Fotofalle weist zweites Wolfsrudel im Glarnerland nach Friday, 10. September 2021 Vor einer Woche wurde auf der Alp Ännetseeben in der Gemeinde Glarus Süd ein 11 Monate altes Rind tot aufgefunden. Die Abklärungen vor Ort ergaben, dass das Tier von einem oder mehreren Wölfen des Kärpfrudels getötet und genutzt wurde. Es handelt sich dabei um den ersten Wolfsriss eines Rindes im Kanton Glarus. Der Glarner Bauernpräsident Fritz Waldvogel nimmt dazu Stellung.

Fritz Waldvogel, wie ordnen Sie dieses neuste Ereignis ein?

Fritz Waldvogel: Noch vor drei, vier Jahren hiess es von offizieller Seite, Wölfe würden sich an Schafe und Ziegen halten und Rinderrisse seien keine zu befürchten. Wie bereits andere Kantone zuvor haben wir nun erlebt, dass dies nicht stimmt. Mit dem Riss eines Rindes auf der Alp Ännetseeben ist eine Schwelle überschritten worden. Auf der Alp Wichlen, wo es letztes Jahr zahlreiche Schafsrisse gegeben hatte, wurde das Weidemanagement inzwischen verändert, es kam zu keinen weiteren Fällen. Erschreckend ist, dass die Wölfe nun auf die nächste verfügbare Tiergattung wechseln.

Wie ist die Stimmung auf den Glarner Alpen? 

Es herrscht Frustration und Verunsicherung vor. Die Leute fühlen sich machtlos und haben Angst. 

Es ist mitten in der Alpsaison. Was können Sömmerungsbetriebe tun, um weitere Angriffe auf Rinder zu verhindern? 

Im Gegensatz zu den Schafalpen, auf denen Zäune und Herdenschutzhunde zum Einsatz kommen, gibt es beim Rindvieh keinen wirksamen Herdenschutz. Im Falle der Alp Ännetseeben wurden die verbliebenen 40 Tiere auf eine entferntere Weide getrieben. Nun ist zu hoffen, dass diese Massnahme für Ruhe sorgt. Ereignen sich dennoch weitere Risse, bietet die Einsatzgruppe Herdenschutz den betroffenen Alpen Unterstützung. Diese besteht aus rund 10 Freiwilligen, meist Landwirten, die bisher bei Schafsrissen zum Einsatz kamen. Sie helfen etwa beim Zäunen und Schafezählen, was alles sehr aufwendig ist. Damit entlasten sie das Alppersonal, dessen alltägliche Arbeit schon streng genug ist. Es ist herausfordernd, den Leuten zu zeigen, was die Konfrontation mit dem Wolf für die Involvierten bedeutet.

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Was fordert der Glarner ­Bauernverband?

Wir fordern mehr Unterstützung durch die Wildhut. Wenn Tiere gerissen werden, soll sie die angreifenden Wölfe, wenn sie nicht geschossen werden können, mit Böllern und Gummigeschossen vergrämen. Zudem erwarten wir, dass die Jagdverwaltung bei einem Ereignis sofort reagiert und kommuniziert. Was nicht immer der Fall ist. Auf der Mürtschenalp wurden zwischen Ende Juni und Mitte Juli 9 Schafe gerissen, 11 weitere werden vermisst. Diese Risse werden dem neu gebildeten Schiltrudel zugeordnet. Über das weitere Vorgehen hat die Jagdverwaltung noch nicht informiert. Das ist frustrierend. Weiter unterstützten wir die Motion Freuler, die im Frühling im Glarner Landrat eingereicht wurde. Diese fordert, dass Wölfe mit Sendern ausgerüstet werden, um sie zu orten und gezielt zu vergrämen.

Reagieren die Behörden ­generell zu wenig schnell?

Aus unserer Sicht sicher. Die Behörden sollten vor allem energischer reagieren. Beispielsweise muss das Einreichen eines Regulierungsgesuchs sofort passieren. 

Das Kärpfrudel wurde im letzten Winter reguliert, indem zwei Jungtiere erlegt wurden. Dennoch verbreitet sich der Wolf weiter. Wie müsste eine Regulierung aussehen, damit sie wirksam ist?

Uns Landwirten ist klar: Das Rudel muss entfernt werden, damit es nicht weiter ausgreift. Das heisst, Tiere mit schlechten Angewohnheiten müssen entfernt werden, damit sie diese nicht an ihre Nachkommen weitergeben können. Im Kanton Graubünden kam es im letzten Winter zu diesem Schritt, als der Leitrüde des Beverinrudels erlegt wurde. 

Die Alp Ännetseeben befindet sich in einem Jagdbanngebiet. Was bedeutet dies?

Die Regulierung kann laut Bundesgesetz nur ausserhalb einer solchen Zone erfolgen. Doch das Schutzgebiet reicht bis an Siedlungen heran. Die gesetzlichen Bestimmungen berücksichtigen nicht, dass dort auch gelebt und gearbeitet wird.

​Werden die Sömmerungsbetriebe langfristig aufgegeben?

Die Anzeichen dafür sind da. Im Frühling erhielt der Natura-Veal-Kanal vermehrt Anfragen von Bündner Mutterkuhhaltern, die ihre Kälber lieber vorzeitig schlachten lassen wollten, als sich während der Alpsaison der Angst vor dem Wolf auszusetzen. Jeder überlegt sich, wie er seine Tiere schützen kann. Alle sind gestresst, auch das Alppersonal. Es gibt Leute, die noch vor fünf Jahren vom Herdenschutz überzeugt waren und jetzt am Verzweifeln sind. Doch Aufgeben ist keine Option, es geht schliesslich um unsere Alpen und die Natur.

Zur Person
Fritz Waldvogel aus ­Ennenda ist Präsident des Glarner Bauernverbands.

 

Gesuch um Regulierung
Ein getötetes oder schwer verletztes Rind gilt aufgrund der gesetzlichen Grundlage des Bundes als erheblicher Schaden, welcher die Regulation eines Wolfsrudels erlaubt. Daher hat die Abteilung Jagd und Fischerei des Kantons Glarus nach dem Riss eines Jungrindes auf der Alp Ännetseeben nicht nur mit der zuständigen Fachstelle des Bundesamtes für Umwelt Kontakt aufgenommen, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Auch bereitet die Abteilung für Jagd und Fischerei ein Gesuch für eine Regulierung vor. Diese würde mit dem Abschuss der Hälfte der Jungtiere des betreffenden Kärpfrudels erfolgen. «Wir hoffen, dass es bei einem Einzelfall bleibt und die Tiere nicht auf den Geschmack kommen», sagte Abteilungsleiter Christoph Jäggi gegenüber der BauernZeitung. Was, wenn es zu weiteren Angriffen auf Rinder kommt? «Dann müsste man weiter­gehen, indem allenfalls eines der Elterntiere erlegt würde», so Jäggi.