Unter Ausschluss der Medien kam es am Samstag in Olten zur Abrechnung: Die ausserordentliche Delegiertenversammlung des Schweizer Tierschutzes (STS) wurde zur Krisensitzung. Am Ende stand die Abwahl von Präsidentin Nicole Ruch.

Mit dabei war Samuel Graber, Präsident der Sektion Thun. Die Versammlung, die um 14 Uhr startete, habe bis spät in die Nacht gedauert. Schon der Einstieg in die Versammlung sei ein Fiasko gewesen. «Allein über die Abfolge der Traktanden sprach man länger als eine Stunde», so Graber. Das Publikum im Saal habe sich auch deutlich von dem in den Vorjahren unterschieden. «Da sassen eindeutig mehr Juristen», ist Graber sicher.

Er bedauert den Abgang der Präsidentin Nicole Ruch. Sie habe sich für die Anliegen der Bauernfamilien interessiert, und, wenn nötig, auch Rücksprache genommen, wenn es um die Landwirtschaft ging. Laut Graber dürfte sich dies unter der neuen Führung ändern.

Frau Ruch, wie haben Sie die ausserordentliche Delegiertenversammlung in Olten erlebt?

Nicole Ruch: Es war eine schwierige Versammlung und eine lange Versammlung. Aber das haben wir erwartet.

Wie waren die letzten Monate für Sie und Ihr Umfeld?

Die Änderungen und die Auseinandersetzungen waren sehr anstrengend. Nach dem Abtritt der alten Garde vor zwei Jahren habe ich zusammen mit dem Zentralvorstand die Modernisierung vorangetragen. Wir begannen mit der digitalen Transformation des STS, installierten eine transparentere Rechnungslegung und ein komplettes internes Kontrollsystem. Change-Prozesse sind immer anstrengend. Die in den letzten Monaten geäusserten Vorwürfe und Anschuldigungen gegen mich und den Zentralvorstand waren grösstenteils falsch und verletzend.

Die kritisierten Probleme beim STS waren ja alle schon vor Ihnen da. Weshalb kam es erst jetzt zum grossen Aufschrei?

Änderungen brauchen Zeit, absorbieren Ressourcen und wecken Ängste und Unsicherheiten. Dazu wurde ein interner Machtkampf im Zentralvorstand ausgelöst, der zum Schaden des STS auch in den Medien ausgetragen wurde. Der Zentralvorstand war gespalten, was die Suspendierung von Martina Munz und Michel Roux zeigte. Ihre Strafanzeige und ihre Medienkampagne haben das Klima vollends vergiftet. Trotz guter Arbeit herrschte immer eine gewisse Spannung im Zentralvorstand.

Haben Sie mit Ihren Reformen etwa alte Seilschaften aufgescheucht?

Ich denke nicht. Aber eine Modernisierung ist immer schwierig und anspruchsvoll. Es gibt immer Leute, die denken, dass bei ihnen alles perfekt war und ist und so bleiben soll. Klar wurde in der Vergangenheit ein guter Job gemacht. Aber heute arbeitet man anders. Bei so einem Change sind Konflikte eigentlich normal.

Worum ging es im Konflikt mit Martina Munz?

Martina Munz wollte die Zewo-Zertifizierung, was nicht so schnell geht. Man muss auf die Sektionen Rücksicht nehmen. Wenn der Dachverband zertifiziert ist, müssen die Sektionen ebenfalls diesen Vorgaben entsprechen. Wir haben unterschiedlich grosse und kleine Sektionen. Nicht alle können die Vorgaben erfüllen.

Wie sehr hat der STS unter den Konflikten gelitten?

Ich denke schon, dass er gelitten hat. Unterschiedliche Meinungen und Streit innerhalb einer NGO über längere Zeit wirken sich immer negativ aus. Die Sektionen und die Zentrale müssen sorgfältig miteinander umgehen. Es geht schliesslich um den Tierschutz.

Welche Rolle spielte dabei Ihre Person? Sie sind eine jüngere Frau, qualifiziert, kommen aus der Privatwirtschaft …

Ich bin es gewohnt, mit Zielen zu arbeiten, und habe festgestellt, dass es nicht nur das Ziel ist, das man definieren muss, sondern auch die Methode, um es zu erreichen. Das Management der STS entsprach nicht den Kriterien eines modernen und transparenten Managements. Ich hätte also mehr Zeit gebraucht, um dieses Management grundlegend zu ändern. Beim STS arbeiten 80 Leute, die geführt werden müssen. Da genügt die Tierliebe alleine nicht. Wenn der STS langfristig Erfolg haben will, muss der STS die Strategie weiter vorantreiben.

Die Zertifizierungsstelle Zewo rät mittlerweile von Spenden an den STS ab und bezieht sich in der Begründung auf einen Zeitungsbericht. Darin wird behauptet, es seien «sehr hohe Vergütungen» bezahlt worden. Was sagen Sie dazu?

Die Vergütungen wurden gemäss Spesenreglement abgerechnet, das heisst mit 50 Franken pro Stunde. Ich persönlich war zwei Jahre lang nicht in den Ferien, habe die Wochenenden durchgearbeitet und nicht alles verrechnet.

Weshalb reagierte die Zewo ausgerechnet jetzt?

Das habe ich mich auch gefragt.

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Kommentar

Wer hat gewonnen?
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Es war ein ungleiches Duell. Hier Nicole Ruch, seit zwei Jahren Präsidentin des Schweizer Tierschutzes (STS), bei der Credit Suisse tätig im Bereich Private Banking und 2022 Grossratskandidatin der Bieler FDP. Da Martina Munz, ETH-Agronomin, SP-Nationalrätin seit 2013, laut «Lobbywatch» aktiv in 12 Umwelt-Organisationen, zwei Gewerkschaften und 24 «weiteren» Interessengruppen.

Verloren hat Nicole Ruch: Nach einem monatelang in den Medien ausgetragenen Machtkampf wurde sie am Samstag an der ausserordentlichen Delegiertenversammlung in Biel abgewählt. Die Geschichten von der jungen Bankerin, die mit forschen Manager-Methoden altgediente Tierfreunde vergrault haben soll, hatte verfangen.

Landwirt und Fütterungsberater Samuel Graber zeichnet ein anderes Bild. Es zeigt eine Tierschutzpräsidentin, die das Gespräch mit den Bauern suchte, an ihren Einschätzungen interessiert war und praktische Verbesserungen anstrebte. Ruchs Kontrahentin Martina Munz fiel in der Vergangenheit eher durch Angriffe auf die von ihr kritisierte «Bauernlobby» auf. Für die Trinkwasser- und Pestizid-Initiative engagierte sie sich an vorderster Front.

Verloren hat aber auch sie. Wie Ruch wurde sie zusammen mit ihrem Kampfgefährten Michel Roux abgewählt. Nun übernimmt der Tessiner Advokat Piero Mazzoleni. Über ihn sagt Graber, er habe weniger Verständnis für die Anliegen der Bauern. Der Neue wird daran gemessen werden, ob es ihm gelingt, das verlorene Vertrauen in den STS wieder herzustellen. p.walthard@bauernzeitung.ch