Die geplante Landabgabe der Justizvollzugsanstalt (JVA) Witzwil gibt im Berner Seeland schon länger zu reden. Am Dienstag informierten Regierungsrat Christoph Neuhaus, Projektleiter Reto Baumgartner und der Vorsteher des Berner Amts für Landwirtschaft und Natur (Lanat), Michael Gysi, über die Vergabestrategie und den Vergabeprozess der frei werdenden Flächen. Dies auf Initiative von Pro Agricultura Seeland (PAC) und der Landwirtschaftlichen Organisation Seeland (LOS) in Ins. Das Ziel sei, das frei werdende Land weitestgehend dem landwirtschaftlichen Nutzen zuzuführen, erklärt der Projektleiter Baumgartner.

Unterschiedliche Interessen berücksichtigen

Rasch macht er aber klar: «Das Ziel heisst nicht, möglichst vielen etwas Land abzugeben.» Es müssten die kantonalen Interessen, die speziellen Bodenbeschaffenheiten sowie die bestehende Ökologie, etwa mit den bestehenden nationalen Vogelschutzgebieten in Witzwil, berücksichtigt werden. 

Zudem soll es ein möglichst faires Verteilverfahren geben und die Einheiten sollen gut zu bewirtschaften sein. Betreffend die Ökologie hätten die Naturschutzorganisationen Birdlife und Pro Natura ihre Meinungen einbringen können. Der Moderator Hans Schori warf ein, dass auch die PAC und die LOS zahlreiche Punkte bei der Projektgruppe eingebracht hätten. Denn: «Nicht die Summe der Biodiversitätsförderflächen, sondern deren Qualität macht es aus», betont er. [IMG 3]

Es brodelt im Seeland

Der öffentliche Anlass mutiert im Verlaufe des Abends zu einer «Chropflärete» der Bauern. Dass es im Seeland brodelt, weiss Hans Schori, PAC-Vizepräsident und Moderator des Anlasses, bereits zu Beginn der Veranstaltung. Er bezeichnet die Kommunikation des Kantons Bern betreffend die Landvergabe denn auch als «katastrophal». Bereits da sieht sich Christoph Neuhaus zum ersten Mal gezwungen, sich zu rechtfertigen. Es bleibt nicht bei dem einen Mal an diesem Abend. «Man kann erst informieren, wenn man etwas weiss», betont er. Und: «Wir wollen den Weg transparent gehen und darum sind wir heute hier.» [IMG 2]

Es bleibt nicht viel übrig

Einige Informationen, die die Kantonsverantwortlichen überbringen, stossen den Frauen und Männern im voll besetzten Saal gewaltig auf. Von den 275 ha Land in Witzwil, die abgegeben werden, können lediglich rund 60 bis 70 ha als Einzelverpachtungsflächen vergeben werden. Denn rund 100 ha sind als Ausgleichsfläche für eine Bauernfamilie aus Rörswil, Gemeinde Ostermundigen, vorgesehen. Diese Familie verliert dort wegen des geplanten Fussball-Campus Pachtland, das ebenfalls dem Kanton Bern gehört. Im Saal stösst den Zuhörern sauer auf, dass die betroffene Familie mehr Land erhält, als sie zum jetzigen Zeitpunkt vom Kanton gepachtet hat.

Der Birkenhof ist als Ganzes zu pachten

Daran zu rütteln gibt es jedoch nichts. Denn die Landvergabe an die Familie sei nicht mehr verhandelbar, die Verträge seien unterschrieben, heisst es vonseiten des Kantons. Die betreffende Familie werde bereits im Herbst 2025 die Bewirtschaftung der Landflächen in Witzwil übernehmen. Im Weiteren will der Kanton Bern den Birkenhof mit rund 60 bis 70 ha Land als Ganzes verpachten. Dies böte einer Familie eine Existenzsicherung. Auf der restlichen verfügbaren Fläche müsse zudem mit Naturschutzauflagen gerechnet und ein Bewirtschaftungskonzept vorgelegt werden.

Kriterien und Zeitplan

Der Kanton präsentiert einen Auszug der Kriterien für die Landvergabe:
- Lokale Pächter bevorzugt
- Birkenhof wird als ganzer Hof vergeben
- Spezielle Bodenverhältnisse und Auflagen Naturschutz verlangen nach Bewirtschaftungskonzepten
- Erhalt respektive Ausbau der vorhandenen Biodiversitätsförderflächen

Der Zeitplan sieht vor, dass bis Ende November die Erarbeitung und Freigabe der Vergabekriterien erfolgt. Der Ausschreibungsprozess wird ab Dezember laufen. Im April werden Bewerbungseingänge erwartet. Ab Sommer 2025 sollen dann die neuen Pächterinnen und Pächter bestimmt werden. Der Pachtbeginn erfolgte dann gestaffelt zwischen 2026 und 2028. 

Bei der anschliessenden Diskussion wird deutlich, dass die Bauern sich, ihr Wissen und ihre jahrelange Erfahrung vom Kanton und deren Verantwortlichen nicht ernst genommen fühlen. Ihren Unmut tun sie denn auch kund. So meint etwa Urs Jenni aus Ins, dass sich von der noch verbleibenden zu vergebenden Fläche lediglich etwa ein Drittel eigne, um etwas anderes anzubauen als Gras. «Es ist eine Schande, wie das Land verteilt wird», bemängelt er. Auf die zahlreichen Voten aus dem Saal reagiert Regierungsrat Neuhaus mit forscher Art. Fabian Feissli, Ins, betont: «Ich fühle mich wie der letzte Halbschuh.» Zudem vermisse er den Respekt vonseiten des Regierungsrates. Dieser wehrt sich ein weiteres Mal. Er habe anständig begonnen und sich dann lediglich gewehrt, meint er zu den Vorwürfen. Ruhiger erklärt er dann: «Ich anerkenne die grosse Leistung der Bauernfamilien, will hier aber nicht einfach nur den Schmus bringen.» In der weiterne Diskussion forderte Daria Winkelmann aus Siselen vom Kanton Transparenz und Gleichbehandlung bei allen allfälligen Naturschutzauflagen. Diese müssten auch für die Familie aus Rörswil gelten. «Die Transparenz der Vergabekriterien muss erhöht werden. Jetzt ist sie nicht vorhanden», bemängelt sie.

Gleich lange Spiesse gelten für alle

Regierungsrat Christoph Neuhaus verspricht: «Die Auflagen sind für alle gleich.» Reto Baumgartner ergänzt, dass die Rörswiler Familie einen Vertrag, jedoch noch keinen detaillierten Pachtvertrag habe. Die Naturschutzauflagen müssten sie genauso erfüllen wie alle anderen künftigen Landpächter auch. Zum Schluss erwirkt Hans Schori, dass im Frühling, wenn der Vergabeprozess gestartet sei, ein weiteres öffentliches Treffen mit den Kantonsverantwortlichen stattfinden werde, um sich ein weiteres Mal auszutauschen.

Das geschah bisher

- Mai 2023: Der Kanton Bern teilt mit, dass der Sicherheitsdirektor den Auftrag erteilt habe, die Justizvollzugsanstalten (JVA) Witzwil und St. Johannsen zu überprüfen. Im Vordergrund stehen dabei die Ziele im Strafvollzug, der Naturschutz und die Biodiversität sowie die bäuerliche Produktion.

- April 2024: Die Überprüfung der JVA Witzwil ist abgeschlossen. 385 Hektaren, also mehr als die Hälfte, sollen zurück ans Amt für Grundstücke und Gebäude (AGG) in der Bau- und Verkehrsdirektion gehen; darin enthalten ist eine Alpwirtschaft auf dem Chasseral mit 110 Hektaren. Künftig solle nur noch so viel Landwirtschaft betrieben werden, wie Arbeitsplätze zur Beschäftigung der dort eingewiesenen Personen benötigt werden, so die Begründung. Die Rückgabe erfolge in den nächsten Jahren, heisst es in einer Medienmitteilung. Landwirte, die interessiert sind, Flächen zu pachten, können da bereits beim Kanton ihr Interesse deponieren, heisst es auf Anfrage.

- 8. Mai 2024: Birdlife Schweiz schreibt dem Regierungsrat einen Brief. Darin legt die Naturschutzorganisation ihre Sorgen um die Naturwerte im Grossen Moos dar. Wegen der Neuausrichtung und Neuverpachtung der frei werdenden Landflächen sieht sie diese Naturwerte in Gefahr.

- 26. Juni 2024: Im Antwortschreiben an Birdlife erklärt der Regierungsrat, dass sichergestellt werde, «dass die verschiedenen Anliegen ausgewogen in diesen Neuvergabeprozess einfliessen und auf dem verbleibenden Landwirtschaftsland der JVA Witzwil die Massnahmen des Naturschutzes weitergeführt werden».

- 9. September 2024: Der Grossrat des Kantons Bern hatte gleich über drei Motionen bezüglich der Landverteilung der Justizvollzugsanstalt Witzwil zu verhandeln.