Während des Corona-Lockdowns war der Einkaufstourismus unterbunden. Hierzulande machten Hamstereinkäufe und von Kunden überrannte Hofläden Schlagzeilen.
Ernüchterte Verbände
Zu sehen, wie nur wenige Wochen nach der Grenzöffnung der Einkaufstourismus wieder florierte, sei «ernüchternd» gewesen, schreiben der Verband Schweizer Gemüseproduzenten (VSGP), Swisscofel, Schweizer Obstverband (SOV), die Vereinigung Schweizer Kartoffelproduzenten (VSKP) und die Schweizerische Vereinigung für einen starken Agrar- und Lebensmittelsektor (SALS) in einer gemeinsamen Medienmitteilung. Die Motivation fürs Einkaufen ennet der Grenze seien die tiefen Preise im nahen Ausland.
Produktionskosten bleiben
Die Verbände verweisen auf eine Studie der Hochschule St. Gallen (HSG) in ihrem Auftrag. Diese zeige auf, dass «selbst im Falle eines Freihandels die Produktionskosten für Schweizer Obst, Gemüse und Kartoffeln nicht gesenkt werden könnten und auch der Handel seine Dienstleistungen nicht markant vergünstigen könnte». Die Forschenden untersuchten Tafeläpfel, Lagerkarotten, Rispentomaten und Kartoffeln. Die Studie kommt zu diesen Ergebnissen:
Strukturkosten: Die Kosten für Gebäude, Maschinen und Land machen jeweils mindestens 30 Prozent der Aufwände aus.
Arbeitskosten: Der Anteil der Arbeitskosten reicht von 16 %
(Lagerkarotten) bis 49 % (Tafeläpfel).
Grosshandel: Beim Grosshandel haben Strukturkosten auch eine grosse Bedeutung (Kühllager, Sortiermaschinen usw.). Der geschätzte Anteil der Arbeitskosten reicht von 26 % (Lagerkarotten) bis 34 % (Kartoffeln).
Produzentenpreise: Die Unterschiede zwischen der Schweiz und wichtigen Konkurrenzländern in der EU sind erheblich. Bei Karotten liegen die Preise in den betrachteten Ländern 60 % tiefer als in der Schweiz. Tafeläpfel sind im Schnitt 52 % günstiger. Bei Tomaten beträgt der Unterschied 49 % und bei Kartoffeln 46 %.
Konsumentenpreise: Bei den Konsumentenpreisen sei nur ein Vergleich mit den direkten Nachbarländern Deutschland, Frankreich und Österreich möglich, schreiben die Forschenden. Die grösste durchschnittliche Abweichung ist wie bei den Produzentenpreisen bei den Karotten festzustellen, wo die Preise 51 % tiefer liegen. Speisekartoffeln sind im Schnitt 41 % günstiger, Tafeläpfel 38 %.
Arbeitskräfte: Die Arbeitskosten in der Landwirtschaft sind im Vergleich zum Durchschnitt der Nachbarländer (Deutschland, Frankreich, Italien) 38 % höher für ständige Arbeitskräfte und 22 % höher für Saisonarbeitskräfte.
Vorschlag: Wertfreigrenze senken
Es wäre selbst bei einem Freihandel «unmöglich», dass Schweizer Produzenten und Grosshändler die Kosten bei zentralen Produktionsfaktoren entscheidend senken könnten, bilanzieren die Verbände in ihrer Mitteilung. Der Grenzschutz wirke beim Einkaufstourismus nicht. Sie schlagen vor, die wertmässige Freigrenze für Lebensmittel auf 50 Franken pro Person und Tag zu reduzieren. Gleiches müsste für die Mehrwertsteuer-Befreiung zutreffen. Auch beim Onlinehandel seien Massnahmen nötig.
Hoffen auf das Parlament
Die landwirtschaftlichen Verbände hoffen auch auf das Parlament. Der Nationalrat will den Einkaufstourismus bremsen. Er hat am vergangenen Freitag mit 115 zu 54 Stimmen bei zehn Enthaltungen einer entsprechenden Motion seiner Finanzkommission zugestimmt. Der Vorstoss verlangt, den Mindestbetrag herabzusetzen, bis zu dem für Einkäufe im Ausland keine Mehrwertsteuer bezahlt werden muss. Diese Wertfreigrenze liegt derzeit bei 300 Franken pro Person und Tag. Erst wenn der Wert des im Ausland Eingekauften diesen Betrag übersteigt, muss für den gesamten Warenwert die Mehrwertsteuer bezahlt werden.
Neue Bagatellgrenze
Neben dem Vorschlag einer tieferen Wertfreigrenze schlägt die Motion vor, die Wertfreigrenze an die Ausfuhr-Bagatellgrenze des Herkunftslandes anzupassen. Bei dieser handelt es sich um den Mindesteinkaufsbetrag im Ausland, welcher pro Verkaufsgeschäft oder pro Rechnung erreicht werden muss, damit die Mehrwertsteuer zurückerstattet wird (siehe Kasten).
Bundesrat und SP dagegen
Der Bundesrat lehnt den Vorstoss ab. Laut Finanzminister Ueli Maurer löst dieser das Problem des Einkaufstourismus nicht. Viel mehr ins Gewicht fielen der starke Franken oder die höheren Löhne und Preise in der Schweiz.
Auch die SP bezeichnete die Motion als falschen Weg für eine Lösung, wie die Nachrichtenagentur Keystone-sda berichtete. Ansonsten stimmten aber alle Fraktionen mehrheitlich für die Motion. Diese geht nun an den Ständerat.
Gleich ganz abschaffen?
Einen weiteren Vorschlag haben die Kantone Thurgau und St. Gallen parat: Sie möchten die Wertfreigrenze auf privaten Wareneinfuhren gleich ganz abschaffen. Neu soll bei sämtlichen Wareneinfuhren im Inland eine Mehrwertsteuer entrichtet werden, wenn diese im Ausland zurückerstattet wird.
Der Nationalrat sprach sich mit 108 zu 60 Stimmen bei 14 Enthaltungen für die zwei entsprechende Standesinitiativen aus. Die beiden Standesinitiativen gehen nun noch einmal an den Ständerat, der sie bei einer ersten Beratung abgelehnt hatte.
Der Verband Schweizer Gemüseproduzenten ist «vorsichtig optimistisch», dass die Vorstösse diesmal mehrheitsfähig sein könnten, wie Stv. Vizedirektor Markus Waber im Interview sagt.