Immer, nachdem er seine Reben mit Fungizid behandelt hatte, plagten Roland Lenz heftige Kopfschmerzen. Aspirin half. Bis Lenz auffiel, dass sowohl das Medikament als auch das Fungizid vom selben Hersteller stammen. «Für den Konzern geht das auf – für mich nicht», so sein Fazit. An diesem Punkt stellte er 1995 die Bewirtschaftung seiner damals 6,5 ha Reben auf Bio um.
Die Piwis als Lösungsansatz auch nach dem «Jahr ohne Sommer»
Im Jahr darauf, 1999, folgte das «Jahr ohne Sommer». «Wir haben die Pelerine praktisch nur noch zum Schlafen abgelegt», erinnert sich Roland Lenz. Auf 5 ha erlitt er Totalausfall, der Pflanzenschutz versagte bei den empfindlichen Rebsorten Müller-Thurgau und Pinot Noir. Die übrigen Reben – pilzwiderstandsfähige (Piwi-) Sorten – präsentierten sich hingehen gesund und wunderschön. «Die Piwi-Flächen haben uns gerettet», meint der Winzer aus Uesslingen TG. Seither pflanzt er keine europäischen Traubensorten mit klingenden Namen mehr, er setzt bei der Erneuerung von Parzellen ausschliesslich auf krankheitsrobuste Piwi.
Als Bio-Weinbauer beschäftigte Roland Lenz die Abdrift-Problematik. Um seine Reben von den konventionellen in der Nachbarschaft zu schützen, pflanzte er Hecken. Drei Reihen Rebstöcke mussten dafür weichen. Doch Roland Lenz entdeckte bald einen anderen Effekt der Hecken in seinem Rebberg, die sich zunehmend mit Leben füllten: «Ich konnte beim Arbeiten dort meine Batterien aufladen.» Er fühlte sich erholt, auch wenn er dieselben Tätigkeiten ausführte, die ihn an anderer Stelle eher ermüdeten. Über die Jahre fanden immer mehr Insekten, Vögel, Reptilien und Säugetiere im biodiversen Rebberg Rückzugsorte. «Heute haben wir etwa 15 Rehe in den Reben», bemerkt Lenz. Seitliche Netze verhindern, dass sich Rehe oder Vögel bei den reifen Trauben bedienen und schützen sie zusätzlich vor Hagel.
Betriebsspiegel Weingut Lenz
Labels Bioetico, Demeter
LN 27 ha
Reblagen 7 Weingärten, insgesamt 2500 Fruchtbäume und 100 000 Piwis, rund 80 verschiedene Weine
Ackerbau Fruchtfolge aus Getreide, Leguminosen, Buchweizen, Ölsaaten oder Hanf in flachen Parzellen zwischen den Reben
Arbeitskräfte Roland und Karin Lenz, 14 Schweizer Festangestellte (900 Stellenprozent)
[IMG 4]
Verbesserte Bodenfruchtbarkeit durch Verzicht auf Chemie
Er habe lange Zeit einfach biologische statt chemische Hilfsstoffe eingesetzt, meint der Winzer rückblickend. «Ich bin nicht die Ursachen angegangen» Durch die Behandlung seiner Pinot-Noir-Reben mit Kupfer oder Schwefel statt chemischer Wirkstoffe seien die Pflanzenschutz-Probleme zwar kleiner geworden, das Bodenleben habe aber weiterhin unter den fungiziden Spritzungen gelitten.
Eine deutliche Reduktion bei Kupfer und Schwefel gelang Lenz durch den konsequenten Ersatz der traditionellen Rebsorten durch Piwis. «Wo wir das am längsten umsetzen, ist die Bodenfruchtbarkeit am besten.» Mittlerweile ist er Demeter-zertifiziert. In gewissen Parzellen sei der Humusgehalt von 1,8 Prozent – was Lenz als «etwa das Existenzminimum» bezeichnet – auf über 5 Prozent gestiegen. Momentan steige der Humusgehalt dank der Aktivität des Bodenlebens etwa 0,3 Prozent pro Jahr. «Ich weiss nicht, wohin das führt.»
Roland Lenz arbeitet mit eigenem Kompost, der hauptsächlich aus Weintrester besteht. Ergänzend kommen vor der Ernte zwischen den Reben geschnittenes Gras, Pflanzenkohle und biodynamische Präparate dazu. Ende Oktober und im Februar setzt er die Mieten um, die zu Beginn etwa ein Volumen von 150 m 3 haben. Den Kompost erhalten die jungen Reben, denn das Weingut Lenz ist in ständiger Erneuerung. Es ist durch stetigen Zukauf neuer Parzellen auf eine Grösse von 27 ha angewachsen.
[IMG 2]
Die Reben werden vitaler, wenn der Humus zunimmt
Bei den abschirmenden Hecken ist es punkto Biodiversität nicht geblieben – allerdings ohne bei der Produktionsmenge oder -qualität Abstriche zu machen. «Ab rund 4,5 Prozent Humus im Boden reagieren die Reben», beobachtet Roland Lenz. Dann stünden den Pflanzen im Grunde zu viele Nährstoffe zur Verfügung, um auf die gewohnte Weise geschnitten und erzogen zu werden. Die Reben schiessen vegetativ ins Kraut, werden grösser und bilden viel Laub, beschreibt der Thurgauer. Um wieder ein Gleichgewicht herzustellen, lässt er mehr Triebe stehen, damit die Pflanze die verfügbaren Nährstoffe für die Traubenproduktion einsetzen kann. Dass Reben am besten auf kargen Böden gedeihen, hält Lenz für einen Irrglauben.
Voller Ertrag bei 2/3 Reben
Solche vor Kraft strotzenden Reben brauchen Platz, weshalb Roland Lenz auf diesen Flächen statt der üblichen 5000 Stöcke pro ha nur deren 3300 hat. Jede dritte Rebzeile wurde gerodet. «Wir haben 100 Prozent Ertrag mit nur 66 Prozent der Reben und das bei gleich bleibender Qualität», betont Lenz. Er nutzt den freien Platz für die weitere Diversifizierung seines Betriebs und zugleich zugunsten der Biodiversität: Haselnüsse unterschiedlicher Sorten, Fruchtbäume wie Kaki oder Granatapfel, Mandelbäume, Äpfel und Birnen bereichern den Rebberg. Im letzten Jahr konnte Lenz zum ersten Mal eigenes Tutti Frutti verkaufen. Ab und zu steht auch eine klassische Hecke oder eine Pappel, Letztere in erster Linie als Windschutz. Noch weniger ins Bild eines klassischen Weinguts passen die Ackerkulturen, die Lenz auf 3 m Saatbreite in den flacheren Parzellen zwischen den Rebreihen anbaut. Dort entsteht etwa Hafer, der in Flockenform in Demeter-Müesli wandert.
Fledermäuse schützen vor der KEF
Bis die Bäume gross genug sind, fördert der Thurgauer Fledermäuse mit spezifischen Kästen an hohen Pfählen und mit langen Saufstellen. Mit gutem Grund: Sie halten ihm zufolge die beiden Hauptschadorganismen Traubenwickler und Kirschessigfliege (KEF) im Zaum. «Zuerst muss man aber eine Nahrungsgrundlage für die Fledermäuse schaffen», hält Roland Lenz fest. Schliesslich brauche eine einzelne Fledermaus rund 2000 Insekten pro Tag. «Das heisst: Biodiversität fördern und nicht tot spritzen.» Die Hasel bildet mit ihren früh im Jahr verfügbaren Pollen die Nahrungsgrundlage für Raubmilben. So sind die Nützlinge bereits in ausreichender Zahl im Rebberg, wenn Spinnmilben aufkommen. Der Austausch mit Berufskollegen im In- und Ausland ist im wichtig, um solche Strategien zu teilen und neue Ideen zu bekommen. Der Ansatz mit der Fledermausförderung kam etwa aus Frankreich.
Seine biodiversen «Weingärten» hat Roland Lenz bisher auf 10 ha realisiert. Jedes Jahr kommen mit dem Ersatz alter Rebstöcke weitere dazu. Während der Vegetationszeit geht er alle zwei Wochen durch jede seiner Parzellen und beobachtet die Reben, um bei Bedarf eingreifen zu können. Gegen Echten Mehltau schützt der Winzer seine Piwis mit Fenchelextrakt oder Backpulver. «Wenn die Pflanze so unterstützt weniger Stress bekommt durch den Echten Mehltau, wird der Falsche kein Problem», sagt Lenz. Kupfer und Schwefel kommen nur noch in homöopathischer Form zum Einsatz, ansonsten Rindenextrakt, Komposttee und Schachtelhalmauszüge.[IMG 3]
Der gesunde, aktive Boden mit hohem Humusgehalt wirke in Trockenzeiten wie eine Versicherung und könne bei Starkniederschlägen grosse Wassermengen in kurzer Zeit schlucken. Zur Wirtschaftlichkeit gibt Roland Lenz zu bedenken, dass man üblicherweise mit 450 – 500 Stunden Arbeit pro ha im Weinbau rechne. «Wir sind vor allem am Ernten und kommen auf 200 Stunden pro ha.» Die Weinlese dauere bei ihm etwa sechs Wochen – die unterschiedlichen Sorten reifen nicht gleichzeitig ab. Der Verzicht auf traditionelle Sorten ist für Lenz kein Hindernis für die Vermarktung: Er ist bekannt für seine Piwi-Weine. Eine Rebsorte wächst bei ihm auf maximal 20 a. Auf dem ganzen Betrieb stehen 1800 verschiedene Sorten, was vor grossflächigen Krankheiten und Resistenzdurchbrüchen schütze.
Ein neuer BLW-Kulturcode
Die Feldkulturen, Nüsse und Fruchtbäume diversifizieren nicht nur das Leben im Rebberg und Lenz’ Angebot, sondern sind auch für die Mitarbeitenden attraktiv, ist er überzeugt. Agrarpolitisch fallen seine Weingärten allerdings durch die Maschen, denn Bäume gehören nicht in einen Rebbaukataster. Daher steht Lenz mit den Behörden in Kontakt, um einen neuen Kulturcode zu entwickeln: Permakultur mit Reben.
Kultur und Vielfalt schützen
Wie gelingt Pflanzenschutz, der Produktion und Biodiversität sinnvoll zu kombinieren? In einer Serie in Zusammenarbeit mit der Plattform «Blühende Lebensräume» von Agroscope, FiBL, HAFL und dem Schweizer Bauernverband zeigen wir anhand von Praxisbetrieben cleveren Pflanzenschutz, der durch Nachhaltigkeit besticht.
