In den kommenden Monaten stehen zahlreiche Delegierten- und Hauptversammlungen an. Fester Bestandteil ist jeweils die Erteilung der Decharge. Gerichtsentscheide dazu gebe es kaum, sagt Roman Baumann Lorant von der Advokatur Altenbach Baumann Bloch im solothurnischen Dornach. Er ist spezialisiert auf die Beratung von KMU und Gemeinden sowie auf das Stiftungs- und Vereinsrecht.

Worauf muss geachtet werden, bevor eine Decharge erteilt wird?

Mit der Dechargenerteilung bringen die Vereinsmitglieder dem Vorstand gegenüber zum Ausdruck, dass sie ihn nicht wegen Verantwortlichkeitsansprüchen aus dem abgelaufenen Geschäftsjahr belangen werden.

Weiss ein gewöhnlicher Versammlungsteilnehmer genug, um das beurteilen zu können?

Als Mitglied hat man in der Regel Einblick in die Jahresrechnung, den Tätigkeitsbericht und weitere Ausführungen, die vom Vorstand gemacht werden. Die Decharge bezieht sich auf diese Informationen. Wenn der Vorstand etwas nicht zur Kenntnis bringt, wird er davon durch die Decharge nicht entlastet.

Wann sollte man Decharge nicht erteilen?

Nicht erteilen sollte man die Decharge, wenn man das Gefühl hat, es stimme etwas nicht. Etwa dann, wenn Unregelmässigkeiten zu befürchten sind oder wenn es Streit zwischen den Vorstandsmitgliedern gibt. Dann gilt: Im Zweifelsfall die Decharge lieber nicht erteilen. Denn dafür sind in solchen Fällen weitere Abklärungen oder Untersuchungen nötig.

Was passiert, wenn Decharge nicht erteilt wird?

Unmittelbar nichts. Sollte sich herausstellen, dass nicht rechtskonforme Sachen passiert sind oder bei den Finanzen etwas falsch ist – im schlimmsten Fall etwas veruntreut worden ist –, dann hat man sich den Weg offengehalten, dass die verantwortlichen Vorstandsmitglieder belangt werden können.

Ist der Vorstand nach Erteilung Decharge noch haftbar?

Vorstands- und Verwaltungsratsmitglieder sind persönlich haftbar für Gesetzes- und Pflichtverletzungen, und zwar mit dem eigenen Vermögen. Voraussetzung dafür ist, dass es sich tatsächlich um eine Gesetzes- oder Pflichtverletzung handelt, etwa eine Missachtung der Statuten. Auch braucht es einen Schaden am Vermögen des Vereins, und die Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden muss nachweisbar sein. Dann reicht schon ein leichtes Verschulden aus, damit Schadenersatz fällig wird. Wie gesagt, die Decharge schützt den Vorstand vor einer Verantwortlichkeit – aber eben nur für bekanntgegebene Tatsachen.

Also ist man als Vorstands- oder Verwaltungsratsmitglied «mit einem Bein in der Schuldenfalle»?

Dies gilt nur, wenn das Gesetz oder die in den Statuten festgelegten Pflichten verletzt worden sind – aber nicht für Geschäftsrisiken. Wenn eine Organisation ein vertretbares Risiko eingeht und es schiefgeht, wird kein Schadenersatz fällig.

Welche Probleme gibt es in der Praxis?

Im Non-Profit-Sektor gibt es praktisch keine Gerichtsentscheide zu solchen Fragen. Man kann sich natürlich fragen, warum das so ist. Wo gearbeitet wird, passieren Fehler. Das dürfte im Non-Profit-Sektor nicht anders sein.