Drei Monate noch und schon beginnt die nächste Alpsaison. Damit einher gehen jeweils zahlreiche Vorbereitungen. Dieses Jahr in den Kantonen Graubünden und Glarus ganz besonders: Aufgrund der zunehmenden Wolfspräsenz wird man in diesen Regionen mit einem hohen Anteil an Mutterkühen besonders dazu gedrängt, sich vermehrt mit verschiedenen Aspekten der Sömmerung auseinanderzusetzen. So hat das Amt für Lebensmittelsicherheit und Tiergesundheit des Kantons Graubünden kürzlich die neue Wegleitung «Abkalbungen auf Sömmerungsbetrieben» herausgeben, die nach Möglichkeit ab diesem Sommer umgesetzt werden soll.
Separate Abkalbeweide
Kälbergeburten auf der Alp dürfen künftig nur noch stattfinden, wenn diese dafür eingerichtet ist. So braucht es separate Abkalbeweiden, die für hochträchtige Rinder bis 14 Tage nach der Geburt vorgesehen sind. Diese maximal fünf Hektaren grossen Weiden müssen für das Alppersonal gut einsehbar, mit zwei elektrifizierbaren Litzen umzäunt und gut erreichbarer sein und sich an absturzsicherer Lage befinden. Je nach Betrieb macht es auch Sinn, dass ein Sömmerungsbetrieb Abkalbeweiden auf unterschiedlichen Vegetationsstufen einrichtet.
Für Notfälle bei der Geburt sind zudem in der Nähe einer solchen Weide ein fest eingerichteter Einfang (z. B. mittels Panels), ein Pferch oder ein Stall notwendig. Ausserdem muss das Alppersonal ausgewiesene Fähigkeiten zur Betreuung von Kälbergeburten mitbringen. Zu dessen Aufgaben gehört es, die Mutterkühe und Kälber bis zwei Wochen rund um den Abkalbungstermin zweimal täglich zu kontrollieren und frühzeitig mit der Tierärztin Kontakt aufzunehmen. Die Wegleitung gib auch Anweisungen im Umgang mit Aborten und Totgeburten.
Alp kann entscheiden
Vor der kommenden Saison muss nun jeder Alpbetrieb für sich beurteilen, ob er die Voraussetzungen für Abkalbungen erfüllt. Dazu ist eine Checkliste mit 18 Fragen auszufüllen. Entscheidet sich ein Alpbetrieb zugunsten von Kälbergeburten, bedarf es einer genauen Planung: Die Verantwortlichen haben bereits vor Saisonbeginn Strategie und Vorgehensweise in einem Alpreglement oder in einer Vereinbarung festzulegen.
Fällt der Entscheid dagegen, könnte es für manche Mutterkuhhalter schwierig werden. Dass dies in seinem Fall eintreffen könnte, befürchtet Domenig Bossart aus Zillis GR: Seine Mutterkühe, die mehrheitlich während der Vegetationszeit abkalben, werden auf zwei verschiedenen Alpen gesömmert. Auf der einen sind die Milchkühe in der Mehrzahl. Dort dürfte sich daher die Mehrheit der Genossenschafter gegen die Abkalbungen entscheiden, schätzt Bossart.
Zurück auf den Heimbetrieb
Alternativ könnten hochträchtige Kühe für die Geburt zurück in den Heimbetrieb gebracht werden, sofern dieser in vernünftiger Distanz liegt. Auch liessen sich die Geburten auf ein bestimmtes Zeitfenster einschränken – was jedoch schwierig umzusetzen ist.
Die neue Wegleitung sieht sich als Hilfsmittel und Entscheidungshilfe für Mutterkuhhalter, Verantwortliche und Personal von Alpbetrieben und richtet sich an weitere Beteiligte wie Tierärzte und Kontrollorgane.
«Die Wegleitung ist ein praktischer Leitfaden, mit dem noch bestehende Mängel behoben werden können», stellt der Bündner Kantonstierarzt Giochen Bearth fest. Zudem sei sie eine Alternative für ein totales Abkalbeverbot, das auch schon gefordert wurde.
Einladend für Grossraubtiere
Grund für die ergänzenden Weisungen ist nicht nur die wachsende Wolfspopulation in den letzten Jahren, sondern auch die zunehmende Anzahl von Betrieben mit Mutterkühen, die heute ganzjährig und auch auf der Alp abkalben.
Dazu kommt die gestiegene Anzahl von Touristen im Alpenraum. So ist das Ziel, gefährliche Begegnungen zwischen Mutterkühen und Menschen zu vermeiden und zugleich das Tierwohl sowie den Herdenschutz zu fördern.
«Nötig und sinvoll»
Eine Kälbergeburt sei geradezu eine einladende Situation für Grossraubtiere, heisst es in der Wegleitung. Käme es in der geschützten Umgebung der Abkalbeweide dennoch zu einem Wolfsangriff, würde ein Riss vom Bundesamt für Umwelt (Bafu) als geschützter Nutztierriss angerechnet
Die Weisungen sind breit abgestützt: An der Erarbeitung beteiligt sind unter anderem kantonale Ämter, Plantahof, Mutterkuh Schweiz, Bündner Bauernverband, Glarner Bauernverband, Bündner ÄlplerInnen Verein, Glarner Alpverein sowie die Beratungsstelle für Unfallverhütung in der Landwirtschaft (BUL).
Markus Pfeiffer aus Tomils GR wird im kommenden Sommer zum sechsten Mal als Hirte auf der Alp Starlera bei Innerferrera arbeiten, wo auch dieses Jahr wieder einige Kühe kalben werden. «Ich finde die neuen Regelungen nicht nur nötig, sondern auch sinnvoll», meint Pfeiffer. «Sie sind zum Wohle aller und gut umsetzbar». Auch seien sie vielerorts bereits in der Vergangenheit zumindest teilweise umgesetzt worden. Auf Starlera etwa fehle nur noch die zweite Litze. «Die Wolfspräsenz ist nur ein weiterer Punkt, weshalb sich ein Umgang mit Weideabkalbungen auf diese Weise aufdrängt.»