Christopher Rohrer spricht von Vertrauen und Miteinander. Ohne gehe es nicht, betont der Leiter der Direktion Nachhaltigkeit und Wirtschaftspolitik des Migros-Genossenschafts-Bunds (MGB). Am Dienstag hat er im Rahmen der Bilanzmedienkonferenz die neue Nachhaltigkeitsstrategie 2030 vorgestellt.[IMG 2]
Das Fazit aus dieser Konferenz ist schnell gezogen: Die Migros scheint wirtschaftlich gut aufgestellt, die Restrukturierungen der letzten Monate haben sich zumindest in den Zahlen positiv niedergeschlagen. Dennoch sorgten einige Massnahmen der Migros für negative Schlagzeilen. Auch Rohrer musste sich bereits mit Kritik auseinandersetzen. So titelte der «Tagesanzeiger» im Mai des letzten Jahres: «Migros will nicht mehr nachhaltigste Detailhändlerin der Welt sein.» Es hiess weiter, dass künftig nicht mehr Umweltverträglichkeit, sondern der Preis im Marketing im Vordergrund stehen solle, und dass Nachhaltigkeitschef Christopher Rohrer mit seinen Vorgängern breche.
Neue Strategie
Nach der Präsentation der neuen Strategie am Dienstag in Zürich ist von diesem Eindruck jedoch keine Rede mehr. Die Nachhaltigkeitsstrategie 2030 der Migros orientiert sich konsequent an den planetaren Grenzen und den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen (SDGs). Während andere Unternehmen Nachhaltigkeitsstrategien zurückfahren, stellt Migros-Chef Mario Irminger klar: «Die Migros hält daran fest.» Besonders hervorzuheben sei, dass die Strategie einheitlich für alle Unternehmen der Migros-Gruppe gilt und klare Zielsetzungen in den Bereichen Reduktion von Treibhausgasemissionen, Förderung der Biodiversität und Kreislaufwirtschaft vorgibt.
Klimaschutz und Landwirtschaft
Die Migros-Gruppe hat sich zum Ziel gesetzt, die landwirtschaftlichen Treibhausgasemissionen bis 2030 um 33,3 % und bis 2050 um 72 % im Vergleich zu 2019 zu senken. Dies betrifft insbesondere die durch beschaffte Agrarprodukte und Dienstleistungen verursachten Emissionen. Gleichzeitig soll bis 2026 sichergestellt werden, dass 67 % der nichtlandwirtschaftlichen Emissionen durch wissenschaftsbasierte Reduktionsziele der Lieferanten abgedeckt sind. Laut dem Konzern stellt dies einen bedeutenden Schritt dar, um die Landwirtschaft nachhaltiger und klimafreundlicher zu gestalten.
«Je mehr sektorielle Lösungen wir haben, desto grösser wird der Aufwand für alle.»
Christopher Rohrer, Migros-Genossenschafts-Bund.
Förderung der Biodiversität
Ein zentrales Anliegen der neuen Strategie ist der Schutz der Biodiversität. Bis 2050 will die Migros einen wesentlichen Beitrag zur Regeneration der Natur auf dem Land, im Wasser und in den Ozeanen leisten. Konkret verpflichtet sich das Unternehmen, bis 2025 entwaldungsfreie Lieferketten für kritische Rohstoffe wie Kaffee, Kakao, Palmöl, Rindfleisch und Soja sicherzustellen. Zudem sollen bis 2026 wissenschaftsbasierte Biodiversitätsziele in den Kategorien Land und Wasser definiert werden.
Bereits heute setze die Migros auf partnerschaftliche Programme zur Förderung der Artenvielfalt, erklärt Rohrer. So verweist er auf die Schweizer Bio-Knospe und den IP-Suisse-Käfer. Dadurch sei die Migros mittlerweile die grösste Abnehmerin von biodiversitätsfreundlich produzierten Lebensmitteln. Auch im Bereich Wasser engagiere sich das Unternehmen intensiv, beispielsweise durch Projekte zur nachhaltigen Bewässerung in wasserkritischen Regionen wie der Erdbeerproduktion in Spanien.
Kampf gegen Food Waste
Auch die Lebensmittelverschwendung will die Migros reduzieren. Das Ziel: Bis 2030 soll die Lebensmittelverschwendung in den eigenen Betrieben und Filialen um 50 % im Vergleich zu 2019 gesenkt werden. Dies soll durch einen branchenspezifischen Aktionsplan erreicht werden. Darüber hinaus sollen optimierte Verpackungen und geringere Abfallerzeugung dazu beitragen, die Treibhausgasemissionen um weitere 10 % zu reduzieren. Zudem sollen bis 2030 alle Verpackungen der Migros zu 100 % rezyklierbar sein.
Christopher Rohrer im Gespräch
Nach der Präsentation der Strategie stellt sich die Frage: Wie geht es nun weiter? Christopher Rohrer erklärt, dass die Nachhaltigkeitsstrategie ein Bekenntnis zur Schweizer Landwirtschaft darstelle. «Wir sind sehr froh und dankbar, dass die Schweizer Landwirtschaft im Gegensatz zu Importprodukten eine viel höhere Leistung erbringt», betont er. Nun gehe es darum, die konkreten Inhalte auszuarbeiten, die im Herbst kommuniziert werden sollen.
Doch wie sieht die Zusammenarbeit mit den Landwirten konkret aus? Auf die Frage, ob die Migros bereits eine klare Strategie verfolgt, erklärt er: «Zum einen sehe ich die Dynamik, die hier entsteht, sehr positiv. Die grösste Herausforderung liegt in der gemeinsamen Definition der Emissionsfaktoren. Es gibt zwar verschiedene Studien, doch derzeit fehlt ein gemeinsamer Nenner. Solange wir uns hier nicht einig sind, können wir auch keine einheitliche Klimabilanz definieren.»
Betriebliche Lösung
Ein erster Schritt sei daher die Definition der Emissionsfaktoren. «Danach wollen wir definitiv eine Vorreiterrolle übernehmen und mit der gesamten Branche sowie der Landwirtschaft die Thematik diskutieren», so Rohrer.
Gleichzeitig müsse der administrative Aufwand für Landwirte und die Migros selbst reduziert werden. «Je mehr sektorielle Lösungen wir haben, desto grösser wird der Aufwand für alle. Deshalb wollen wir eine betriebliche Lösung anstreben, wie sie beispielsweise IP-Suisse erfolgreich entwickelt hat und damit bereits eine Vorreiterrolle einnimmt», erklärt Rohrer abschliessend.
Nachhaltigkeit auf den Tisch
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Kommentar von Livio Janett
Diese Woche hat die Migros an ihrer Bilanzmedienkonferenz ordentlich aufgetischt. Aus landwirtschaftlicher Sicht ist das Bekenntnis zu mehr Nachhaltigkeit und zur Schweizer Landwirtschaft ganz klar der Leckerbissen im Füllhorn, das die Konzernleitung vor den Journalistinnen und Journalisten ausschüttete. Dabei scheinen die nicht-landwirtschaftlichen Medien erst auf den zweiten Blick erkannt zu haben, dass dieses Bekenntnis hier eigentlich der interessanteste Happen war. Stattdessen lösten die Gewinne des Unternehmens, der Umbau des Konzerns oder sogar die Attraktivität des Cumulus-Programms die ersten Schlagzeilen aus. Kein Wunder, schliesslich ist der riesige Komplex «Nachhaltigkeit» kein leichter Snack für zwischendurch.
Doch was nützen uns Cumulus-Punkte, wenn künftige Generationen keine Grundlage mehr haben, auf der sie Lebensmittel für die Schweizer Bevölkerung produzieren können? Jetzt geht es um Wichtigeres. Eine konkrete Strategie konnte die Migros-Chefetage der versammelten Presse jedoch noch nicht vorlegen. Mit der Absichtserklärung, künftig nachhaltig produzierte Lebensmittel für alle Konsumentinnen und Konsumenten bereitstellen zu wollen, lässt die Migros aber trotzdem eine zünftige Tischbombe platzen. Bleibt nur zu hoffen, dass es nicht bei einer einmaligen Knallerei bleibt, sondern dass tatsächlich ein nachhaltiges Festmahl serviert wird. l.janett@bauernzeitung.ch
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