtschaftlich zu sein. So konnten wir diese Saison im Durchschnitt Fr. 2.–/dt mehr für Getreide als unsere Hauptkonkurrenten ausbezahlen. Und die Labelproduktion hat noch einen zweiten Effekt: Sie hilft, den Preis der Standardproduktion anzuheben. Das ist doch grandios.

Die agrarpolitischen Bestrebungen unterstützen Ihren Kurs. Wie weit haben Sie darauf Einfluss genommen?

Rothen: Wir beteiligen uns in Gremien und Arbeitsgruppen. Schlussendlich entscheidet aber der Bundesrat. Meiner Meinung nach macht der Bund mit dem Direktzahlungsbudget von 2,8 Mia Fr. immer noch zu wenig für die Nachhaltigkeit. Heute erhält ein Landwirt Fr. 250.–/ha, wenn er herbizidfreies Getreide macht. Das ist eindeutig zu wenig. Übrigens geht es uns nicht um politischen Einfluss. In unseren Reihen sind keine National- und Ständeräte vertreten. Wir fokussieren auf den Markt. Eine Vermischung einer politischen Aktivität mit einer Marktaktivität funktioniert nicht.

IP-Suisse stellte sich gegen die Pflanzenschutz-Initiativen und lehnt die Massentierhaltungs-Initiative ab. Macht ein Verbleib in der Agrarallianz noch Sinn?

Rothen: Auf jeden Fall. Wären wir nicht dabei gewesen, hätte die Agrarallianz bei den Agrarinitiativen anders entschieden. Wir konnten aktiv zur Versachlichung beitragen. Das machen wir jetzt zusammen mit Mutterkuh Schweiz und couragierten Biobetrieben auch bei der MTI.

Eggenschwiler: Allgemein gilt, dass Wegbleiben und Kritisieren kontraproduktiv ist. Es muss alles unternommen werden, damit Argumente auf sachlicher Ebene ausgetauscht werden können.

Sie suchen neue Produzenten. Angesichts des gegenwärtigen Trends müssten diese in Scharen zu Ihnen überlaufen. Was machen Sie falsch?

Rothen: Auf die neue Saison haben einige Hundert neue Produzenten zu uns gewechselt. Aber es könnten noch mehr sein. Es will und kann nicht jeder nach IP-Suisse produzieren. Konventionelle Landwirte befürchten höheren administrativen Aufwand und Ertragseinbussen. Die Freiheit liegt beim Landwirt. Wir müssen in der gegenwärtigen Situation einfach noch mehr Werbung machen.

Das wäre ja dann Ihr Job, Herr Eggenschwiler?

Eggenschwiler: Sicher investieren wir in die Kommunikation. Wichtig ist es, den Produzenten den Nutzen von Prämien und von der Labelproduktion aufzuzeigen. Das hat nichts mit Schlagwörtern zu tun. Schnellschüsse braucht es nicht, sondern wohl überlegtes Vorgehen und Know-how in Bezug auf Mengensteigerungen.

Sind Sie zum Auffangbecken für Bio geworden, da deren Richtlinien immer strenger werden?

Rothen: Ich kann das nicht bestätigen. In den vergangenen Jahren waren wir eher ein Zubringer für Bio – also dass IP-Suisse-Produzenten in Bio einstiegen, weil die Direktzahlungen unter anderem für Bio höher sind. Aber es gab schon immer Biobauern, die zusätzlich über uns vermarkten.

Eggenschwiler: Ich bekam schon Anfragen von Kollegen, ob man nicht ein IP-Suisse-Bio machen könnte. Diese Frage steht sicherlich im Zusammenhang mit der Richtlinienverschärfung. Die IP-Suisse ist aber sicher nicht «Plan B», sondern ein Weg für jene, die aus Überzeugung einen Mittelweg gehen wollen. Wichtig ist, dass sowohl Produzenten als auch Konsumenten beim Produktionssystem- beziehungsweise Kaufentscheid die Wahl haben.

Ich erinnere mich an ein früheres Interview mit Ihnen, Herr Rothen, wo Sie sich vehement gegen Lohnmast aussprachen. Nun sind Siemit dem Käferlogo und Ihren Richtlinien für Migros-Eier in die vertikale Integration eingebunden. Wie stehen Sie zu diesem Widerspruch?

Rothen: Es freut mich, dass die Migros jetzt die Vorgaben für die Eierproduktion an eine bäuerliche Produktion abgibt. Ich sehe diesen Schritt als eine Befreiung und Stärkung der Produzenten gegenüber den Verarbeitern. Wir von einer bäuerlichen Organisation bestimmen jetzt über die Richtlinien.

Der Labelmarkt für Fleisch stagniert, das kreidet der Schweizer Tierschutz dem Detailhandel an. Welche Allianz gibt es mit dem Schweizer Tierschutz?

Rothen: Wir bemühen uns zusammen mit dem Tierschutz, den Labelanteil zu erhöhen. Aber es liegt nicht an uns, den Detaillisten vorzurechnen, wie die Marge auszusehen hat. Wenn eine Firma keine oder zu wenig Margen hat, dann produzieren wir als IP-Suisse auch weniger. Der Kaufentscheid liegt beim Konsumenten. Das müssen wir ändern und wir haben mit der Labelproduktion gute Argumente.

Haben Sie aufgrund derletztjährigen Ernte eine neue Lagerstrategie?

Rothen: Aufgrund der tiefen Ausbeute 2021 mussten wir als Notmassnahme beschliessen, dass die Mühlen maximal 20 % konventionellen Weizen beimischen können. Das wollen wir in Zukunft vermeiden und mieten deshalb neue Lager an, dezentral von der Westschweiz bis in die Ostschweiz. Die Strategie ist klar, wir wollen einige zehntausend Tonnen IP-Suisse-Getreide an Lager haben. Keine Deklassierung. Hätten wir etwas mehr Lager gehabt, müssten wir gar nichts beimischen.

Ist es ungerecht, dass Ihre Produzenten auch ins Schoggigesetz eingebunden sind, obwohl kein IPS-Weizenexportiert wird?

Nachhaltigkeit Nestlé und IP-Suisse werben gemeinsam für regenerative Landwirtschaft Monday, 30. May 2022 Rothen: Es ist eine Frage der Solidarität. Wir sind in der Branche und Mitglied von Swiss Granum. Wir haben auch einen Deklassierungsabzug, obwohl wir nicht deklassieren. Immerhin einigten wir uns mit dem Getreideproduzentenverband, dass sie uns etwas an die Lagerkosten bezahlen. Bezüglich Schoggigesetz – was noch nicht ist, kann noch werden. Denn mit Nestlé sind wir gut im Gespräch – und vielleicht wird Leisi-Blätterteig eines Tages mit unserem Getreide gemacht und exportiert. 

Sie haben mal gesagt: Das Leben, und das gelte auch für das Geschäftsleben,müsse man selbst gestalten. Wie strukturieren Sie also Ihren Ruhestand?

Rothen: Von Ruhestand kann kaum die Rede sein. Am 1. August beginnt für mich ein neuer Lebensabschnitt. Ich werde bei der ASF, unserer Viehhandelsorganisation Sursee, noch tätig sein. Dann bin ich angefragt worden für den Verwaltungsrat der Stadtmühle Schenk – eine interessante Arbeit. Auch verbleibe ich im Verwaltungsrat der Modan Software AG, das ist unsere IP-Suisse-IT-Firma. Zudem habe ich auf privater Basis einige Aktien der Weichkäserei Grand-Pré in Moudon übernommen. Und nicht zuletzt haben wir Enkelkinder, die wir gerne betreuen und hüten. Ich habe also mehr als genug zu tun. Fest vorgenommen habe ich mir, jährlich Bilanz zu ziehen, ob ich die jeweiligen Aufgaben noch weiterführen will.

Wie steht es bei Ihnen, wie gestalten Sie als neuer Geschäftsführer das Geschäftsleben der IP-Suisse?

Eggenschwiler: IP-Suisse ist stetig gewachsen, diese Wachstumsdynamik will ich beibehalten. Der Treiber dieser Dynamik ist nicht allein der Geschäftsführer, sondern das Mitarbeiterteam, aber vor allem der Markt, die gesellschaftlichen Erwartungen und die agronomische Entwicklung. Wir müssen uns weiterhin geschickt in all diesen Polen weiterentwickeln. Dafür setze ich mich ein.

Auf ein Wort: IP-Suisse-DNA und Generationenwechsel

von Andreas Stalder aus Höchstetten-Hellsau ist Präsident der IP-Suisse

Fritz Rothen gehörte zu den Gründervätern der IP-Suisse. Nach 33 Jahren verabschiedet er sich am 30. Juni als Geschäftsführer. Erlauben Sie mir an dieser Stelle einen kleinen Rückblick, denn ebenso lang sind und waren Fritz und ich Weggefährten. Wir haben uns sehr gut ergänzt. Fritz, emotional und aufbrausend – ich, ruhig und ausgeglichen. Mit diesen unterschiedlichen Fähigkeiten waren wir stets ein sehr starkes Duo. 

Die sieben Aufrechten auf der Rütti
Wir waren sieben Berner Bauern, die 1989 die IP-Suisse gründeten und kannten uns von der Jahresschule auf der Rütti, Zollikofen BE her. Dort haben wir uns rasch gefunden, denn wir waren vom gleichen Gedankengut nach mehr Biodiversität beseelt. Wir wollten nicht Bio, das passte nicht zu unserer Einstellung. Aber wir, und auch viele andere Bauern, gingen schon damals über die gesetzlichen Anforderungen hinaus, was Tierwohl, Ökologie und Schutz der Umwelt betraf. Genauso wichtig war uns, dass unser Label in Produzentenhand blieb. Unseren Brand, den IP-Suisse-Käfer, bestimmen wir – eine bäuerliche Organisation, die weiss, wie was anzubauen ist. Wir hatten keinen Markt, gingen aber unerschrocken auf die Detailhändler zu. Wir starteten mit Null und erwirtschaften heute mit 10 000 Produzenten und 20 Mitarbeitern auf der Geschäftsstelle einen Umsatz von rund 400 Mio Fr. 

Nicht ohne Widerstand und Diskussionen
Ökologie und Ökonomie im Gleichschritt weiterzubringen, war und wird nie einfach sein. Einerseits müssen wir Bauern den Konsumenten und der Gesellschaft aufzeigen, was es heisst, im Einklang mit der Natur zu produzieren, andererseits muss es auch im Portemonnaie stimmen. Geld ist nicht alles, Biodiversität und Klimaschutz sind ebenso wichtig – es ist ein stetes Ringen um Wirtschaftlichkeit, Präsenz am Markt und nachhaltige Produktion. Das ist uns gelungen – nicht ohne Widerstand und Diskussionen – aber es «verhebt». 
​Nun ist es Zeit für einen Generationenwechsel. Mit Christophe Eggenschwiler haben wir jemanden gefunden, der wie wir Gründer damals beseelt davon ist, die Landwirtschaft mit unserem Label weiterzu­bringen.