Im Juni kam es bei der Migros zu einem ungewohnten Bild: halbleere Gestelle bei Milch und Käse. Grund dafür war keine Knappheit bei der Produktion, sondern eine missglückte Umstellung des SAP-Systems im Hochregallager der Elsa-Group in Ursy FR. Dort blieb der automatisierte Kran stehen, der normalerweise Käsepaletten nach den Bestellungen der Filialen bereitstellt. Über Wochen konnte die Ware nicht in der geforderten Geschwindigkeit ausgeliefert werden.
Tonnen verderblicher Ware stauen sich
Die Migros beteuert zwar, die Kundschaft sei «seit mehreren Wochen vollumfänglich versorgt», doch das Lager in Ursy läuft bis heute nicht mit voller Kapazität. Währenddessen floss die Milch auf den Höfen unvermindert weiter. Die Konsequenz: Viele Tonnen verderblicher Ware stauten sich in Estavayer FR und Ursy.
Der «Infosperber» berichtete, dass ein Teil dieser Produkte an karitative Organisationen wie «Tischlein deck dich» oder die Caritas weitergegeben wurde, ein anderer Teil als Schweinefutter endete und wohl auch manches schlicht entsorgt wurde. «Infosperber» ist ein unabhängiges, spendenfinanziertes Online-Magazin, das nach eigenen Angaben kritisch Themen aufgreift, die in den grossen Medien oft zu kurz kämen.
Während Konsumenten in erster Linie ihr Produkt nicht finden, ist eine solche Entwicklung über Wochen für die Bäuerinnen und Bauern brisant: Ihre Milch wird zwar angeliefert, verliert im Lager aber ihren Wert, sobald die Logistik klemmt.
Partner und Lieferanten halfen aus
Um die Versorgung zu sichern, griff die Migros kurzfristig auf ihr Netzwerk von Partnern und Lieferanten zurück, wie sie gegenüber der BauernZeitung erklärt. Nach eigenen Angaben kam es lediglich zu «geringen Umsatzeinbussen im tiefen einstelligen Prozentbereich während einer kurzen Zeit». Heute, so der Konzern, gebe es «keine Umsatzeinbussen mehr». Gemeinsam mit dem Implementierungspartner arbeite man daran, die Störungen endgültig zu beheben – und wolle daraus Lehren für künftige Digitalisierungsprojekte ziehen.
Was geht mit der Industrie?
Abseits der akuten Probleme mit Elsa steht die Frage, wie es um die Migros-Industrie insgesamt bestellt ist. Nach Darstellung der Migros ist die Elsa-Group «sowohl operativ als auch finanziell solide aufgestellt». Ein Abbau in der Industrie sei nicht vorgesehen, vielmehr bezeichnet der Konzern sie als «strategischen Pfeiler».
Im Fleischgeschäft steht die Migros mit Micarna unter Druck des grossen Mitbewerbers Bell. Gerade deshalb sei die neue Anlage von Micarna «strategisch wichtig, um noch effizienter zu produzieren», betont der Konzern.
Auch längerfristig hält man nach eigenen Aussagen an der M-Industrie fest. Ein Verkauf sei nicht geplant, stattdessen verfolge man eine «Strategie der Konsolidierung und Effizienzsteigerung». Die eigene Produktion sei ein Alleinstellungsmerkmal und Garant für Qualität. Ein Ausstieg würde «die Unabhängigkeit und die Markenposition schwächen». Migros verweist darauf, dass ihre Industrie weltweit zu den grössten Eigenmarkenproduzenten gehört.
Für die Bauern bedeutet dies: Jede strategische Entscheidung der Migros in ihrer Industrie, sei es bei Milch oder Fleisch, wirkt unmittelbar auf die Wertschöpfungskette. Störungen wie jene in Ursy zeigen, dass selbst kleine technische Fehler grosse Folgen haben können – und letztlich diejenigen treffen, die ihre Rohstoffe zuverlässig liefern.
Die Migros-Industriebetriebe
Die Migros Industrie gehört zu den grössten Eigenmarkenproduzenten Europas. Sie umfasst mehrere Unternehmensgruppen:
Elsa Group: Milchprodukte, Käse, Rahm, Joghurt, pflanzenbasierte Produkte.
Micarna-Gruppe: Fleisch, Geflügel, Eier, Seafood.
Fresh Food und Beverage Group (FFB-Group): Backwaren (Jowa), Getränke und Convenience (Bischofszell Nahrungsmittel AG), Sushi Mania und weitere Anbieter frischer Produkte.
Delica AG: Genussmittel wie Schokolade, Kaffee, Biscuits, Snacks, Koch- und Backprodukte (u. a. Chocolat Frey, Midor).
Insgesamt beschäftigt die Migros Industrie rund 11 000 Mitarbeitende an etwa 50 Standorten und produziert über 16 000 verschiedene Produkte.