Ein bernischer AOC-zertifizierter Wein, dessen Trauben eigentlich aus dem Kanton Freiburg stammen. So was gibt es nicht, könnte man meinen. Doch das Gegenteil ist der Fall, das wird es künftig geben. Seit Anfang Jahr gehört die Exklave Clavaleyres nicht mehr zum Kanton Bern, sondern durch die Fusion mit Murten zum Kanton Freiburg. Der Wein, den die Familie von Alfred Chervet in der Kleinstgemeinde produziert (hier gehts zum Porträt der Familie), behält jedoch seine AOC-Ursprungsbezeichnung des Kantons Bern auch weiterhin bei. Dies haben die beiden Kantone so beschlossen und in einem Staatsvertrag festgehalten.

Das ist eine Täuschung der Konsumenten

Keine Freude an der Geschichte hat Matthias Rindisbacher, Präsident der Rebgesellschaft Thunersee-Bern. «Dies ist eine Täuschung des Kunden», moniert er auf Anfrage. Doch wie kam es dazu? Im Kanton Bern obliegt die Verantwortlichkeit über die AOC-Weine den Rebgesellschaften Bielersee und Thunersee-Bern. Dies ist unüblich, obliegt diese sonst den Kantonen. Beim Kantonswechsel von Clavaleyres von Bern zu Freiburg wurden aber die Rebgesellschaften respektive deren AOC-Kommission gar nie involviert. Für Matthias Rindisbacher ist klar, dass der Kanton Freiburg die treibende Kraft war, der seine AOC-Regelung nicht anpassen wollte.

Das BLW bestätigt den Sachverhalt

Das hätte jedoch gemacht werden müssen, wenn nebst dem AOC-definierten Vully-Gebiet nun noch Reben von Clavaleyres dazugekommen wären. Die bernische AOC-Komission hat mit einem Juristen die Regelung im Staatsvertrag beim Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) abklären lassen. Das BLW wusste von dieser Regelung nichts, aber hat bestätigt, dass sie dem Bundesrecht entspricht. «Dies ist eine Posse, wie es sie zwar viele in der Schweiz gibt, aber in dieser Art wohl doch einmalig», meint der Rebbaupräsident.

Der Wein behält seine Ursprungsbezeichnung

Der Kanton Freiburg habe wohl den politischen und juristischen Aufwand gescheut, den eine Erweiterung seines AOC-Gebiets mit sich gebracht hätte. Und der Kanton Bern hat sich dem gefügt. Verständnis bringt Matthias Rindisbacher für die Produzentenfamilie auf.

Da Freiburg seine Ursprungsbezeichnung nicht anpassen wollte, wäre Chervets geblieben, ihren Wein künftig «nur» als Landwein zu verkaufen, eine AOC-Ursprungsbezeichnung wäre hinfällig geworden. Für Familie Chervet bedeutet der Entscheid nun, dass weiterhin das AOC-Reglement des Kantons Bern für den Wein aus ihren Reben in Clavaleyres gilt, sie die Ursprungsbezeichnung auf der Weinetikette nicht anpassen müssen. Den Vollzug hingegen, also die Kontrollen und das Führen des Traubenpasses, muss jedoch der Kanton Freiburg übernehmen.

Das sagt der Kanton Freiburg

Auf Anfrage schreibt Samuel Russier, Generalsekretär der Direktion der Institutionen und der Land- und Forstwirtschaft (ILFD), dass der Kanton Freiburg keine kantonale AOC-Ursprungsbezeichnung kenne wie beim Kanton Bern. Freiburg hat lediglich die Gebiete Cheyres und Vully als AOC-Gebiete definiert. Aus geografischen Gründen sei es nicht möglich gewesen, das Territorium von Clavaleyres in eines dieser Gebiete zu integrieren.

Unannehmlichkeiten für Bewohner vermeiden

Er betont, dass beide Kantone gemeinsam daran gearbeitet hätten, dass dadurch den Einwohnern keine Unannehmlichkeiten entstünden. Da die Schaffung «AOC Fribourg» nicht in die Strategie des Kantons Freiburg passe, sei daher vorgeschlagen worden, die Weinproduktion von Chaveleyres in der Ursprungsbezeichnung AOC Bern beizubehalten. Russier merkt zudem an, dass diese spezielle Regelung Gegenstand eines Sonderartikels im interkantonalen Konkordat war, der von beiden Parlamenten, beider Volk und von der Bundesversammlung angenommen wurde.

Die Frage der Glaubwürdigkeit

Berner AOC-Wein, dessen Trauben aus einer Freiburger Gemeinde stammen. Ob das die Konsumentinnen und Konsumenten verstehen und akzeptieren werden, ist die eine Frage. Die andere ist die, ob mit dieser Aktion nicht die Glaubwürdigkeit der gesamten AOC-Ursprungsbezeichnung infrage gestellt wird.

Frankreich macht es äusserst konsequenz

Was der Schweiz im vorliegenden Fall nicht gelingt, die kontrollierte Ursprungsbezeichnung kantonsübergreifend nachvollziehbar zu regeln, schafft hingegen unser Nachbar Frankreich sogar länderübergreifend. So dürfen die Winzer des Waadtländer Dorfs Champagne auf ihren Weinflaschen künftig nicht mehr «Gemeinde Champagne» schreiben. Das Waadtländer Verfassungsgericht hat dies vergangenen April verboten, da dies unter anderem gegen das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU von 1999 verstosse. Dieses Verfahren ist nun beim Bundesgericht hängig.