Ist die Migros auf Abwegen? Einst gegründet als Genossenschaft, die dem Volk dienen und nicht den Profit maximieren sollte, scheint sie sich heute immer mehr von ihren Grundsätzen zu entfernen. Die Werte, die Gründer Gottlieb Duttweiler mit seinen 15 Thesen verankert hat, verblassen unter der Last wirtschaftlicher Zwänge und globaler Konkurrenz. Während sich Discounter wie Aldi und Lidl unaufhaltsam ausbreiteten, blieb die Migros wie eingefroren in einem Verhalten, das suggerierte, es sei nichts geschehen. Ändert das nun radikal? Es wirkt, als ob die tiefen Preise um jeden Preis erreicht werden sollen. Unabhängig davon, was diese Strategie für die Schweizer Landwirtschaft, das Tierwohl und die Nachhaltigkeit bedeuten wird.

Das Versprechen scheint zu bröckeln

Abo Mario Irminger ist Präsident der Generaldirektion des Migros-Genossenschafts-Bundes. Er sprach mit der BauernZeitung über die Ängste der Bauern, die Sorgen der Konsumenten und die Zukunft der Detailhändlerin. Detailhandel Migros-Chef Mario Irminger: «Die Leistung der Bauern hat ihren Preis» Thursday, 30. January 2025 Wo will die Migros hin? Der Detailhändler hat über Jahrzehnte hinweg den Anspruch erhoben, ein verlässlicher Partner für die Schweizer Bauern zu sein. Doch nun scheint dieses Versprechen zu bröckeln. Die neuste Entscheidung, importiertes Fleisch nicht mehr nach denselben hohen Standards zu beziehen, wie sie in der Schweiz gelten, ist ein Schritt in eine Richtung, die viele Konsumentinnen, aber auch Produzenten nicht nachvollziehen können. Bisher konnten sich Kunden darauf verlassen, dass auch importiertes Fleisch unter artgerechten Bedingungen produziert wurde – ein Vorteil, den die Migros nun ohne Zögern aufgibt. Es ist ein Rückzieher, der vielen als Verrat an den eigenen Idealen erscheint.

Noch härter trifft dieser Wandel jene, die an eine nachhaltige Zukunft der Landwirtschaft glauben. Denn die Migros hat nicht nur beim Fleisch, sondern auch bei Biostandards, der Kennzeichnung von Gentechnik und dem Nutri-Score den Rückwärtsgang eingelegt. Während Duttweiler in seinen Thesen betont, dass das Volk und sein Vertrauen der Kern des Erfolgs seien, entfernt sich die Migros immer weiter von dieser Idee. Der Konsumentenschutz und zahlreiche Organisationen protestieren, doch die Migros-Führung bleibt scheinbar unberührt. Der Riese wird auf Effizienz getrimmt – mit McKinsey an der Seite, der Beraterfirma, die eher für ihre rigorosen Rationalisierungsmassnahmen als für ihr Gespür für genossenschaftliche Werte bekannt ist.

Wo bleibt das Herz?

Doch wo bleibt das Herz der Migros? Wo sind die Menschen, die einst bewiesen haben, dass wirtschaftlicher Erfolg und soziale Verantwortung Hand in Hand gehen können? Die Schweizer Landwirtschaft ruft nach ihrer Migros – nicht nach einem seelenlosen Discounter, sondern nach einem Partner, der gemeinsam mit ihr eine nachhaltige Zukunft gestaltet. Denn eines ist sicher: Die einheimische Produktion wird immer teurer sein als die ausländische. Das ist der Preis für hohe Standards, für Qualität und für eine Landwirtschaft, die nicht allein auf Masse, sondern auch auf Klasse setzt. Wenn sich die Migros nun in eine Billigspirale begibt, stellt sich die Frage: Was bleibt am Ende noch übrig von ihrer einstigen Identität?

Duttweiler forderte in seinen Thesen Transparenz, Ehrlichkeit und ein Wirtschaften im Dienst des Volkes. «Der Glaube des Volkes an uns ist der sicherste Weg», schrieb er. Doch wie kann das Volk noch an die Migros glauben, wenn es in Zukunft nicht einmal mehr weiss, ob für das eigene Essen Wald gerodet wurde und Tiere für volle Regale unter widrigen Bedingungen ihr Leben liessen? Die Informationspolitik der Migros, einst ein Vorbild für Offenheit, wird zusehends intransparent. Es wirkt, als ob die Werte der Nachhaltigkeit, die in der Vergangenheit stolz kommuniziert wurden, nun dem Preiskampf geopfert werden.

Es gibt auch Lichtblicke

Zu lange hat die Migros so getan, als ob nichts passiert sei – und damit an Wettbewerbsfähigkeit verloren. Zu einseitig scheint sie jetzt an der Tiefpreisstrategie festzuhalten. Und dennoch: Da sind auch Lichtblicke. Der Ansatz der tiefen Preise hat in seinem Kern auch etwas Richtiges. Er entspricht dem ursprünglichen Gedanken Duttweilers: Die Migros soll für alle da sein, nicht nur für jene, die es sich leisten können. Doch ein tiefer Preis muss nicht auf Kosten von Transparenz, Tierwohl und Nachhaltigkeit gehen. Es geht nicht darum, ob die Migros ihre Preise senkt – es geht darum, wie sie es tut. Die richtige Strategie wäre eine, die sowohl sozial als auch ökologisch tragfähig ist. Eine, die die Schweizer Landwirtschaft nicht ausbluten lässt, sondern sie in eine neue Ära begleitet.

Der öffentliche Aufschrei über die jüngsten Entscheidungen zeigt, dass das Volk seine Migros nicht aufgeben will. Die Genossenschaft muss sich darauf besinnen, wofür sie einst stand. Denn wenn sie ihre Identität dem kurzfristigen Profit opfert, wird sie am Ende weder den Billigdiscountern das Wasser reichen können noch das Vertrauen der Konsumenten behalten. Es ist höchste Zeit für die Migros, sich zu erinnern. Eine Rückkehr zu Duttweilers Werten ist kein nostalgischer Wunsch – sie ist die einzige Möglichkeit, die Zukunft der Migros zu sichern. Denn letztlich sind es nicht nur Zahlen, die zählen. Es sind die Menschen, die hinter dieser Institution stehen – sie sind die einzigen, die die Migros weiterbringen. Und zu ihnen zählen auch die Migros-Bäuerinnen und Migros-Bauern.