Manfred Bötsch lacht, als er an einen besonderen Moment zurückdenkt. Es war vor rund 20 Jahren, als er dem damaligen Bundesrat Pascal Couchepin einen Vorschlag unterbreitete, der die damalige Tierverkehrsdatenbank AG retten und neu aufstellen sollte. «Dummerweise hat genau jener sich durchgesetzt», sagt Bötsch heute schmunzelnd.
Ende August 2025 wird er offiziell als Verwaltungsratspräsident der Identitas AG zurücktreten – nach einer langen Wegstrecke, die er entscheidend mitgeprägt hat. An der GV vom 21. Mai 2025 wurde er aber bereits verabschiedet, sein Nachfolger Hans Wyss steht bereit.
Die Schweiz ohne ein System?
In Zahlen
7,1 Mio Franken hoch ist das Auftragsvolumen für Ohrmarken zwischen 2024 und 2032,
681 063 neue Doppelohrmarken wurden letztes Jahr bestellt,
54 % der bei TVD 2024 registrierten Rindergeburten waren weiblich,
32 577 Ziegen wurden in der Schweiz im vergangenen Jahr gesömmert,
3134 Equiden wurden in der Schweiz geboren,
780 175 Katzen von schweizweit geschätzten 2 Mio sind bei Identitas registriert,
113 Mitarbeitende beschäftigt die Identitas AG in Bern, darunter sind auch viele im Teilzeitpensum beschäftigt,
42,2 Jahre beträgt ihr Altersdurchschnitt.
Die Geschichte der Identitas AG ist unkonventionell. Gegründet als privatwirtschaftliches Unternehmen, war sie bald in ernster Schieflage. Vor rund 20 Jahren stand sie kurz vor dem Konkurs. Die Situation war dramatisch.
«Die Privaten sagten: ‹Wir haben einen Leistungsauftrag, den wir nicht mehr zu erfüllen vermögen – wir müssen Konkurs anmelden›», erinnert sich Bötsch. Die Lösung musste schnell kommen. Und sie musste tragfähig sein.
Zusammen mit Ueli Kihm, dem damaligen Direktor des Bundesamtes für Veterinärwesen (BVET), ging Manfred Bötsch zu Bundesrat Couchepin. «Jeder musste vorstellen, wie er in dieser Situation gedenkt vorzugehen, denn wir brauchten ja diese Daten», sagt Bötsch rückblickend. Sonst wäre die Schweiz nicht Europa-kompatibel gewesen, kein System zu haben war nicht tragbar. «Wir mussten», sagt Bötsch deutlich. Doch dass der Bund der Identitas AG einfach Geld geben würde, ganz ohne Bedingungen, sei für ihn keine Option gewesen: «Dann wären wir in drei Jahren wieder dort gewesen, wo das Unternehmen zu jenem Zeitpunkt stand – in finanzieller Schieflage.»
Das Hauptproblem war strukturell: «Die Privaten bestellten Leistungen und forderten, aber niemand wollte bezahlen.» Manfred Bötsch schlug vor: Der Bund solle Geld geben – aber nur unter der Bedingung, dass er im Gegenzug die Aktienmehrheit erhalte. Das führte schliesslich zu einer Kapitalerhöhung und auch zur Schaffung eines gemischtwirtschaftlichen Modells.
Bundesrat Couchepin stimmte zu, mit einer klaren Forderung: Manfred Bötsch selbst sollte Einsitz im Verwaltungsrat nehmen. Vier Jahre blieb er – bis zum Abschluss der Sanierung. Danach trat er zurück, sein Sitz ging an das BVET, damals vertreten durch Hans Wyss.
Der Ursprung der TVD liegt im Veterinärbereich. «Eigentlich hätte das Ganze dem damaligen Bundesamt für Veterinärwesen unterstellt werden sollen», erklärt Manfred Bötsch. Doch der Kredit und der ganze Vollzug liefen über das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW).
Zwar lag der Kernauftrag in der Tierseuchenkontrolle, doch die Aufgaben wuchsen rasch. Die TVD wurde zur Grundlage für den Vollzug von Direktzahlungen – und für den Herkunftsnachweis in der Vermarktung.
«Die Akteure im Markt mussten und müssen die Sicherheit haben, dass das, was sie ankündigen, dem Konsumenten gegenüber wahrheitsgetreu ist», sagt Bötsch. Tierseuchen waren damals für die Privaten eher nebensächlich. «Das war vielmehr im Interesse des Bundes.» Die Landwirtschaft und der Markt interessierten sich für ganz andere Dinge: «Die Privaten wollten nachweisen können, dass das Rind vom Bio-Betrieb stammt oder aus dem Berggebiet.»
«Die Privaten bestellten Leistungen, aber niemand wollte bezahlen.»
Vertrauen durch Sicherheit
Für die Verwaltung standen andere Fragen im Zentrum. «Man muss wissen: Wer hat die Tiere? Wo stehen sie? Und an wen müssen wir welche Verfügung schicken?», erklärt Bötsch. Dazu kamen Angaben, die für den Vollzug der Direktzahlungen nötig waren.
Er verweist auf eine zentrale Erkenntnis: «Wenn jeder alleine arbeitet, schafft man keine Vollständigkeit und die Qualität stimmt nicht.» Je nach Interesse sei die Datenqualität unterschiedlich – «aber nicht so gut, wie sie sein müsste, um alle Bedürfnisse zu bedienen».
Die Erfahrung aus der Anfangszeit habe alle Beteiligten eines gelehrt: Nur gemeinsam lassen sich verlässliche, vollständige Daten erzeugen. Und die brauche es – für Verwaltung, Markt, Label und Konsumenten.
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Unstimmigkeiten gefährlich
Besonders im Detailhandel sei Vertrauen entscheidend. Manfred Bötsch, der bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2018 Leiter Direktion Nachhaltigkeit und Mitglied der Geschäftsleitung von Micarna war, kennt die Zusammenhänge: «Es gibt nichts Verheerenderes, als wenn vorne an der Ladentheke etwas verkauft wird, dessen Inhalt nicht mit dem übereinstimmt, was auf der Etikette steht.» Vertrauen und Datensicherheit seien die Grundlage für glaubwürdige Labels. «Das ist die Erfolgsbasis für die Detailhändler, die dadurch sagen können: Mein Label ist vertrauenswürdig.»
Die Anforderungen der Verwaltung und der Wirtschaft waren also unterschiedlich – die Bedürfnisse jedoch deckungsgleich: «gute, verlässliche, vollständige Datengrundlagen».
Die Systemverfügbarkeit sei heute essenziell. «In einer Zeit, in der rund um die Uhr gehandelt und geschlachtet wird, ist eine ständige Verfügbarkeit unumgänglich.» Bötsch nennt eine Verfügbarkeit des Systems von 99,9 Prozent – «ein höchstes Niveau». Und für die Bauern sei entscheidend, dass sie ihre Daten jederzeit und von jedem Ort aus eingeben und abrufen könnten.
Im internationalen Vergleich sieht Manfred Bötsch die Schweiz mit der Identitas AG an der Spitze in Sachen Sicherheit und Zuverlässigkeit. Doch der Weg dahin war nicht frei von Widerständen: «Jedes Mal, wenn man einen Schritt weiter ging, begegnete man einer gewissen Skepsis der Anwender und Anwenderinnen», sagt er. Zuletzt gab es Einwände, als Schafe und Ziegen in die TVD aufgenommen wurden. Seine Strategie zur steigenden Akzeptanz war klar: «Mit Erklären, mit glaubwürdigen praktischen Lösungen – und mit einem sichtbaren Nutzen und einem hervorragenderen Helpdesk.»
Dann macht Bötsch den Sprung zu heute: «Als ich das zweite Mal zur Identitas AG kam, diesmal als Verwaltungsratspräsident, standen wir kurz vor der Umstellung auf die neue Rechtsgrundlage.» Es sei erneut ein Bruch gewesen – vergleichbar mit dem damaligen Sanierungsprozess vor rund 20 Jahren. Das Parlament hatte entschieden, die Tierseuchengesetzgebung neu aufzusetzen.
Damit verbunden war ein Systemwechsel: Die Tierhalter sollten ihre Beiträge für Ohrmarken und TVD-Dienste direkt an die Identitas AG und nicht mehr über den Bund leisten, der danach die Identitas AG entschädigte. «Man verabschiedete sich vom Umweg», sagt Bötsch. Seither werden die Abgaben der Bauern und Schlachthöfe direkt durch die Identitas AG eingezogen beziehungsweise verrechnet.
Ein zentrales Stichdatum war der 1. Januar 2023: Seither muss die Identitas AG sämtliche Investitionen in neue technische Lösungen eigenständig finanzieren. Und trotzdem: Die Erwartungen sowohl der Behörden als auch der Tierhalter und Schlachtbetriebe mussten erfüllt werden. «Es muss praktikabel sein – aber auch kontrollfest.»
Am Mittwoch, anlässlich der Generalversammlung in Bern, wurde der zweite Abschluss ausgewiesen, bei dem die Identitas AG voll rechtlich und finanziell in diesen neuen Rechtsgrundlagen steckt. Zu Beginn der Umstellung seien auch kritische Stimmen laut geworden, das Vertrauen sei nicht selbstverständlich gewesen. Manfred Bötschs Bilanz ist eindeutig: «Mehr Autonomie, mehr Verantwortung – aber auch mehr Druck.»
Mit den neuen Rahmenbedingungen und Verpflichtungen seien gewisse Unsicherheiten verbunden gewesen. «Vor zwei Jahren konnte niemand voraussagen, ob die Rechnung am Schluss wirklich aufgeht.» Man habe schätzen müssen, ob die Einnahmen ausreichen würden, um die neuen Aufgaben zu stemmen.
Dabei sei das Vertrauen in die Firma entscheidend gewesen. «Wir mussten viel investieren, um den Auflagen gerecht zu werden.» Gegenüber Behörden, der Finanzkommission und der Eidgenössischen Finanzkontrolle habe man genau nachweisen müssen, was geleistet und wo jeder einzelne Franken eingesetzt wird.
«Wir mussten viel investieren, um den Auflagen gerecht zu werden.»
Gute Noten erhalten
Gefragt nach der Zufriedenheit der Tierhalter verweist Manfred Bötsch auf die periodischen Erhebungen: «Jährlich machen wir eine Umfrage, abwechselnd mit Tierhaltenden und Amtsstellen.» Die Ergebnisse seien eindeutig: Vor allem regelmässige Anwender bewerteten das Angebot als sehr gut – benutzerfreundlich und praktikabel.
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Von Wenig- und Vielnutzern
Kritik gebe es einzig von sogenannten «Wenignutzern»: von Hobbybetrieben, die vielleicht nur einmal jährlich eine Anmeldung machen. «Wer das System selten nutzt, vergisst halt auch mal sein Passwort», weiss Bötsch.
Auch der dreisprachige Support wird regelmässig bewertet – mit erfreulichem Ergebnis: «Der Helpdesk bekommt einen glatten Sechser», sagt er zufrieden. Besonders wichtig sei es gewesen, die sehr unterschiedlichen Nutzergruppen – von Nutztierhaltern bis zu Haltern von Hunden und Katzen – gezielt abzuholen. «Wir konnten sie gut bündeln und ihre Bedürfnisse entsprechend aufnehmen. Das ist zentral.»
Auf Bötsch folgt Wyss
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Ende August ist Schluss: Manfred Bötsch tritt nach insgesamt zehn Jahren Engagement im Verwaltungsrat, davon sechs als Präsident, bei der Identitas AG zurück. Am Mittwoch hat die Generalversammlung seinen Nachfolger gewählt – es ist Hans Wyss, der das Präsidium übernimmt. Für Wyss ist es nicht das erste Mal, dass er in die Fussstapfen von Bötsch tritt. Bereits nach dessen erster Amtszeit im Verwaltungsrat hatte Wyss dessen Sitz übernommen – nun folgt er ihm erneut, diesmal als Verwaltungsratspräsident.
Mit dem Wechsel kehrt auch eine gewisse institutionelle Logik zurück. Die Bekämpfung von Tierseuchen und die Überwachung des Tierverkehrs gehören in den Zuständigkeitsbereich des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV), das Wyss seit 2003 leitet. Mit ihm rückt nun erneut ein Vertreter des BLV an die Spitze der Betreiberin der Tierverkehrsdatenbank. Seine Pensionierung beim Bund ist auf Ende Juli 2025 angekündigt. Der Bundesrat hat Laurent Monnerat als Nachfolger eingesetzt.
Was macht eigentlich die Identitas?
Die Liste der Aufgaben und Dienstleistungen der Identitas AG ist lang. Hier die wichtigsten:
- Tierverkehrsdatenbank (TVD): Die TVD ist das Herzstück der Tierverkehrskontrolle in der Schweiz. Hier werden alle Klauentiere (Rinder, Schweine, Schafe, Ziegen) und Equiden (Pferde, Esel, Maultiere) sowie Einstallmeldungen bei Geflügel erfasst. Tierhaltende müssen Geburten, Zu- und Abgänge, Schlachtungen und Todesfälle fristgerecht melden. Die TVD dient der Rückverfolgbarkeit, Seuchenprävention und Lebensmittelsicherheit.
- e-transit: Dieses System ermöglicht die Erstellung, Weitergabe und Archivierung von elektronischen Begleitdokumenten für den Tiertransport. Es erleichtert die Dokumentation und den Informationsaustausch zwischen Tierhaltenden, Transporteuren und Behörden.
- TVD-App: Die TVD-App erlaubt es Tierhaltenden, Meldungen direkt über das Smartphone zu erfassen und Begleitdokumente für den Transport zu erstellen. Sie funktioniert auch offline und synchronisiert die Daten, sobald eine Internetverbindung besteht.
- Agateway: Agateway ist eine App zur einfachen Meldung von Schafen an die TVD. Sie ermöglicht die Erfassung von Geburten, Zu- und Abgängen, Verendungen, Kontrollen und Behandlungen mittels Ohrmarken-Lesegerät und Smartphone. Die Daten können offline erfasst und später synchronisiert werden.
- AnimalTracing: AnimalTracing ist eine Schnittstelle, die es akkreditierten Softwareanbietern ermöglicht, direkt mit der TVD zu kommunizieren. Dies erleichtert die Integration von TVD-Daten in betriebliche Managementsysteme.
- GVE-Rechner: Der GVE-Rechner berechnet die Anzahl Grossvieheinheiten (GVE) eines Betriebs, basierend auf den TVD-Daten. Seit November 2022 umfasst er auch Schafe und Ziegen, was die Deklaration für Direktzahlungen erleichtert.
- Tierstatistik: Das Open-Data-Portal «Tierstatistik» bietet frei zugängliche Datensammlungen zu Rindern, Schafen, Ziegen, Equiden, Hunden und Katzen. Diese Daten unterstützen Forschung, Politik und Öffentlichkeit.
- Fleischkontrolldatenbank (Fleko): Fleko dokumentiert die Inverkehrbringung von Fleischprodukten. Sie unterstützt die Lebensmittelsicherheit und Qualitätssicherung in der Fleischproduktion.
- Labelbase: Labelbase ist eine Plattform zur Verwaltung von Labelprogrammen in der Tierproduktion. Sie ermöglicht die Erfassung und Kontrolle von Labelanforderungen und unterstützt die Transparenz gegenüber Konsumenten.
- Heimtierdatenbanken Amicus und Anis: Amicus ist die nationale Hundedatenbank der Schweiz, in der alle Hunde registriert sind. Anis ist eine Datenbank für andere Heimtiere wie Katzen, Nager oder Vögel. Beide Systeme unterstützen die Identifikation, Rückverfolgbarkeit und den Tierschutz.
- SBV-Beitragsinkasso: Seit 2021 zieht die Identitas AG im Auftrag des Schweizer Bauernverbands (SBV) Beiträge für Schafe und Ziegen ein. Dies vereinfacht die administrative Abwicklung für Tierhaltende und Verbände.
- Agate-Helpdesk: Der Agate-Helpdesk unterstützt Tierhaltende und Schlachtbetriebe bei Fragen zur TVD, e-transit und anderen digitalen Anwendungen. Er bietet telefonische und elektronische Unterstützung.