Göpf Mülli steht in seiner Obstplantage im zürcherischen Uster und pflückt einen kleinen, gelben Apfel. Es ist ein Exemplar des Usterapfels, die Schweizer Obstsorte des Jahres. Dabei handelt es sich um eine alte Apfelsorte, die in den Geschichtsbüchern erstmals um 1750 namentlich auftritt.
Herkunft nicht ganz klar
Der Apfelsortenexperte Mülli, der selbst drei Usterapfelbäume besitzt, hat Nachforschungen betrieben und ist dabei auf zwei Legenden gestossen. Beiden gemein ist, dass es jeweils ein Kriegsbediensteter war, der aus der Ferne einen Zweig eines Apfelbaums mitbrachte.
Eine der beiden Überlieferungen handelt vom Söldner Manz aus Nänikon, die andere von Oberst Blatter, der aus Holland zurückkam und im Schloss Uster residierte. Letzteren allerdings konnte Mülli bei seinen historischen Recherchen nicht finden. Dafür einen Oberst Schlatter, der einst im Schloss Uster logierte. So kennt man den Usterapfel auch unter den Namen «Blatter-Apfel» und «Schlatter-Apfel», obwohl seine Herkunft weiterhin schleierhaft ist.
Wie auch immer: «Der Usterapfel ist bekannt für seine Süsse», sagt Mülli. «Früher wurde er weitherum zum Süssen von Speisen verwendet.» Schweizweit bis über die Landesgrenzen hinaus für seinen Zuckergehalt bekannt, wurde er hauptsächlich zu Dicksaft und Süssmost verarbeitet.
In der Region weitherum bekannt
Verglichen mit anderen Süssäpfeln ist dem Usterapfel ein feines Aroma eigen. Eine eigentliche Karriere als Tafelapfel hat er dennoch nicht gemacht. Doch ältere Leute, die ihn in der Kindheit gegessen hatten, erkennen ihn wieder. «Ein Grund, weshalb der Usterapfel nie grossflächig angebaut wurde, liegt auch darin, dass er ein heikler ist», so Göpf Mülli. «Robust ist er zwar, aber was die Ernte betrifft, so schwankt er von Jahr zu Jahr.»
Vom Erntezeitpunkt Mitte September herum handelt es sich um eine eher frühe Sorte. Zum Lagern eignet sich der hellgelbe Apfel nicht, er wird schnell mehlig. Ein weiteres Merkmal ist seine längliche Form. Dieses Jahr jedoch seien die Äpfel generell eher etwas breit, weil das Längenwachstum durch den kühlen Frühling gehemmt wurde, sagt der Obstfachmann.
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200 Apfelsorten auf 15 Aren
In Müllis Niederstamm-Obstanlage finden sich auf 15 Aren rund 200 Apfelsorten. Dazu kommen ein paar Birn- und Kirschbäume. Bei den meisten Apfelbäumen handelt es sich um alte Sorten aus dem In- und Ausland, darunter einige Raritäten. «Viele habe ich aus Sammlungen oder aus privaten Gärten erhalten», erzählt Mülli. Üblicherweise als Zweig, den er auf eine Unterlage gepfropft hat.
Der 82-Jährige, der sich sein Wissen über Jahrzehnte selbst angeeignet hat, wird regelmässig um Rat gefragt, wenn jemand einen Baum unbekannter Sorte hat. In dieser Funktion ist er auch an verschiedenen Obstsortenmärkten anzutreffen, beispielsweise jeweils im Botanischen Garten in Zürich. Beim Sortenbestimmen helfen ihm nebst Kenntnissen und Erfahrungen auch Fachbücher, in denen Sorten detailliert beschrieben sind. «Dort findet man vor allem alte Äpfel. Bei neuen kann eine Bestimmung schwierig werden.»
Unterschiede wahrnehmen
Heute sind alte Sorten wieder vermehrt gefragt. So erlebt auch der Usterapfel ein Revival. Nicht im grossen Stil, doch laut Göpf Mülli stehen mittlerweile in vielen Obstgärten der Region ein, zwei Bäume der einheimischen Sorte. «Es ist zur hiesigen Tradition geworden, an besonderen Anlässen einen Usterapfelbaum zu verschenken.» Und auf dem Wochenmarkt dürfe eine Kiste voller Usteräpfel nicht fehlen.
Göpf Mülli, vor seiner Pensionierung im Gartenbau tätig, begann vor etwa 60 Jahren, sich näher mit Apfelsorten zu beschäftigen. Er war eines der ersten Mitglieder von Fructus, dem Verein zur Förderung alter Obstsorten, welcher den Usterapfel zum Apfel des Jahres 2021 gekürt hat. Nebst seiner Beratungstätigkeit und seinem Engagement in Obstvereinen und -gruppen nimmt die Pflege seines Obstgartens viel Zeit in Anspruch.
Für manche Arbeiten wie etwa die Ernte hat er Helfer. Ihm falle auf, dass ein Apfel, der heutzutage im Handel ist, meistens rot sein müsse. Unterschiede fänden sich kaum: «Weil es so viele andere Früchte zu kaufen gibt, ist für viele Konsumenten ein Apfel einfach ein Apfel. Die Vielfalt an Formen und Nuancen im Geschmack wird dagegen kaum mehr wahrgenommen.»
Steckbrief Usterapfel
Farbe: gelb
Form: schmal, länglich
Zuckergehalt: hoch
Aroma: leichte Vanillenote
Robustheit: hoch, wenig anfällig auf Pilzkrankheiten
Erntezeitpunkt: um Mitte September
Lagerfähigkeit: gering
Ernte: von Jahr zu Jahr schwankend
Lokalnamen in anderen Regionen: Citronenapfel, Chridebüchsler, Ankebälleli, Museau de mouton, Pomme citron