«Unterversorgter Top-Job» titelte die BauernZeitung vor vier Jahren. Im Artikel ging es um den massiven Nachwuchsmangel, mit dem die Gemüsebranche zu kämpfen hatte. Der Tiefpunkt war 2014 erreicht, als gerade einmal sieben Personen die Lehre als Gemüsegärtner/in EFZ begannen. Der Verband Schweizer Gemüseproduzenten (VSGP) reagierte unter anderem mit einer nationalen Plakatkampagne und Schnuppertagen für Schulen.
Es geht wieder aufwärts
Nun scheint die Trendwende geschafft. Während in den landwirtschaftlichen Berufsfeldern die Anzahl der Lernenden im Grossen und Ganzen konstant bleibt, geht es bei den Gemüsegärtner(innen) aufwärts. Aktuell befinden sich 118 Personen in Ausbildung.
Eltern haben Treuhandbüro
Einer dieser Lernenden ist Merlin Berner. Der 19-Jährige ist in Müntschemier BE aufgewachsen, einem Dorf mitten im Herzen des Berner Seelands, einem traditionellen Gemüsebaugebiet. Die Gemüsefelder befanden sich zwar vor der Haustür, aber einen Betrieb zu Hause hat Merlin Berner nicht.
Seine Eltern haben ein Treuhandbüro im Nachbardorf, zu dessen Kunden viele Landwirte gehören. Eine Schwester hat sich für eine kaufmännische Ausbildung entschieden, die jüngere geht noch zur Schule.
Als Schulbub helfen gegangen
Merlin Berner interessierte sich schon früh für die Landwirtschaft: Ab der sechsten Klasse begann er, regelmässig einem Bauern zu helfen. Dort habe er immer mehr Verantwortung übernehmen können, erzählt er.
«Für mich war die Möglichkeit, eines Tages vielleicht einen Betrieb übernehmen zu können, ausschlaggebend für die Wahl meiner Lehre.». Der Beruf Gemüsegärtner sei extrem vielseitig, das Arbeitsumfeld breit: von Pflanzenbau über Bodenbearbeitung, Mechanik, Landtechnik bis hin zu Büroarbeiten.
«Kein Tag ist gleich»
Eine Lehrstelle als Gemüsegärtner EFZ zu finden war gar kein Problem. Die ersten anderthalb Jahre verbrachte Merlin Berner auf dem Betrieb von Pascal Occhini in Ins BE. Mittlerweile ist er im dritten Lehrjahr bei Thomas Wyssa in Galmiz FR. «Damit sich in Zukunft noch mehr Junge für den Beruf begeistern lassen, braucht es unbedingt gute Lehrmeister», sagt Berner.
Nachteile am Beruf fallen ihm im Gespräch mit der BauernZeitung nur wenige ein. «Die Arbeiten wiederholen sich zwar durchs Jahr, aber kein Arbeitstag ist gleich.» Natürlich könne es auch mal stressig werden, zum Beispiel, wenn es nach zwei Wochen Regen nur zwei Tage trocken sei.
Prinzip hinter Landtechnik verstehen
Arbeitsbeginn ist um 7 Uhr. Morgens werden meist erst Salate geschnitten und andere Produkte geerntet. Nach dem Mittag werden Nachbestellungen geschnitten, gegen Abend ist Bodenbearbeitung oder Setzen an der Reihe. «Am liebsten ist es mir, wenn moderne Landtechnik zum Einsatz kommt», sagt Merlin Berner und nennt als Beispiel GPS. «Ich will das Prinzip dahinter verstehen.»
Auf dem Lehrbetrieb kommt die Weiterentwicklung eines bereits existierender sensor- und kameragesteuerten Hackgeräts (Steketee IC-Weeder) zum Einsatz. Der Roboter behandelt einzelne Pflanzen gezielt dank Sensor- und Software-gesteuerter Düsentechnik. Somit gelangen keine Pflanzenschutzmittel auf den Boden, was deren Abschwemmung in Gewässer verringert. Die integrierte automatische Hacktechnik macht zudem den Einsatz von Herbiziden überflüssig. Merlin Berner durfte den Roboter auch schon fahren, mit und ohne Unterstützung des Lehrmeisters.
«Mag fast alles Gemüse»
Nicht nur die Technik fasziniert ihn, sondern auch das Resultat seiner Arbeit am Abend auf dem Teller. Sich auf ein Lieblingsgemüse zu beschränken, findet der junge Mann schwierig: «Ich mag fast alles, Salat, Radieschen und Pak Choi sind nur ein paar Beispiele.» Dieser eng mit dem Chinakohl verwandte Exot wird auf dem Lehrbetrieb für Lidl produziert. Gerne kocht Merlin Berner auch einmal etwas aus «seinem» Gemüse.
«Sie waren geschafft»
Apropos Küche: Im Frühling meldeten sich viele Menschen beim Lehrbetrieb, die gerne im Gemüsebau arbeiten wollten. «Darunter waren Köche, die im Lockdown nicht ihrem normalen Job nachgehen konnten», erzählt Merlin Berner. «Die freiwilligen Helfer sagten mir, es sei schön, am Abend richtig müde zu sein.» Sie seien abends zwar geschafft gewesen, «aber auch glücklich, weil sie gesehen haben, was sie tagsüber gearbeitet haben».
Auf jeden Fall sei das Corona-Jahr speziell: Schutzmaske tragen ist längst Alltag, auf dem Lehrbetrieb ebenso wie an der Berufsschule. «Grundsätzlich lief es im Gemüsebau zum Teil besser als in anderen Jahren. Essen müssen die Leute ja so oder so», bilanziert Merlin Berner.
Als Skilehrer auf die Piste
Im Winter wird es auf dem Lehrbetrieb ruhiger. Da hat der Lernende Zeit, seine Überzeit zu kompensieren. Das passt, «denn ich bin auch noch Skilehrer in Grächen VS». Überhaupt schlägt sein Herz für «alles, was mit Sport zu tun hat».
Nach dem Lehrabschluss nächsten Sommer steht erst mal die Rekrutenschule auf dem Programm. Danach eine Stelle zu finden, dürfte kein Problem sein, wenn man bedenkt, wie gefragt Gemüsegärtner sind. Merlin Berner möchte sich weiterbilden. Ein Ziel ist die Meisterprüfung, aber der grösste Traum bleibt ein eigener Betrieb.