Bei der Wasserkraft gibt es häufig Konflikte zwischen Naturschutz und Energieproduktion. Das Projekt Schiffenen-Murten (Schem) soll beides unter einen Hut bringen. Doch Seeländer Landwirte fürchten um ihr Bewässerungswasser.
Strom für 23 000 Haushalte
Ursprünglich war die Vorgabe, dass die Groupe E als Betreiberunternehmen die ökologischen Auswirkungen der Schiffenensee-Staumauer beheben sollte. Namentlich waren dies die Schwall-Sunk-Schwankungen in Aare und Saane, der behinderte Geschiebetransport und Hindernisse für Fischwanderungen. Aus drei Szenarien hat sich der Kanton Freiburg für die Variante entschieden, bei der ein Teil des Wassers aus dem Schiffenensee neu durch einen Tunnel in den Murtensee fliesst. Im Verlauf des 9 km langen Stollens mit 7 m Durchmesser ist eine Turbine geplant, die mehr als das Doppelte der Leistung des aktuellen Kraftwerks am Fuss der Staumauer erreiche.
«Wir erwarten klare Antworten und Lösungen»
Jakob Etter, PAC, zur künftigen Bewässerung.
Insgesamt resultiert laut der Groupe E ein Netto-Energiegewinn, mit dem sich rund 23 000 Haushalte versorgen liessen. «Schiffenen-Murten ist übrigens die einzige Variante, bei der sich ein Energiegewinn erzielen lässt», bemerkt die Groupe E.
Angesichts des dichten Netzes von Seen, Flüssen und Kanälen, die das Seeland durchziehen, kann ein solches Projekt kaum ohne Folgen für die Landwirtschaft bleiben. «Mit dem Bau der Leitung vom Schiffenen- in den Murtensee werden 20 – 30 % weniger Wasser durch die Saane in die Aare und in den Hagneckkanal fliessen», erklärt Jakob Etter, Präsident von Pro Agricultura Seeland (PAC). Die Groupe E geht von im Jahresdurchschnitt 3 – 6 % weniger Wasser im Hagneckkanal aus, von Mai bis September seien es lediglich bis zu 0,06 % weniger. Doch Etters Befürchtungen gelten weniger den absoluten Werten als der Reaktion der BKW.
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BKW wird entschädigt
Diese betreibt vier Kraftwerke in dieser Gegend. «Durch den Tunnel wird für diese Kraftwerke weniger Wasser zur Verfügung stehen und es stellt sich deshalb die Frage, ob noch alle weiter betrieben werden können.» Sollte etwa das Kraftwerk Kallnach abgeschaltet werden, würde laut Etter der Pegelstand im Unterwasserkanal deutlich sinken. «Dadurch könnten die Kanäle im Grossen Moos nicht mehr alimentiert werden, die heute sehr wichtig sind für den Grundwasserstand und für die Bewässerung der Felder.» Obwohl die BKW aus diesem Grund «direkt und in hohem Masse» vom Projekt Schem betroffen ist, habe sie sich bisher nie öffentlich dazu geäussert, wundert sich Etter.
«Als Wasserkraftbetreiberin und Konzessionärin ist die BKW vom Projekt Schiffenen-Murten direkt betroffen», bestätigt Mediensprecher Justin Grämiger auf Anfrage der BauernZeitung. Man sei seit längerem in Kontakt mit der Groupe E. Nach Umsetzung des Projekts würde die BKW bei ihren Kraftwerken Niederried-Kallnach und Aarberg sowie die Bielerseekraftwerke (BIK, an denen die BKW hälftig beteiligt ist) mit dem Kraftwerk Hagneck weniger Strom produzieren können, so Grämiger weiter. Aber er versichert: «Auch nach der Projektumsetzung werden die Kraftwerke weiterbetrieben.»
In den Gesprächen zwischen BKW und Groupe E geht es u.a. um Entschädigungen. Diskutiert würden finanzielle, aber auch energetische Entschädigungen, also eine Kompensation in Form der Lieferung von Strom für die entgangene eigene Produktion. «Wir schätzen und begrüssen diesen Austausch», sagt der BKW-Sprecher.
Modell in Arbeit, Resultat 2026
Auch die PAC steht mit der Groupe E in Kontakt. «Wir erwarten, dass wir klare Antworten und Lösungen bekommen, was mit dem Unterwasserkanal geschieht», betont Jakob Etter. Er verlangt eine Garantie, dass der Landwirtschaft im Seeland auch weiterhin qualitativ und quantitativ genug Wasser für die Bewässerung zur Verfügung steht. Der Grundwasserstand müsse auf dem heutigen Niveau gehalten und auch über die Stauwehre in den Kanälen gesteuert werden. «Bei Starkregen muss sich das Wasser rasch und ohne Verzögerung in den Murtensee, die Broye oder die Zihl ableiten lassen», so Etter weiter. Es dürfe durch den Anstieg des Murtensee-Wasserstandes keinen Rückstau geben, der eine längere Vernässung der Seeländer Felder bedeuten würde.
Die neue Wasserführung aus dem Schiffenen- in den Murtensee würde dessen Pegel gemäss Groupe E konstant um durchschnittlich 11 cm anheben. Derzeit wird ein präzises hydrogeologisches Modell ausgearbeitet, um die voraussichtlichen Grundwasserstände im Saanetal, entlang der Aare und im Seeland vorherzusagen. «Die Ergebnisse der Modellierungen werden für 2026 erwartet», erläutert Nathalie Salamin, Kommunikationsleiterin der Groupe E. Für den Freiburger Teil des Seelands gebe es weniger Daten, es müsse ein neues Modell erstellt werden und die Ergebnisse liegen voraussichtlich nicht vor 2027 auf dem Tisch.
In zwei Jahren will die Groupe E die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) einreichen – eine Voraussetzung, damit das 350-Millionen-Franken-Projekt überhaupt zur Umsetzung kommt. Teil der UVP ist auch eine Bewertung der Auswirkungen auf die Böden des Seelands durch veränderte Grundwasserspiegel.
Der Kanton genehmigt
Noch heuer soll eine «Arbeitsgruppe Landwirtschaft» eingesetzt werden. «Das Projekt Schiffenen-Murten hat vielfältige Auswirkungen», ist man sich bei der Groupe E bewusst. «Wir begleiten die Entwicklung dieses Projekts mit einem Konsultationsprozess der Beteiligten, um alle Themen gründlich zu untersuchen und Lösungen zu finden», versichert Sprecherin Nathalie Salamin. Zur Bewässerung liefen bereits Gespräche mit den kantonalen Behörden sowie Landwirten, die für den Ausbau des Bewässerungsnetzes zuständig seien. «Die Konsultation der Interessengruppen und die speziellen Arbeitsgruppen dienen gerade dazu, das Projekt unter Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten zu entwickeln», so die Groupe E. Sie könne in Zusammenarbeit mit den kantonalen Behörden gegebenenfalls Verbesserungen oder Ausgleichsmassnahmen vorschlagen. Letztlich würden die Kantonsbehörden die Interessen abwägen und das Projekt genehmigen.
«Das Projekt im Interesse aller entwickeln.»
Laut Groupe E das Ziel der Gespräche mit Beteiligten.
In die landwirtschaftliche Arbeitsgruppe des Projekts Schiffenen-Murten sollen Vertreter der verschiedenen Organisationen im Seeland kommen, erklärt Jakob Etter. Die Namensliste stehe bereits fest. «Die Fragen der Landwirtschaft müssen in der laufenden UVP berücksichtigt und abgehandelt werden», betont der PAC-Präsident.
Politische Vorstösse kommen
Auch politisch sind die Landwirtschaftsvertreter aktiv. So hat der Vize-Präsident der Landwirtschaftlichen Organisation Seeland (LOS), Bruno Martin, beim Grossen Rat des Kantons Bern eine Interpellation eingereicht. Darin stellt er dem Regierungsrat eine Reihe von Fragen dazu, wie der Kanton seine eigenen Interessen und jene der anderen Betroffenen proaktiv beim Schem einbringt und welche Auswirkungen das Projekt haben wird. «Bisher hat sich der Kanton Bern sehr zurückhaltend geäussert», schildert Jakob Etter. «Wir fühlen uns von der Berner Regierung etwas vernachlässigt.»
Er kündigt an, in nächster Zeit würden weitere Vorstösse zu diesem Thema eingereicht und die PAC werde eine Tagung mit den beiden betroffenen Regierungsräten im Kanton Bern organisieren.