Chlorpyrifos-haltige Pflanzenschutzmittel können noch bis zum 30. Juni 2020 aufgebraucht werden. Dies teilte Pflanzenschutzberater Severin Bader vergangene Woche an der Pflanzenbautagung am Bildungszentrum Wallierhof SO mit. Eine gute Nachricht für Landwirte möchte man annehmen, denn das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) veranlasste ursprünglich zum 1. August 2019 ein sofortiges Verbot des Insektizids. Doch nach Einsprachen von acht Pflanzenschutzmittel-Herstellern und -Händlern wurde die Ausverkaufs- und Aufbrauchfrist auf besagtes Datum verschoben. Pflanzenschutzmittel-Händler fühlen sich trotz des positiven Entscheides hintergangen.

BLW gab Firmen falsche Infos

Am 4. Dezember 2018 rief das BLW Vertreter mehrerer Pflanzenschutzmittel-Hersteller und -Händler zum Gespräch. Den Firmen wurde mitgeteilt, dass der Rückzug der Bewilligungen für Chlorpyrifos-haltige Produkte im Verlauf des Jahres 2019 erfolgen werde, teilt Jürg Burkhard, Geschäftsführer der Sintagro AG auf Anfrage der BauernZeitung mit. Die üblichen Ausverkaufs- und Aufbrauchfristen würden gewährt werden. «Das sind ein Jahr für den Ausverkauf und ein weiteres Jahr für den Verbrauch der Restmengen», so Burkhard. Doch bereits nach weniger als sechs Monaten, am 28. Mai 2019, verfügte das BLW, dass die Produkte Rimi 101 (Sintagro AG), Blocade (Omya), Pyrinex (Leu + Gygax AG) und ­Cortilan (Syngenta) auf den 1. August vom Markt genommen werden müssen. Eine Frist für den Ausverkauf dieser Produkte, wie es den Firmen vom BLW kommuniziert wurde, gab es nicht, erzählt der Geschäftsführer. 

Verbot, weil Wirkstoff «äusserst giftig» sei

Begründet wurde der Entscheid des BLW nach Angaben von Jürg Burkhard mit Argumenten
der Umweltorganisationen WWF und Greenpeace sowie mit Gutachten von der Forschungsanstalt Agroscope und vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). In einer Medienmitteilung des WWF vom Juni 2019 heisst es: «Das in der Landwirtschaft ­eingesetzte Gift kann bei ­Embryonen und Kleinkindern das Gehirn schädigen.» Des weiteren sei Chlorpyrifos durch seine ähnliche Struktur wie gewisse chemische Kampfstoffe (Nervengase) äusserst giftig für Vögel, Säugetiere, Fische, Amphibien, Insekten, Bienen und das Bodenleben. Seine Argumentation entnehme der WWF aus wissenschaftlichen Grundlagen, so die Umweltorganisation in der Medienmitteilung. 

Steigender Druck von aussen

Jürg Burkhard weiss allerdings von keinen Schäden, wie er der BauernZeitung weiter berichtet. «Der Wirkstoff wird seit über 40 Jahren weltweit eingesetzt. Weder uns noch dem Hersteller wurden je irgendwelche Schäden an Menschen oder Tieren gemeldet. Selbst Schäden an Vögeln konnten nur im Labor, aber nicht im Freiland nachgewiesen werden.» 

Regina Ammann, Leiterin Öffentlichkeitsarbeit für die Schweiz Syngenta, glaubt, dass solche Entscheide aufgrund von medialem und politischem Druck getroffen werden. Darauf könne Syngenta aber nicht einfach auf Knopfdruck reagieren und neue Produkte entwickeln. «Es dauert zehn Jahre bis ein Produkt auf den Markt kommt. Ein Drittel dieser Zeit wird nur für die erforderlichen Zulassungsstudien aufgewendet.»

Firmen reichen Einsprache beim BLW ein

Sintagro AG, Syngenta sowie weitere sechs Firmen haben daraufhin Einsprache beim Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen eingereicht. Insbesondere beschwerte man sich gegen den behördlichen Entscheid, keine Ausverkaufs- und Aufbrauchfrist zu gewähren. «Sintagro war bereit, das Verfahren bis vor das Bundesgericht in Lausanne weiterzuziehen», so der Geschäftsführer. Doch bereits während der mehrstündigen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht waren die Argumente der zahlreichen Vertreter von WWF, Greenpeace und BLW zu wenig stichhaltig, erinnert er sich. Weil es während der letzten Jahrzehnte zu keinen Problemen mit den Produkten kam, hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass keine Dringlichkeit eines Verbots vorliegt. In einem Vergleich einigten sich die involvierten Parteien darauf, die Produkte noch bis zum 30. Juni 2020 auszuverkaufen und aufzubrauchen. 

BLW soll ungerechtfertigt entschieden haben

Doch mit dem Entscheid gibt sich der Geschäftsführer der ­Sintagro AG nicht zufrieden: Von den anderen Firmen hätte er sich mehr Unterstützung gewünscht, die trotz Zusage nicht erfüllt wurde. «Ich bin sicher, dass wir gemeinsam mit den Fachleuten der multinationalen Konzerne sogar eine Aufbrauchfrist bis zum 28. Mai 2021 hätten erreichen können.»

«Wir hätten sogar eine Aufbrauchfrist bis zum

28. Mai erreichen können.»

Jürg Burkhard, Geschäftsführer der Sintagro AG.

Zudem habe das BLW «völlig chaotisch» und «willkürlich» verfügt. Das zeige sich beispielsweise daran, dass das Streugranulat Rimi 101, das nur 1% des Wirkstoffs enthält, nur im Mais und in Zuckerrüben eingesetzt werden darf, Blocade (Streugranulat, 1,5% Wirkstoff) aber weiterhin in insgesamt 68 Kulturen. Zudem hätten weitere Chlorpyrifos-haltige Produkte Aufbrauchfristen von bis zu zwei Jahren erhalten (Produkte: Aerofleur Spray, Ephosin, Pyristar). Eines darf sogar auf Zimmerpflanzen in Büro- und Wohnräumen angewendet werden.

Das BLW begründet diesen Entscheid folgendermassen: «Produkte, die in den Boden eingearbeitet werden, stellen ein anderes Risiko dar, als Produkte, die auf die Bodenoberfläche gestreut werden.» Der Entscheid, dass Rimi 101 bis Ende Juni nur noch in zwei Kulturen zugelassen ist, sei aus dem Vergleichsverfahren beim Bundesverwaltungsgericht entstanden und könne vom BLW nicht kommentiert werden.

Firmen fordern mehr Planungssicherheit 

Der Zulassungsprozess innerhalb der EU und in der Schweiz hat sich verschärft. Für vier ­verbotene Wirkstoffe, kommt nur ein neuer auf dem Markt. Dem Vernehmen nach wurde für 2020 sogar kein einziger Wirkstoff neu in der Schweiz zugelassen, weiss Regina Ammann von der Syngenta. «Es ist jedoch sehr wichtig, eine genügende Auswahl von Substanzen zur ­Bekämpfung von Krankheiten und Schädlingen zu haben. So auch Resistenzbrecher wie z. B. Chlorpyrifos oder das seit Januar verbotene Chlorothalonil.» Syngenta setze sich deshalb dafür ein, dass das Zulassungsverfahren wissenschaftlich fundiert bleibt und fordert mehr Planungssicherheit vom Bund.

 

Überblick

Chlorpyrifos wird seit den 1960-er Jahren in der Schweiz als Insektizid im Gemüse-, Feld-, Beeren- und Weinbau sowie an Ziergehölzen eingesetzt. Es gehört zu den am häufigsten in der Landwirtschaft verwendeten Pflanzenschutzmitteln. Chlorpyrifos hat als Granulatköder oder Kapselsuspension eine Kontakt-, Frass- und Atemgiftwirkung und wirkt am Nervensystem von Insekten.

Neue Beurteilung der PSM

Im Rahmen der gezielten Überprüfung (GÜ) werden bereits bewilligte Pflanzenschutzmittel (PSM) seit 2010 auf Basis neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse nach ihrem Risiko neu beurteilt. Die Überprüfung  führt die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) durch.

Auch Chlorpyrifos wurde einer Neubeurteilung durch die EFSA unterzogen. Ihre Bewertung ergab, dass der Wirkstoff Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit hat und ausserdem extrem giftig für Vögel, Insekten und Wassertiere ist. Die Kriterien für eine Verlängerung als zugelassener Stoff würden deshalb nicht erfüllt werden.

BLW gestattet Einsprache

Das Bundesamt für Landwirtschaft hat daraufhin die Zulassung Chlorpyrifos-haltiger PSM ohne Abverkaufs- und Aufbrauchfrist auf den 1. August 2019 gesetzt. Pflanzenschutzmittelhersteller konnten daraufhin eine Einsprache innerhalb von 30 Tagen einreichen. Acht Hersteller und Händler nahmen davon Gebrauch und erwirkten eine Verkaufs- und Aufbrauchverlängerung für die Produkte Blocade, Cortilan, Rimi 101, Pyrinex bis zum 30. Juni 2020. In nächster Zeit wird die Rückgabe der Reste durch die Pflanzenschutzhändler koordiniert und kommuniziert. Die Verkaufsstellen müssen diese zurücknehmen.