«Betrachten wir die Arbeitsbedingungen der landwirtschaftlichen Angestellten, sehen wir einen Flickenteppich», sagte Mathias Stalder, Gewerkschaftssekretär der bäuerlichen Gewerkschaft Uniterre am Montag an einer Pressekonferenz. Zusammen mit Widerstand am Tellerrand und Agrisodu, der Plattform für eine nachhaltige Landwirtschaft, stellte er eine Studie von zwei Historikern vor.

Neun Kantone verglichen

Auftraggeber der vergleichenden Studie ist Agrisodu. Gilles Bourquin und Jan Chiarelli untersuchten die Situation der Landarbeiter(innen) in der Schweiz in neun Kantonen für den Zeitraum  von 2000 bis 2018. Die kantonalen Normalarbeitsverträge (NAV) seien sehr unterschiedlich, hielt Mathias Stalder bei der Präsentation fest.

Das gelte für die Pausen (nur neun Kantone gewähren 15 Minuten bezahlte Pausen pro Tag), Überstunden, arbeitsfreie Tage genauso wie für die zu leistenden Arbeitsstunden. Im Kanton Glarus gilt eine 66-Stunden-Woche (von Mai bis September), einzig der Stadtkanton Genf gehe mit einer 45-Stunden-Woche voraus. In den meisten Kantonen sind es zwischen 50 bis 55 Stunden.

Mindestlohn von 20 Franken

Die drei Organisationen fordern, dass die landwirtschaftliche Arbeit dem Arbeitsgesetz unterstellt wird. Die grüne Zürcher ­Nationalrätin Meret Schneider werde dazu eine Interpellation einreichen, kündigte Mathias Stalder an (siehe Kasten). Die drei Organisationen fordern:

  • Die kantonalen Standardverträge müssten harmonisiert werden
  • Eine 45-Stunden-Woche
  • Einen eidgenössischen Mindestlohn von 20 Franken brutto pro Stunde

 

Interpellation von Meret Schneider

Nationalrätin Meret Schneider (Grüne/ZH) werde in diesen Tagen eine Interpellation mit dem Titel «Aufnahme der Landwirtschaft ins Arbeitsgesetz» einreichen, sagte Mathias Stalder von Uniterre am Montag vor den Medien. Wichtig sei festzuhalten, dass die Grünen die Interpellation nicht geschlossen unterstützten. Mit einer Interpellation verlangt ein Ratsmitglied, die Mehrheit einer Kommission oder eine Fraktion vom Bundesrat Auskunft über wichtige innen- und aussenpolitische Ereignisse und Angelegenheiten des Bundes.

Drei Fragen an den Bundesrat

Meret Schneider bittet den Bundesrat im Interpellationstext um die Beantwortung der folgenden Fragen:

  1. «Anerkennt der Bundesrat die tiefen Löhne und schlechten Arbeitsbedingungen als problematisch?
  2. Wie steht der Bundesrat zu einer Aufnahme der Landwirtschaft ins Arbeitsgesetz und welche Möglichkeiten sieht er, die entstehenden Mehrkosten nicht auf die Betriebseigner(innen) abzuwälzen?
  3. Sieht der Bundesrat eine Möglichkeit, Löhne von landwirtschaftlichen Mitarbeitenden zu einem Prozentsatz mittels Subventionen mitzu-finanzieren, um das Lohnniveau in der Schweizer Landwirtschaft auf ein in der Schweiz übliches Mindestniveau anzuheben?»

Bauern finanziell unter Druck

Doch diese Auseinandersetzung können nicht geführt werden, ohne die Einkommenssituation der Bäuerinnen und Bauern zwingend einzubeziehen, sagte Mathias Stalder. «Gerade jetzt ist die Diskussion über den Druck auf die Produzentenpreise durch Coop und Migros wieder entbrannt.»

In den letzten dreissig Jahren seien die Produzentenpreise um 30 Prozent zurückgegangen. Gemäss dem Schweizer Bauernverband betrage der Anteil der Landwirtschaft am Konsumentenfranken noch 32 Rappen.

Auch bei den Direktzahlungen stellte die Studie «gravierende Mängel» fest, «denn 2018 haben die Schweizer Bäuerinnen und Bauern nur die Hälfte der 3,6 Milliarden erhalten.» Die andere Hälfte fliesse in die grossen Verarbeitungs- und Handelsketten.

Lange Arbeitstage, hohe Verschuldung

Matthias Stalder wies auf das landwirtschaftliche Einkommen von Fr. 4340.– pro Monat brutto (2018) hin. Der schweizerische Medianlohn entsprach hingegen Fr. 6538.–. Das Einkommen verschlechtere sich noch bei Hügel- und Bergbetrieben. Das widerspreche Artikel 5 des Landwirtschaftsgesetzes, wonach Betriebe «über mehrere Jahre ein Einkommen erzielen können, das mit dem der erwerbstätigen Bevölkerung in anderen Wirtschaftszweigen derselben Region vergleichbar ist.»

Und in Absatz 2 stehe, «dass der Bundesrat bei deutlich unter dem Bezugsniveau liegenden Einkommen vorübergehende Massnahmen zu deren Verbesserung ergreift.» Doch nichts geschehe, weibelte Stalder.

Dazu komme eine durchschnittliche Arbeitszeit von 67 Stunden beim Mann und von 63 Stunden bei der Frau – und dazu noch im Schnitt elf Wochenstunden im Nebenerwerb. «Insgesamt eine immense Arbeitsbelastung, bei einer hohen Verschuldung von rund 30 000 Franken pro Hektar und kargem Lohn», bilanzierte Mathias Stalder.

Genügend Erntehelfer trotz Corona

Agronomin Silva Lieberherr von Widerstand am Tellerrand sprach über die Landarbeit unter Covid-19. «Die Corona-Krise macht deutlich, welche Arbeiten für unsere Gesellschaft essenziell sind.» So seien plötzlich jene Menschen im Fokus gewesen, die zum grossen Teil für das regionale Gemüse auf unseren Tellern verantwortlich sind: Die ausländischen Erntehelfer(innen).

«Der befürchtete Mangel an Arbeitskräften blieb aus», so Lieberherr. Sie zitierte daraufhin die österreichische Aktivistin Sonia Mélo. «Was am Feld fehlt, sind nicht Erntearbeiter(innen), sondern gute Arbeitsbedingungen und eine gute Bezahlung, die dieser harten Arbeit entspricht.»

Angestellte kennen Rechte nicht

Die arbeitsrechtliche Situation sei  in der Schweizer Landwirtschaft «prekär», auch weil sie nicht dem Arbeitsgesetz unterstellt sei. Neben dem ungenügenden rechtlichen Schutz komme hinzu, dass Landarbeiter(innen) häufig aufgrund mangelnder sprachlicher Fähigkeiten ihre Arbeitsverträge und ihre Rechte zu wenig kennen würden.

So sei vielen nicht bewusst, «dass sie im Falle von Krankheit und Unfall durch die Kranken- und Unfallversicherung geschützt und finanziell abgesichert wären». Sie wüssten auch nicht, dass sie ein Recht auf ärztliche Konsultation hätten, ohne einen Lohnausfall zu riskieren. «Gerade in Zeiten von Corona scheint dieser Informationsmangel umso eklatanter», so Silva Lieberherr.

Fruchtlose Diskussion

«Die Diskussionen um die Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft sind nicht neu», sagte Philippe Sauvin von Agrisodu. In den letzten zwanzig Jahren seien zahlreiche Initiativen ergriffen worden. «Aber die Ergebnisse bleiben marginal und blieben weit hinter den längst nötigen Anpassungen zurück.» Sauvin hielt fest, dass alle Schweizer Parlamentarier(innen) einen Ausdruck der Studie erhalten hätten. «Der Gesetzgeber kann also nicht sagen, er sei sich der Situation nicht bewusst.»

Die Studie kann man hier herunterladen