Nicht nur die landwirtschaftlichen Treuhänder(innen), sondern auch Bauernfamilien horchten auf, als bekannt wurde, dass auf den 1. Januar 2025 die Agro-Office AG und die Agro-Twin AG gemeinsam die Averio AG mit Sitz in Winterthur gründen würden. Die Agro-Office AG und die Agro-Twin AG sind sehr unterschiedlich aufgestellt (siehe Kasten). Mit den aktuellen Programmen werden über 25 000 Buchhaltungen geführt und es besteht ein Partner-Netzwerk von über 100 Treuhandunternehmen.
Wie kam es zum Zusammenschluss von Agro-Office und Agro-Twin unter dem neu gegründeten Averio-Dach?
Urs Wüest: Vor über zwei Jahren traf ich mich mit Hans Ulrich Sturzenegger, dem Verwaltungsratspräsidenten der Agro-Twin AG. Wir sprachen über verschiedene Aufgabenstellungen unserer Applikationen Agro-Twin und Agro-Office. Schnell stellten wir fest, dass beide Firmen die steigende Nachfrage nach Digitalisierung und Transformation in Richtung Webbuchhaltung proaktiv angehen wollen. Was zuerst mit einer unverbindlichen Prüfung einer strategischen Zusammenarbeit begann, führte dann Schritt für Schritt zur Gründung der Averio AG.
Wer profitiert von diesem Zusammenschluss?
In erster Linie unsere Kunden. Wir können nun mit doppelter Kraft eine neue, smarte und webbasierte Buchhaltungssoftware entwickeln, die den Nutzern Vorteile bringt. Zudem sparen wir Kosten: Es gibt z. B. nur noch einen Geschäftsführer, ein Sekretariat etc. Wir können somit mehr Mittel in die Softwareentwicklung investieren.
Welche Bedingungen stellten Sie für das Zusammengehen mit der Agro-Twin AG?
Für mich war klar, dass der Firmensitz der neuen Firma in Winterthur sein soll. Auch müssen alle bestehenden Mitarbeiter zu mindestens gleichwertigen Bedingungen übernommen werden. In Hinblick auf die Software war mir wichtig, dass mit der neuen Averio-Software Buchhaltungsabschlüsse ohne Abhängigkeit von Drittprogrammen erstellt werden können.
Wie wichtig ist Ihnen die Landwirtschaft, denn im Firmennamen Averio ist «Agro» nicht mehr enthalten?
Agro bleibt unsere Firmen-DNA. Das ist in den Statuten der Averio AG festgehalten. Bereits heute nutzen viele KMU ausserhalb der Landwirtschaft unsere Software. Das «Agro» im Produktnamen führte immer wieder zu Erklärungsbedarf. Averio ist neutral, sodass wir auch für KMU attraktiver werden – und nicht jedes Mal erklären müssen, dass sich unsere Software auch für Gewerbebetriebe eignet.
Wie wichtig ist der Averio AG das Netzwerk mit Bildung, Beratung und Forschung?
Agro-Twin verfügte über eine Arbeitsgruppe Methodik, die eng mit Bildung, Beratung, Agroscope und HAFL im Austausch war und von der Grundbildung Landwirtschaft bis zur zentralen Auswertung von Agroscope für methodische Grundlagen und einheitliche Begrifflichkeiten sorgte. Das Fortführen einer solchen Arbeitsgruppe lag auch in meinem Interesse. Deshalb werden wir die Arbeitsgruppe Methodik in den kommenden Monaten neu konstituieren.
Werden Agro-Office und Agro-Twin eingestampft, wenn die Averio-Software auf dem Markt sein wird?
Es wird deshalb keine eigentliche Markteinführung am Tag X geben, an dem wir die komplette Software mit allen Funktionen veröffentlichen werden. Wir planen vielmehr, die einzelnen Module schrittweise zu entwickeln und ein Modul zu veröffentlichen, sobald der von uns definierte minimale Funktionsumfang erfüllt ist. Da die bisherigen Programme Agro-Office und Agro-Twin weit mehr als die erwähnten Minimalanforderungen abdecken, werden wir die beiden bisherigen Programme auch nach Einführung der Averio-Software weiterhin anbieten.
Wird es mit Averio auch ein Liquiditäts-Tool geben?
Geldflussrechnungen kann man schon heute mit Agro-Office oder Agro-Twin erstellen. Dabei ist aber nur ein Blick in die Vergangenheit möglich. Ein Liquiditäts-Tool beziehungsweise eine Planerfolgsrechnung ist ein grosses Bedürfnis von HAFL-Dozent Bendicht Münger. Grundsätzlich habe ich Verständnis für sein Anliegen, denn Liquiditätsengpässe sind für Bauernfamilien ein grosses Risiko. Ein Planungs-Tool, das eng mit der Buchhaltung verknüpft ist, könnte bei der Liquiditätsplanung sicher helfen. Deshalb haben wir das Anliegen der HAFL in unsere langfristige Planungsliste aufgenommen, jedoch nicht mit hoher Priorität.
Ist eine strategische Weiterentwicklung zu einem Farmmanagement-System geplant?
Denken Sie an ein Angebot, wo alles unter einem Hut ist mit ÖLN, SwissGap, Labelprogrammen etc.? Nein, das ist nicht vorgesehen. Wir konzentrieren uns auf den finanziellen Teil der Betriebsführung. Wo es möglich und sinnvoll ist, werden wir auf Schnittstellen zu bestehenden Farmmanagement-System-Anbietern setzen.
Fühlen Sie sich nicht durch die Bexio AG mit ihrem Werbeclaim «Mach keis Büro uf» konkurrenziert?
Bexio ist eine Software, die für Anwender geeignet ist, die nicht tagtäglich an ihrer Buchhaltung sitzen. Das ist auch unser primäres Ziel. Wir machen es den Bauernfamilien mit unseren an die Landwirtschaft angepassten Erfassungsmasken und der intuitiven Menüführung leicht, die Buchhaltung zu erledigen. Meiner Meinung nach suggeriert der Werbeclaim jedoch auch, dass die Buchführung mit Bexio so einfach ist, dass man ganz ohne beratende Unterstützung von Fachleuten zum fixfertigen Abschluss gelangt. Einen solchen Selbstabschluss können unsere Agro-Office-Anwender bereits seit Mitte der 90er-Jahre tätigen.
Wie wichtig sind Treuhänder für den Abschluss?
Wir raten unseren Anwendern seit jeher, den Abschluss aus fachlichen und steuerlichen Aspekten regelmässig von einem Fachmann überprüfen zu lassen. Ein einfaches Programm ist keine Garantie für eine langfristig optimale Buchführung.
Das Firmennetzwerk
Averio AG: Die Aktienmehrheit an der Averio AG haben zu gleichen Teilen die Agro-Twin AG und Urs Wüest als Inhaber der Agro-Office AG. Minderheitsaktionär ist Rolf Latzer, der das Averio-Entwicklungsteam leitet. Der Verwaltungsrat besteht aus je zwei Delegierten von Agro-Twin und Agro-Office sowie Rolf Latzer. Christian Guler, ehemals Geschäftsführer Agro-Twin AG, nimmt Einsitz in der Averio-Geschäftsleitung. Hans Ulrich Sturzenegger wird Verwaltungsratspräsident und Urs Wüest ist Geschäftsleitungsvorsitzender und wird ebenfalls Einsitz im Verwaltungsrat nehmen. Über die Zahlen zur Firmenbewertung vereinbarten die Parteien Stillschweigen.
Agro-Office AG: Die Agro-Office AG ist eine Aktiengesellschaft, die 1992 von Peter Wüest gemeinsam mit zwei Geschäftspartnern gegründet wurde. Sein Sohn, Urs Wüest, trat 2004 in die Firma ein und ist seit 2009 als Geschäftsführer und Produktverantwortlicher massgebend für die Entwicklung der Software verantwortlich. Er ist Alleininhaber der Agro-Office AG.
Agro-Twin AG: An der Agro-Twin AG haben die Agridea und der Schweizer Bauernverband die grössten Aktienpakete. Beteiligungen halten zudem 28 Agro-Treuhandstellen. Die Software Agro-Twin wird ausschliesslich über Partner-Treuhandstellen an Bauernfamilien vermietet. Es handelt es sich um ein Kassabuch (Agro-Twin Cash) mit E-Banking-Funktionalitäten und Inventarerfassung. Die Treuhandstellen tätigen die Abschlussarbeiten für die Anwender.