«Man kann sich legitim fragen, wie es für die Nachhaltigkeit weiter geht, wenn ein derart prominenter Vertreter in einem so bedeutenden Weltkonzern so kurzfristig ersetzt wird», sagt Christophe Eggenschwiler, Geschäftsführer der IP-Suisse, über den Abgang von Nestlé-CEO Mark Schneider. Eigentlich hätte dieser diese Woche zusammen mit Migros-Chef Mario Irminger, IP-Suisse-Präsident Andreas Stalder und Urs Brändli von Bio Suisse vor den Medien über «Herausforderungen und Lösungsansätze der Prinzipien in der regenerativen Landwirtschaft» diskutieren sollen. Kurz nach Bekanntwerden des Wechsels an der Nestlé-Spitze wurde der Anlass abgesagt.

Analyse Hat der Wind bei den Grossen gedreht? Friday, 30. August 2024 Grundsätzlich habe er Verständnis für den Entscheid, sagt Eggenschwiler. «Ein paar Fragezeichen aber auch.» Mark Schneider genoss in der Landwirtschaft einen guten Ruf. So wurde er vor Stellenantritt von Christian Hofer als möglicher Direktor des Bundesamts für Landwirtschaft gehandelt. Auch in der Rolle des CEO von IP-Suisse, in die vor zwei Jahren Christophe Eggenschwiler schlüpfte, sahen ihn Branchenkenner damals. Bei Nestlé hatte er sich mit seinem Engagement für trendige Themen wie Gesundheit und Nachhaltigkeit einen Namen gemacht. Das Unternehmen sollte wegkommen von ungesunden Süssigkeiten und billigem PET-Flaschen-Wasser und stattdessen mehr gesundheitsfördernde Produkte, Vitamine, pflanzliche Fleischalternativen oder Premium-Wasser verkaufen.

Absage an Trend-Strategie?

In einem Interview mit der «NZZ am Sonntag» äusserte sich Nestlé-Präsident Paul Bulcke zu Wochenbeginn ungewohnt deutlich zu den Gründen für den Wechsel. Für den CEO-Job brauche es «sowohl eine überzeugende strategische Richtung, die intern und extern verstanden wird, als auch Leidenschaft für unsere Marken und für das Marketing», liess er sich vielsagend zitieren. Kommentatoren sahen darin eine Absage an Schneiders Trend-Strategie.

«Bis jetzt ist gemäss ersten Abklärungen davon auszugehen, dass es keinen namhaften Kurswechsel geben sollte», sagt dazu Christophe Eggenschwiler: «Von einer Abkehr von der Nachhaltigkeitsstrategie bei Nestlé ist derzeit nicht die Rede.» Er hoffe, dass die Gespräche zu einem späteren Zeitpunkt stattfinden können. «Wir haben das schon 2022 gemacht und würden es nach wie vor gerne wiederholen», hält er weiter fest. Derzeit gebe es aber keine konkreten Pläne.

Ein- und wieder ausgeladen an der Veranstaltung war auch Bio-Suisse-Präsident Urs Brändli. Statt der Nachhaltigkeit wäre bei der Veranstaltung wohl eher der Wechsel des CEO Thema gewesen, sagt er. Dass mit dem Abgang von Mark Schneider bei Nestlé auch eine Abkehr von der regenerativen Landwirtschaft bevorsteht, glaubt er nicht. «Ich gehe nicht davon aus, dass Nestlé und andere grosse Firmen, die mit ihrem Engagement für Nachhaltigkeit werben, das jetzt so rasch abschreiben.»

Bio schnell «mühsam»

Die Fragen, die er Mark Schneider an der Veranstaltung stellen wollte, blieben so oder so aktuell: «Braucht es neben IP und Bio noch eine weitere Stufe?» Urs Brändli gibt zu bedenken, dass es einen mit IP-Suisse vergleichbaren Standard auf den internationalen Märkten so nicht gebe und Bio-Qualität für die grossen Konzerne schnell «mühsam und kompliziert» werden könne. Das Interesse an der «regenerativen Landwirtschaft» könnte darauf hindeuten, dass der Mittelweg von IP-Suisse auch international an Bedeutung gewinnen könnte. Offen sei aber, was das in der Schweiz bedeute.

Ob Schneiders Nachfolger Laurent Freixe ein ähnlich grosses Interesse an «grünen» Strategien an den Tag legen wird, kann auch Brändli nicht sagen. Positiv wertet er, dass Freixe zuvor selbst im Bereich Nachhaltigkeit tätig war. «Da kann er kaum gegen die in diesem Bereich angestrebten Fortschritte sein. Mehr Nachhaltigkeit in Anbau und Beschaffung wird ja nicht nur in der Schweiz gefordert», resümiert er.

Fragen um den Regenwald

Tatsächlich hatte sich Laurent Freixe als Chef von Nestlé Südamerika für «grüne» Themen stark gemacht – zuletzt im Juli bei der Unterzeichnung eines Aufrufs von Unternehmen an die dortigen Regierungen, die Regenwälder besser zu schützen. Nestlé Südamerika stand unter Freixe aber auch in der Kritik: Erst im Februar hatte ein Bericht der Umweltorganisation «Environmental Investigation Agency» Nestlé vorgeworfen, über Palmöl-Geschäfte in die Rodung des peruanischen Urwalds verstrickt zu sein.

Nestlé selbst gibt sich bislang bedeckt zu den genauen Zielen des neuen Chefs. Freixe und Bulcke sagten dazu in ersten Telefonaten mit Medien und Analysten, das Unternehmen werde sich voll auf seine Kernmarken und -produkte konzentrieren und auf organisches Wachstum setzen.