Nächstens beginnen wieder die Passmärkte, die Alpinavera organisiert. Alpinavera ist eine Marketingplattform für zertifizierte Regionalprodukte aus Graubünden, Uri, Glarus und Tessin. Ziel ist es, beispielsweise mit Passmärkten die Präferenz für Regionalprodukte bei den Konsumenten zu wecken. Das klappt ganz gut. Aber das Wetter macht der Geschäftsführerin Jasmine Said Bucher Sorgen. Ebenso wie die Entwicklung in der Lebensmittelindustrie.
Wie läuft es bei den Passmärkten?
Jasmine Said Bucher: Bis dato konnten wir witterungsbedingt keine durchführen. Aber wir hoffen, dass das Wetter auf die Sommerferien hin bessert, sodass wir pünktlich zu den Sommerferien am Sonntag, 7. Juli 2024, auf dem Oberalp starten können. Weiter geht es im Juli und August mit den Passmärkten auf dem Gotthard-, Lukmanier- und Klausenpass. So harzig wie dieses Jahr mit dem Wetter war es aber noch nie. Wir telefonieren jeweils am Donnerstag mit Meteo Schweiz und lassen uns die Prognosen geben. Dann informieren wir umgehend die Betriebe, ob der Passmarkt stattfindet, und publizieren es in den Medien und natürlich auch auf unserer Website.
Rechnen Sie mit tieferen Umsätzen?
Die Erfahrungen der vergangenen Zeit haben gezeigt, dass die Umsatzzahlen immer etwa gleich hoch sind. Über alle Passmärkte im Schnitt der vergangenen Jahre lag der Gesamtumsatz zwischen Fr. 180 000.– und Fr. 200 000.–. Ich denke, dass es umsatzmässig auch 2024 so sein wird. Wobei zu sagen ist, dass die Lebensmittelstände mit regionalem Käse und Fleischwaren um einiges umsatzstärker sind als die Handwerkerstände. [IMG 2] Je mehr Lebensmittelstände desto höher der Umsatz. Aber man wird sehen, wie es mit der schwer vom Unwetter beschädigten Autobahn A13 vorangeht. Laut der Bündner Regierung ist eine einspurige Wiederöffnung auf den 5. Juli geplant. Läuft es nicht planmässig, werden viele Ferienreisende, um den Gotthardstau zu vermeiden, ausserhalb der Schweiz nach Italien fahren. Das kann sich dann schon umsatzmässig auswirken.
Welcher Pass ist für Ihre Marktfahrer am attraktivsten?
Das ändert von Jahr zu Jahr. Am konstantesten ist der Oberalppass. Am meisten Umsatzschwankungen gibt es auf dem Lukmanier.
Wie lief es generell mit den Regionalprodukten im ersten Halbjahr 2024?
Wir machen keine halbjährlichen Umsatzerhebung. Bei den Spezialitäten ist der Konsumrückgang aber nicht so stark wie bei anderen Produkten. Es ist ja eine Nische. Wir erheben den Gesamtwert der zertifizierten Regionalprodukten bei den Betrieben und über welchen Kanal sie abgesetzt werden. Der Jahresumsatz liegt über die Jahre so bei 300 Millionen Franken. Es gibt Unterschiede zwischen den Kantonen. Das Tessin ist beispielsweise stark vom Einkaufstourismus betroffen, dabei sinkt der Mehrwert bei Regionalprodukten, den die Betriebe erwirtschaften können.
Steigen Betriebe auch aus der Produktion und Vermarktung von Regioprodukten aus?
Es gibt immer Betriebe, die wegfallen, beispielsweise altershalber, oder solche, die an einem anderen Standort in einem anderen Kanton weiterproduzieren. Es gibt auch Betriebe, die so gewachsen sind, dass sie ihre Menge an Zutaten nicht mehr über die Region beschaffen können. Wenn sie Zutaten ausserhalb der Alpinavera-Region beschaffen, erfüllen sie unsere Bedingungen nicht mehr. Aber wir konnten diesen Wegfall immer mit neuen Betrieben, die dazu kommen, kompensieren.
Ist der Eco-Score von Beelong, den Sie bei Alpinavera einführten, nicht eine zusätzliche Hürde, um bei Ihnen mitzumachen?
Nein, denn die Kennzeichnung ist freiwillig, auch wenn alle Produkte bewertet sind. Von den 3323 zertifizierten Produkte unserer Produzenten sind bereits 3183 mit dem Eco-Score von Beelong bewertet. Wir von der Geschäftsstelle machen ja das meiste dafür, weil wir alle Rezepturen haben. Aber es ist anspruchsvoll. Beelong hat auf 2024 die Kriterien angepasst. Dabei wurde die Regionalität weniger gewichtet, und einzelne Produkte sind in der Skala stark nach unten gerutscht. Da setzen wir uns ein, dass alle Daten vorliegen, um wenn möglich Gegensteuer zu geben, und verhandeln direkt mit Beelong.
Kennen die Konsument(innen) überhaupt den Unterschied zwischen dem Nutri-Score und dem Eco-Score?
Doch, es kommt zu Verwechslungen. Aber der Nutri-Score bezieht sich auf Nährwerte und beim Eco-Score steht der ökologische Fussabdruck im Zentrum. Coop hat jetzt auch angefangen, seine Eigenmarken mit dem Eco-Score auszuzeichnen, das trägt zum Bekanntheitsgrad bei.
Viele, die Regionalprodukte vermarkten, betonen immer, dass Regionalität im Trend sei. Kann man das von einer Nische wirklich behaupten?
Auf jeden Fall. Regionalprodukte sind wirklich ein Trend. Es gibt auch immer mehr Handelsbetriebe, die auf Regionalprodukte setzen. Klar ist es eine Nische. Kaum ein Konsument ernährt sich allein von Regionalprodukten, im besten Fall gönnt er sich das zwei- bis dreimal pro Woche. Wichtig ist mir, keine Konkurrenz zwischen Bio und Regio aufzubauen, sondern zu kooperieren. Bio-Regioprodukte haben ihren Platz. Aber es ist schon so, dass in Umfragen Regionalprodukte von den Konsumenten als wertiger angeschaut werden als Bioprodukte. Viele Bioprodukte werden vermehrt importiert – dadurch leidet etwas die Glaubwürdigkeit.
Welchen Stellenwert haben Regionalprodukte in der Diskussion um zukünftige Ernährungssysteme?
Global gesehen, haben wir den Klimawandel, einen Rückgang der Landwirtschaftsflächen und Bevölkerungswachstum. Letztlich geht es um die Frage, wie wir alle ernähren. Man kann die Nahrungsmittelproduktion und Ernährung optimieren, sei es durch Vermeidung von Food Waste, weniger Fleischproduktion, mehr Ackerfrüchte oder auch durch Ertragssteigerungen mit Crispr/Cas. Dabei haben Regionalprodukte ihren Platz. Aber wenn man genau hinschaut, wo Unternehmen wie Nestlé, Danone, Migros und Coop investieren, ist es in die Forschung und Herstellung von Fleisch oder anderen Nahrungsmitteln aus dem Bioreaktor.
«Wir dürfen uns nicht verschliessen. Es müssen Strategien her.»
Jasmine Said Bucher
Wie ernst muss man diese Forschung hin zu Kunstfleisch nehmen?
Grossunternehmen investieren nur dort, wo sie sich eine Rendite versprechen. Die Frage ist doch, ob es sich bei Kunstfleisch um sogenannte disruptive Innovationen handelt – mit einer unheimlich langen Forschungs- und Entwicklungsphase –, die lange belächelt, dann akzeptiert werden und herkömmliche Märkte teilweise oder vollständig ersetzen. Solche Überlegungen haben mich schockiert. Aber dann gab ich mir einen Ruck. Wir dürfen uns nicht verschliessen, sondern müssen beginnen, Strategien für unsere Regionalprodukte zu entwickeln.
Und arbeitet Alpinavera an einer solchen Strategie?
Das steht auf dem Tätigkeitsprogramm 2025, denn auch unser Vorstand macht sich viele Gedanken darüber. Was ja Industrie und Handel schon länger tun. Im Übrigen auch die Fenaco, die eine Machtbarkeitsstudie mitfinanziert, die das Potenzial von Kulturfleisch auf Bauernhöfen im Rahmen des niederländischen Projekts RESPECTfarms untersucht. Mein Ziel ist, dass wir eine Risiko- und Wahrscheinlichkeitsbewertung für uns machen, dabei Antworten bereitstellen, wenn in 10 oder 15 Jahren so ein Bioreaktor in der Region steht und den Anspruch darauf erhebt, ein zertifiziertes Regionalprodukt zu sein.