Fruchtfolgeflächen können überbaut werden, wenn es im öffentlichen Interesse liegt. Das ist der Fall bei der Lagerung von radioaktivem Abfall. Dafür reicht nicht nur ein Tiefenlager aus Stollen und Kavernen im Untergrund, es braucht auch an der Oberfläche Infrastruktur, An-lagen und Zugangsstrassen.
Seit Anfang Woche steht nun fest, dass dieses Areal in der Gemeinde Stadel beim Haberstal entstehen soll. Von dort aus wird das Lager im Untergrund gebaut und betrieben. Zusätzlich entsteht im Gebiet Hardrüttenen in der Gemeinde Weiach eine Umladeanlage für Aushub- und Baumaterial mit Anschluss ans Eisenbahnnetz.
18 Grundeigentümer verlieren Land
In Stadel sind durch den Verladebahnhof und die Oberflächenanlage 18 Grundeigentümer, rund 8,5 ha Landwirtschaftsland und 0,2 ha Wald betroffen. Dazu kommen noch 1,5 ha temporäre Installationsflächen.
Alle Grundeigentümer seien informiert. «Wir haben auch persönliche Gespräche geführt», sagt Monika Stauffer, Leiterin der Sektion «Entsorgung radioaktive Abfälle» beim Bundesamt für Energie. Alle haben zudem eine Broschüre erhalten, wo Schritt für Schritt das Vorgehen erklärt werde. Die Broschüre "Information für Grundeigentümer" ist auf der Homepage des Bundesamt für Energie zu finden. Sie zeigt die Planungsschritte bis hin zum äussersten Fall einer Enteignung auf. Dazu solle es aber nicht kommen.
Die nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) sei an einer gütlichen Einigung interessiert und werde grosszügig entschädigen, ergänzt Stauffer. Und weiter: «Wir haben zwölf Jahre Zeit, gemeinsam mit den Grundeigentümern Lösungen zu finden.»
Brennelement-Verpackungsanlage bei der Zwilag
Die Nagra plant eine Brennelement-Verpackungsanlage beim Zwischenlager in Würenlingen. So lässt sich mit der bestehenden Infrastruktur Synergien realisieren. Aber es braucht auch dort zusätzliches Land. Von vier Grundeigentümern gehen 0,7 ha Wald und 1,3 ha Wohn- und Arbeitszone drauf.
Die Ankündigung des Standortgebiets ist auch noch keine Bewilligung. Den Entscheid über die Bewilligungen treffen der Bundesrat und das Parlament sowie, im Fall eines fakultativen Referendums, das Stimmvolk. Nun macht sich die Nagra daran, ein Rahmenbewilligungsgesuch auszubreiten.
Der Fahrplan
- 2024: Einreichen des Rahmenbewilligungsgesuchs
- 2030: Entscheid für Genehmigung
- 2034 bis 2045: erdwissenschaftliche Untersuchungen, Baubewilligung
- 2045: Bau der Tiefenlager
- 2050: Inbetriebnahme
- 2125: Verschluss des Tiefenlagers und Rückbau der Oberflächenanlagen
Die radioaktiven Stoffe müssen so lange eingeschlossen sein, bis die Radioaktivität abgeklungen ist. Laut Matthias Braun, CEO der Nagra, sei Nördlich Lägern der Standort mit den grössten Sicherheitsreserven. Die dortigen Gesteinsschichten, insbesondere der Opalinuston, schliesse die Abfälle am besten ein. Damit könne man die gesetzlichen Grenzwerte um ein Vielfaches unterschreiten.
Martin Neukom vertraut der Wissenschaft und appelliert an Verantwortung
Martin Neukom, Grüner Regierungsrat des Kantons Zürich, leitete in Stadel die Medienkonferenz. Klar wünsche man sich im Kanton Zürich nicht unbedingt ein Endlager – erst recht nicht als Grüner Politiker und Kritiker der Atomkraft. Aber Neukom plädierte dafür, zur Lösung dieses Abfallproblems, Verantwortung zu übernehmen und die bestmögliche Lösung zu finden. Dabei vertraut er auf die Wissenschaft und deren Lernfähigkeit.
Anrainer Kantone können mitreden
Neben Neukom tragen auch die Regierungsräte Dominik Diezi (TG), Walter Vogelsanger (SH), Stephan Attiger (AG) sowie aus dem Nachbarland Martin Kistler (Landrat Landkreis Waldshut, Deutschland) den Entscheid mit. Diesbezüglich herrschte Einigkeit unter den Podiumsteilnehmern. Ob das so bleiben wird, wenn es um die finanzielle Abgeltung geht? Vorrang auf die Gelder haben sicherlich die Grundeigentümer.
Aber ein Grossteil der Gelder soll den betroffenen Regionen und Gemeinden zugutekommen. Darüber entscheidet die Regionalkonferenz, die sich aus Behördenvertretern und interessierten Organisationen zusammensetzt. Alle wollen ein Stück vom Kuchen. Auch der angrenzende deutsche Landkreis Landshut will nicht aussen vor stehen.
Abgeltungsverhandlungen starten
Präsident der Regionalkonferenz ist Hanspeter Lienhart aus Bülach. Zuerst werde mit der Nagra und dem Bundesamt für Energie über die Höhe der Abgeltung an die betroffenen Regionen verhandelt. Die Abgeltung solle in die regionale Entwicklung fliessen. Da will man doch wissen, um was für Massnahmen es sich handeln könnte. Diesbezüglich wollte sich Lienhard nicht festlegen. Ganz gewiss seien keine Steuererleichterungen gemeint. Allenfalls würden die Gelder in eine Stiftung fliessen, wo die Bevölkerung und Organisationen dann Projekte eingegeben könnten.
Zürcher Bauernverband vertraut Experten
Hinter dem Nagra-Entscheid steht auch der Zürcher Bauernverband. Laut Medienmitteilung vertraut er darauf, dass dieser Standort schweizweit der Sicherste sei. Die Nagra müsse aber für sämtliche Infrastrukturbauten und etwaige Kompensationsmassnahmen bestehende Kiesgruben nutzen.
Widerstand und Einsprachen
Das sehen die Demonstranten anders. Sie waren am Montagvormittag in Bern und am Nachmittag an der Medienkonferenz beim Neuwis-Huus in Stadel aufmarschiert – nicht nur aus dem Kanton Zürich, sondern auch aus dem Aargau. «Wir werden beim Rahmenbewilligungsgesuch sicher Einsprachen machen», kündigte Astrid Andermatt, Co-Präsidentin des Vereins «Nördlich Lägern ohne Tiefenlager», an.
Die Nagra-Infokampagne startete am Montag, 12. September mit der Information an Medienschaffende. Am Dienstag fand zudem in Stadel ein Anlass für die Bevölkerung statt. Am Mittwoch war die Vollversammlung der Regionalversammlung und am Donnerstag waren Gespräche mit den nördlichen deutschen Nachbarn. Am 17. September eröffnet die Nagra zudem in Stadel einen Infopavillon.