In Anbetracht der Raubtierpräsenz bleibt in einigen Kantonen die Stimmung angespannt. Laut einem «Schweiz Aktuell»-Beitrag des Schweizer Radio und Fernsehens (SRF) starben dieses Jahr auf Bündner Alpen elf von insgesamt 2200 Kälbern. Dies weckte unter einigen Tierhaltern die Frage, ob die Kälber schon tot geboren wurden oder ob sie erst nach der Geburt starben. Kaspar Jörger, der Leiter Tierschutz des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) sagte gegenüber SRF: «Nachgeburten und tote Kälber locken Raubtiere an – dies muss verhindert werden.» Er betonte, dass auf Alpweiden keine Abkalbungen mehr stattfinden sollten. Jeder Landwirt müsse seiner Fürsorgepflicht nachkommen, was bei einer unbeaufsichtigten Abkalbung auf der Weide nicht gewährleistet wäre.
Franz Steiner, der Rindviehexperte des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) ist ebenfalls überzeugt: «Kühe sollen nicht ohne Aufsicht und möglichst im Stall abkalben» und fügt hinzu, dass dieser Punkt der Sömmerungsempfehlung auf Alp- sowie auf normalen Weiden verbindlich gemacht werden soll.
«Verbot wäre falscher Weg»
Giochen Bearth, der Kantonstierarzt von Graubünden und Glarus, relativiert die Forderung: «Ein Verbot (von Abkalbungen auf Weiden) wäre ein falscher Weg». Er stimmt aber zu, dass die jetzige Formulierung angepasst werden müsse.
Für betroffene Bauern sei diese Forderung ein Affront, schloss das SRF aus diversen Meinungen. «Wenn die Empfehlung, Abkalbungen auf Weiden möglichst zu verhindern, verbindlich gemacht würde, müssten wir regelmässig gegen diese Verordnung verstossen», so ein Landwirt gegenüber dem SRF. Für viele Landwirte sei es aus zeitlichen Gründen nicht möglich und auch nicht nötig, jede Abkalbung zu betreuen, so der Landwirt. Der Schweizerische Alpwirtschaftliche Verband (SAV) äussert sich gegenüber der Forderung entschlossen: «Leider kann das Abkalben auf der Weide nicht in jedem Fall vermieden werden. Deshalb lehnt der SAV eine solche Formulierung oder Regelung entschieden ab.» Andrea Koch vom SAV betont dabei, dass das Abkalben auf der Weide vor der Wolfs-Problematik sogar angestrebt wurde. Dies, weil der Medikamenten-Einsatz durch die naturnahe Haltung gesenkt werden könne.
«Weidegeburten zeigen die tiefste Kälbersterblichkeit»
Dieser Meinung ist auch Ursula Freund vom Verein Mutterkuh Schweiz: «Bei einer Weidegeburt wird das Kalb in eine keimarme Umgebung geboren. Dementsprechend ist der Krankheitsdruck sehr gering. Die Kälbersterblichkeit ist unter diesen Umständen am tiefsten.» Freund erklärt, dass viele Kühe die Geburtsvorbereitung unterbrechen, wenn sie von der Herde getrennt werden. Daher sei es wichtig, dass kalbende Kühe in Sichtnähe der Herde und in einer gewohnten Umgebung blieben, so Freund. «Aus diesen Gründen setzen wir uns dafür ein, dass auch in Zukunft Weidegeburten (auch im Sömmerungsgebiet) möglich sind», so Ursula Freund. Sie verweist aber darauf, dass
- bei trächtigen Tieren der Trächtigkeitsstatus resp. der vermutliche Abkalbezeitpunkt anzugeben ist,
- Sömmerungsbetriebe für Abkalbungen geeignete Infrastrukturen zur Verfügung haben müssen,
- ein genügender Schutz bezüglich Wolfsbegegnungen vorhanden sein muss
- und die Geburten von den betreuenden Personen überwacht werden müssen.
Mit diesen Massnahmen sei auch der Schutz der Wanderer am besten gewährleistet, weiss Freund.
Die Infektionsgefahr der Nachgeburt besteht
Im Wallis ist die Empfehlung nicht Teil der Sömmerungsweisung. Der Walliser Kantonstierarzt Eric Kirchmeier würde aber die Empfehlung aus medizinischer Sicht begrüssen: «Da die Nachgeburt vor allem beim Verwerfen ein Gesundheitsrisiko darstellen kann, wäre es vorzuziehen, das Abkalben auf Alpweiden zu vermeiden. Dies ist angebracht, wenn Infektionserreger durch den Kontakt der Tiere mit der infizierten Nachgeburt rasch verbreitet werden können», so der Tierarzt. Eva van Beek vom BLV schliesst sich dem an: «Aus seuchen-hygienischen Gründen ist es angezeigt, Tot- und Nachgeburten wegzuräumen.» Des Weiteren seien Tiere bei einer bevorstehenden Geburt so unterzubringen, dass sie geschützt und vom Tierhalter überwacht abkalben, so van Beek. Sie entgegnet aber, dass eine noch detailliertere Regelung nicht nötig sei, da die Sorgfaltspflicht in den Bestimmungen des Tierschutzrechts geregelt sei. Im Getümmel dieser Diskussion wäre es doch interessant, die Meinung der Kühe einzuholen.
Der SRF-Beitrag über das Verbot von trächtigen Kühen auf von Raubtieren bewohnten Alpen