«Der Überflussgesellschaft war der Recycling-Gedanke abhandengekommen. Dann kamen Covid und der Ukraine-Krieg, die uns mit Schwierigkeiten in den Lieferketten konfrontierten», sagte der Thurgauer Regierungsrat Walter Schönholzer. Dies habe dazu geführt, dass Modelle zur Kreislaufwirtschaft an Bedeutung gewinnen, indem Rohstoffe zurückgewonnen und wieder verwertet werden. 

Nebenströme werden aufgewertet 

Anlass zu diesen Worten war das 3. Innovationsforum Ernährungswirtschaft, das vor einer Woche in Tänikon stattfand. «Auch in der Ernährungs- und Landwirtschaft ist die Kreislaufwirtschaft ein aktuelles Thema», sagte Christof Widmer, Vorsitzender des Innovationsboards Tänikon. So sei es das Ziel dieser Tagung, innovative Ideen aus der Land- und Ernährungswirtschaft zu vermitteln, die bereits praktiziert werden oder an denen geforscht wird. Das Innovationsboard, welchem unter anderem der Kanton Thurgau, die Swiss Future Farm, der Verband Thurgauer Landwirtschaft (VTL) sowie die Ostschweizer Fachhochschule (OST) angeschlossen sind, hatte den Anlass organisiert.

Dabei kamen verschiedene Betriebe, Start-ups und Forschungsinstitutionen aus der Region zusammen, um ihre Projekte zu präsentieren und sich auszutauschen. So etwa ein Unternehmen, welches Insektenfood herstellt (siehe Kasten), sowie weitere Beispiele:

Biertreber als Fleischersatz: Circular Food Solutions Switzerland AG (CFS) ist ein Spin-off der Bühler AG im sankt-gallischen Uzwil. Das Start-up setzt auf die Herstellung von Fleischersatzprodukten unter Verwendung von Biertreber. Dieser fällt als Nebenprodukt beim Brauen an. «Unsere Mission ist es, mit der Aufwertung von Nebenströmen Food Waste zu vermeiden und Abfälle zu reduzieren», sagte CEO Carsten Petry. «Dabei ist Biertreber nicht nur als alternative Proteinquelle interessant, sondern auch als Zutat aus der Region.» 

Nebst dem Biertreber sei mit Soja eine weitere Proteinquelle enthalten. Ziel sei es, auch diese aus dem Inland zu beziehen. Als Verarbeiterin konnte laut Petry die Brauerei Doppelleu in Winterthur gewonnen werden. Der Produktionsstart ist auf nächsten Herbst geplant.  

Thurgauer Tofu: «Tofu hat ein Imageproblem, er gilt als gummig sowie geschmacklos und ihm wird nachgesagt, dass er von weit herkommt», stellte Lukas Rösch fest, Mitgründer von Ensoy. Das Start-up aus dem thurgauischen Amriswil will das Gegenteil beweisen und eine breitere Kundengruppe ansprechen. Es stellt Tofu ausschliesslich von Thurgauer Biohöfen her, welcher von der Konsistenz her fein ist und mit bekannten Aromen kombiniert wird. Zum Beispiel mit Marinaden wie Senf, Mediterran, Balsamico oder Grill. Rösch wies darauf hin, dass Tofu selbst ein reines Produkt ist, welches aus Soja, Wasser und dem Gerinnungsmittel Nigari besteht. Vermarktet wird der Ensoy-Tofu vor allem über Verkaufsstandorte in der Region Ostschweiz und Zürich sowie online. Laut Rösch arbeitet Ensoy mit Agromarketing Thurgau zusammen, um den Anbau von Soja zu fördern.

Biogasanlage: Familie Müller betreibt im schaffhausischen Thayngen einen landwirtschaftlichen Betrieb mit über 100 Hektaren. Dabei liegt der Fokus auf Mastrinderhaltung und Kartoffelbau. Ein weiteres Standbein ist die Energiewirtschaft, unter anderem mit einer Biogasanlage, Fotovoltaik und seit diesem Jahr auch einer Biogas-Tankstelle. Der Betrieb liefert Energie, indem er beispielsweise Ökostrom ins öffentliche Netz einspeist und Treibstoff anbietet. Die Biogasanlage wandelt Mist, Gülle sowie Grünabfälle in Biogas, Wärme und Gärgülle um. «Biogas aus landwirtschaftlicher Produktion könnte rund 10 bis 15 Prozent der Gasimporte ersetzen», stellte Andrea Müller fest. «Heute werden jedoch erst 5 Prozent des Hofdüngers energetisch genutzt.» Auch biogene (vergärbare) Abfälle könnten laut der Land- und Energiewirtin noch viel mehr dazu genutzt werden.

Wasserverbrauch messen: Wasserknappheit wird am Bodensee zu einem immer dringlicheren Thema. Vor diesem Hintergrund hat die Fachhochschule OST für die Region Amriswil das Digitalisierungsprojekt «Smart Water» entwickelt. Dieses misst mittels verschiedener Sensoren den Wasserverbrauch und prognostiziert den Bedarf. Da Daten in Echtzeit geliefert werden, sind exakte Prognosen möglich. Wasser kann zuerst da genutzt werden, wo es am dringendsten gebraucht wird. Das System könnte dereinst auch in anderen Gemeinden zum Einsatz kommen.

Die Nachfrage nach Insektenprodukten sei leicht ansteigend, so Christian Bärtsch von Essento.

«Insektenproduktion benötigt wenig Ressourcen»
Eine weitere Proteinquelle für die menschliche Ernährung stellt die Zürcher Firma Essento Food AG her. Diese züchtet seit 2017 Tenebrio-Mehlwürmer, um daraus Fleischersatzprodukte wie etwa Burger zu verarbeiten. «Insekten liefern hochwertige Proteine, ungesättigte Fettsäuren und verschiedene Mikronährstoffe für die menschliche Ernährung», er­klärte Gründer und CEO Chris­tian Bärtsch an der Tagung. «Zudem ist die Produktion nachhaltig, sie benötigt sehr wenig Ressourcen.» Dazu komme, dass sich der Mehlwurm zu 100 Prozent für die menschliche Ernährung einsetzen lässt. Die Insekten werden laut Bärtsch mit Resten aus der Getreide- und Zuckerrübenproduktion gefüttert. «Dabei handelt es sich um Seitenströme, die nicht für die menschliche Ernährung benötigt werden.» Zum Charakter der Kreislaufwirtschaft trägt zudem bei, dass der Insektenkot als Dünger eingesetzt werden kann. [IMG 2]

Die bio-zertifizierte Zuchtanlage befindet sich auf 100 m2 im aargauischen Endingen. Hier entwickeln sich die Insekten in rund zehn Wochen bis zur Ernte vom Ei zum Mehlwurm. Die Produktionskapazität beträgt 350 kg pro Monat. Ein Teil der Tiere durchläuft den gesamten Zyklus bis zum Mehlkäfer, um die Nachzucht sicherzustellen. Während die Insekten in Endingen erstverarbeitet werden, werden die eigentlichen Produkte wie etwa Burger am Firmensitz in Zürich hergestellt. Die Nachfrage sei leicht ansteigend, die Anlage komplett ausgelastet, so Bärtsch. Nun baue Essento Insect Food in Deutschland eine Pilotanlage mit einem vierfach grösseren Output.