Für Hans Wyss bedeutet der Wechsel an die Spitze der Identitas AG keine völlig neue Aufgabe. Fast zehn Jahre sass er bereits im Verwaltungsrat – allerdings ist das bereits einige Jahre her. Nun übernimmt er das Präsidium.

Zuvor stand er während rund einem Vierteljahrhundert an der Spitze des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV). «Ich bin einer der letzten, die den Anfang der Identitas miterlebt haben», sagt er. «Ich bin gespannt auf diesen Wechsel von der Eigner- zur Unternehmensseite – und höre mir die Herausforderungen aus Sicht der Betroffenen an.»

«Kerngeschäft» ist TVD

Diese Betroffenen sind nicht nur die Mitarbeitenden, «die ihr Bestes geben», sondern ebenso die Tierhalterinnen und Tierhalter im Nutz- wie auch im Heimtierbereich, «die ihre Tiere registrieren müssen und eine gute Dienstleistung wollen», wie Wyss erklärt.

Die Identitas AG betreibt im Auftrag des Bundes die Tierverkehrsdatenbank (TVD). Sie entstand in den 1990er-Jahren als Folge der BSE-Krise. «Die lückenlose Tierverkehrskontrolle hat den grössten Fortschritt gebracht und ist auch heute noch das Kerngeschäft – oder besser gesagt der Kernauftrag», so Wyss. Doch die Identitas arbeitet längst nicht nur für den Bund. «Kantone und Private sind ebenfalls Auftraggeber geworden, und die sind wichtig», ergänzt er.

Anspruchsvolle Lage

Ein Schwerpunkt bleibt für Hans Wyss auch in seiner neuen Aufgabe die Tiergesundheit. «Die Tierseuchensituation ist im Moment eine der aktuellsten und vielseitigsten Bedrohungen überhaupt», sagt er im Gespräch mit der BauernZeitung. Die Schweiz habe sehr erfolgreich Seuchen ausgerottet: «In den Achtzigerjahren haben wir IBR oder Brucellose ausgerottet. Das wird heute als selbstverständlich betrachtet. Aktuell sind wir bei der BVD-Ausrottung praktisch auf der letzten Meile.»

Heute aber sei die Lage anspruchsvoller: «Jetzt kommt eine Situation, in der wir mit Krankheiten konfrontiert werden, die in meiner Ausbildung als Tierarzt kaum eine Rolle gespielt haben.» Er nennt die Lumpy-Skin-Krankheit (LSD) und die Afrikanische Schweinepest (ASP) als Beispiele. Besonders problematisch seien dabei Krankheiten, bei denen die Übertragung durch Insekten passiere. «Fakt ist: Krankheiten, die von Vektoren übertragen werden, nehmen zu. Die klimatischen Entwicklungen führen dazu, dass diese Insekten bei uns überleben können.»

Für Hans Wyss ist klar: «Seuchenbekämpfung bedeutet immer zwei Dinge. Erstens: Alles machen, damit sich die Seuche nicht weiterverbreitet. Und zweitens: Herausfinden, wie sie eingeschleppt wurde und wie man das in der Zukunft verhindern kann.»

Das sei nur möglich mit vollständiger Dokumentation: «Das A und O ist die lückenlose Dokumentation des Tierverkehrs.» Die Schweiz habe hier eine besondere Situation: «Kaum ein Land hat eine so grosse Dichte an Viehhändlern wie wir. Meist geht ein Tier vom Bauern zum Händler, nicht direkt zum nächsten Bauern», weiss er. Gefragt danach, wie er sich eine solche spezielle Struktur erklärt, sagt Wyss: «Das sind gewachsene Strukturen – und sie werden auch genutzt, sie haben sich bewährt.»

Neues Angebot

Gerade an dieser Stelle zeigt sich für Hans Wyss, wie eng Landwirtschaft und Digitalisierung heute zusammengehören. Komplexe Strukturen wie der Tierverkehr lassen sich seiner Ansicht nach nur dann zuverlässig abbilden, wenn moderne Systeme im Hintergrund für Transparenz und Effizienz sorgen. Digitalisierung bedeutet für ihn deshalb nicht einfach nur mehr Kontrolle, sondern die Voraussetzung dafür, dass Tierhalter entlastet und Abläufe vereinfacht werden können.

Hier setzt die Identitas an: Mit E-Transit kommt demnächst ein Angebot auf den Markt, das – in einem ersten Schritt für Rinder – den Tierverkehr für alle Beteiligten vereinfacht. Wyss macht deutlich, dass digitale Lösungen in der Landwirtschaft nur dann Bestand haben, wenn sie für die Praktikerinnen und Praktiker echten Nutzen bringen – und genau darauf legt er den Fokus.

Hans Wyss weiss, dass nicht alle gleich mitziehen können: «Eine ältere Generation hat vielleicht Mühe damit. Aber die technischen Möglichkeiten sollen Bedürfnisse erfüllen und Vorteile bringen.» Anstatt sich kontrolliert zu fühlen, sollten für die Betroffenen vor allem die Vorteile spürbar werden. Aus seiner Erfahrung weiss er: «Wir sind sehr geprägt davon, dass negative Kritiken viel Resonanz haben; das ist auch in der Landwirtschaft nicht anders. Sie sind aber meist verschwindend klein, erhalten aber oft eine grosse Plattform.» Daher müsse man den positiven Erfahrungen mehr Gewicht geben: «Das ist der beste Weg – wenn Betroffene von etwas Gutem sprechen.»

Wert sichtbar machen

Gefragt nach seinem Zukunftsbild der Nutztierhaltung in der Schweiz erklärt Hans Wyss: «Ich glaube, dass in der Schweiz die Nutztierhaltung auch weiterhin eine wichtige Rolle spielen wird. Unsere Betriebe produzieren auf einem sehr guten Niveau.» Zwar gehe die Zahl der Milchkühe zurück, doch die Leistung pro Tier steige. Entscheidend sei, den Wert der Produktion sichtbar zu machen: «Wir müssen zeigen, dass wir ein wertvolles Gut produzieren und dabei auch das Tierwohl eine grosse Bedeutung hat. Was hier produziert wird, hat Wert.»

Besonders wichtig in diesem Zusammenhang sei die Rolle der Grünlandbewirtschaftung: «Aus Gras können nur Wiederkäuer etwas machen. Also ist Rindviehhaltung in der Schweiz zielführend. Milch- und Fleischproduktion ergeben in der Schweiz einfach Sinn.»

Darin spiele auch die Tierverkehrsdatenbank als ein Puzzleteil eine wichtige Rolle. Die Rückverfolgbarkeit helfe, diesen Wert zu belegen: «Identitas ist ein Teil der ganzen Produktion, der zeigen kann, wie gut wir das machen.»

Zu wenig politisches Gehör

Sicher ist aber auch: Der Heimtierbereich wird weiter an Bedeutung gewinnen. Auch wenn das die Landwirtschaft nicht primär betreffe, sei auch sie Halterin von Heimtieren. Hier sprechen wir mit dem neuen Identitas-Präsidenten über die stets problematischer werdende Katzensituation: «Ein grosser Teil der streunenden Katzen stammt ursprünglich vom Bauernhof», weiss er.

Bisher habe in diesen Belangen aber politisch nichts gegriffen. «Wenn man zum Schluss kommt, dass die Situation mit den Katzen ein Problem ist, dann braucht es Massnahmen.» Wyss kann sich eine Registrationspflicht vorstellen: «Wir haben mit Anis ein funktionierendes System und sind bereit», sagt er. Doch politisch habe das bislang wenig Gehör gehabt.

Schutz sicherstellen

Auch die Nutzung von Antibiotika und Pflanzenschutzmitteln ist für Hans Wyss ein zentrales Thema. Zum Einsatz von Antibiotika und der dazu von Identitas betriebenen Plattform Abidat sagt Wyss: «Ziel muss sein, dass wir Antibiotika und Pflanzenschutzmittel verantwortungsvoll einsetzen, damit wir dort, wo Tiere oder Pflanzen Schutz brauchen, diesen auch sicherstellen können.»

Beim Pflanzenschutzmittel-Einsatz verweist Wyss auf den Spagat zwischen Produzenteninteressen und Umweltschutz: «Wir haben einen ausgeprägten Schutz der Gewässer. Das ist ein Gut, das es zu bewahren gilt. Gleichzeitig verstehe ich die Produzenten, die gleich lange Spiesse möchten, wie die Produzenten im umliegenden Ausland.» Mit dem Aufbau der Geschäftsstelle Fachbewillung Pflanzenschutzmittel (FaBe PSM) hat sich die Identitas AG das Ziel gesetzt, die in der Branche anerkannte Dienstleistungsorientierung einzubringen, einschliesslich dem bewährten dreisprachigen Kundensupport.

Aktuelle Projekte der Identitas AG im Überblick
 
Erneuerung TVD: Die aktuelle TVD entspricht in ihrer System-Architektur nicht mehr dem Stand der Technik. Die TVD wird deshalb bis 2030 schrittweise rundum erneuert und damit Bedienbarkeit und Mobilfähigkeit optimiert.

E-transit: Die auf Basis eines QR-Codes rein digitale Dokumentation von Rinder-Transporten vereinfacht die Übergabe zwischen Tierhaltenden, Transporteuren, Kontrollstellen und Schlachtbetrieben; ein wirklicher Meilenstein bei der Digitalisierung. Start: Herbst 2025

FaBe PSM: Ab 2027 benötigt man für den Kauf von Pflanzenschutzmitteln eine Fachbewilligung. Die von der Identitas AG entwickelte App ermöglicht den einfachen Nachweis für den Käufer resp. die Überprüfung durch die Verkaufsstelle. Start: Januar 2026

Animundo: Die Tochtergesellschaft der Identitas AG wird als Wissens- und Informationsplattform erweiterte Dienstleistungen für Hunde- und Katzenhaltende anbieten. Start: Winter 2026

Tag4farm: Das aus dem Herdenmonitoring hervorgegangene Angebot bietet vorwiegend Landwirtschaftsbetrieben Dienstleistungen in den Bereichen Geolokalisierung (Tiere, Infrastruktur), Nutzungs- und Aktivitätsverhalten, Parzellennutzung usw. Start: Frühling 2026.