Der Thurgau bildet das Herzstück des Schweizer Obstbaus. Dank der Lage am Bodensee, der wie ein Kachelofen-Bänkli im Winter wärmt und im Sommer bei Nichtbetrieb angenehm kühlt, profitieren vor allem seenahe Gebiete von milden Wintern und angenehmen Sommern.
Aus diesem Grund konzentrieren sich hier, in Thurgaus Norden, auch die meisten Obstanlagen.
Nummer 1 bei Äpfeln
In keinem anderen Kanton wachsen mehr Äpfel: Mit einer Apfel-Obstanlagen-Fläche von 1139 ha führt der Thurgau schweizweit vor dem Wallis mit 946 ha. Bei den Birnen belegt der Thurgau mit 238 ha Anlagefläche Platz zwei – das Wallis führt hier mit 288 ha Fläche. Bei den Kirschen belegt der Thurgau mit 80 ha Fläche den dritten Platz, hinter den Kantonen Baselland/Basel (102 ha) und Aargau (82 ha).
Gesamtschweizerisch liegt der Thurgau mit der Obstanlagen-Gesamtfläche von 1528 ha übrigens auf Platz zwei – das Wallis übertrumpft ihn aufgrund des Aprikosenanbaus (664 ha) und erreicht den ersten Rang mit 1983 ha.
Die Bedeutung der Obstproduktion zeigt sich am 24. Juni beim Obststamm-Anlass am Versuchsbetrieb in Güttingen. Die Organisatoren des Bildungs- und Beratungszentrums Arenenberg laden zur Begehung der Obstanlagen und Besichtigung von neuen Sorten und Versuchen ein.
«Ich hoffe, es kommen ein paar Leute», sagt Andrea Marti, Leiterin Obst, Gemüse und Beeren, und eine der Hauptorganisatorinnen vor Beginn des Anlasses. Marti wird nicht enttäuscht. Zusammen mit Ralph Gilg, Präsident des Thurgauer Obstverbands (TOV), begrüsst sie an diesem Dienstagabend mehr als 90 Landwirte.
«Setzt die resistenten Sorten erst nach Erhalt der Zusage.»
Ralph Gilg, Präsident TOV, zu den Förderbeiträgen für resistente Apfelsorten.
Beitrag für resistente Sorten
Ralph Gilg nutzte die Gelegenheit, um die Produzenten über aktuelle Entwicklungen im Obstbau zu informieren. Seit 2023 zahlt das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) Obstproduzenten, die eine von zehn resistenten Sorten für die Tafelobstproduktion pflanzen, einen Beitrag aus. «Setzt die Sorten erst, wenn ihr die Zusage für die Beiträge erhaltet», sagt Gilg den Landwirten. Gleichzeitig verweist er auf die maximale Obergrenze – pro Betrieb bekommen Landwirte im Thurgau höchstens 105 000 Franken.
Kritisch verfolgt der TOV laut Ralph Gilg die Pflanzenschutzmittelmotion von Nationalrat Philipp Matthias Bregy (Mitte, Wallis). Diese verlangt, dass die Schweiz künftig Pflanzenschutzzulassungen der EU automatisch übernimmt. Das klinge zunächst gut, doch laut Abklärungen des TOV beim Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) birgt die Motion auch Risiken. Es könnte geschehen, dass bei deren Annahme auch Wirkstoffe, welche die EU streicht, automatisch auch in der Schweiz gestrichen werden.
Besichtigung der Versuche
Nach der Information geht es in die Obstanlagen. Über zehn verschiedene Obst- und Beerenarten wachsen auf dem Schul- und Versuchsbetrieb Güttingen, über 100 verschiedene Sorten testen die Forscher auf ihre Praxistauglichkeit. In Kleingruppen führen die Mitarbeiter des Arenenbergs durch die Anlage. Für Patrick Stadler, Betriebsleiter Schul- und Versuchsbetrieb Güttingen, bot sich eine der letzten Gelegenheiten, «seine» Anlagen sowie ausgewählte Versuche und Sorten zu zeigen – Stadler verlässt den Arenenberg per Ende 2025 und wechselt zur Tobi Seeobst AG. Sein Nachfolger Florian Eltschinger, gelernter Obstfachmann aus Altnau, steht diesen Abend ebenfalls am Start.
Eine Vielfalt an Sorten
Folgende Versuche stechen bei der Begehung besonders hervor:
- Ertrag und Qualität: Die Apfelsorte Kanzi wächst in einem Versuch in verschiedenen Erziehungssystemen – als abgelegte Einachs (sog. Guyot-System), Bi-Bäume (Zweiachsbäume) und als normale Spindel. Der Versuch zielt auf die Steigerung von Ertrag und Fruchtqualität durch die engen Reihenabstände ab.
- Mittelfrühe Kirschen: Gracestar und Vanda heissen zwei mittelfrühe Kirschensorten, bei denen verschiedene Anbauformen (Drapeau Marchand, Spindel, UFO) getestet werden. Die zwei Sorten unterscheiden sich in der Anlage optisch und geschmacklich voneinander. Gracestar bildet grössere Kirschen, die jedoch saurer schmecken. Vanda-Kirschen fallen kleiner aus und schmecken süsser.
- Neue Birnensorte: Piqa Boo heisst eine neue, in Neuseeland gezüchtete Birnensorte, die asiatische Nashis mit der europäischen Birne kombiniert. Die mittelgrossen, rotschaligen Früchte können nur via Club-System angebaut werden. «Sie verfügt über einen speziellen Geschmack – entweder man liebt sie oder mag sie nicht», sagt Florian Eltschinger bei der Besichtigung.
- Neue Apfelzüchtungen: Cosmic Crisp heisst die Weiterentwicklung der Sorte Honey Crisp – die laut Wikipedia in den USA wie eine Bombe einschlug. Speziell an den Crisp-Sorten sei laut Andrea Marti ihr knackig-saftiges Bisserlebnis, das durch die grossen Zellen entsteht. Beide Sorten liegen geschmacklich auf der süssen Seite. Wurtwinning heisst eine der Apfelsorten, die das Bundesprogramm für resistente Sorten fördert. Im Laden findet man die Äpfel allerdings unter dem Club-Namen Bloss. Bloss soll, falls alles so läuft wie geplant, die beiden altbekannten Sorten Jonagold und Golden Delicious ersetzen.
- Spezielle Apfelsorten: Magic Star lautet der Clubname des Apfels, der exklusiv für Coop im Primagusto-Bereich wächst. Laut Patrick Stadler ist sie «eine sehr produktive Top-Sorte zum Essen, mit einem super Aroma und guter Säure.» Im Bio-Bereich gelangt dieselbe Apfelsorte übrigens unter der Bezeichnung Natyra in den Handel.
Trick bei wüchsigen Bäumen
Auch Kurioses bot die Veranstaltung. «Ich beruhige mit der Kettensäge mal ein wenig die Bäume.» Was zunächst nach einem makabren Witz klingt, entpuppt sich als gängige Praxis, um wüchsige Birnenbäume in ihrem Wachstum zu hemmen.
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«Für diese Aufgabe braucht es Fingerspitzengefühl – das mache ich nicht selbst. Ich stelle jeweils einen Bekannten an, der das für mich erledigt und gehe an diesem Tag selbst nicht in die Anlage», erklärt ein Teilnehmer beim Begutachten der angeschnittenen Birnenbäume.
Lange verweilen die Teilnehmenden nicht mehr an diesem Posten. Schliesslich locken Bratwurst und kühle Getränke zum gemeinschaftlichen Abendessen. Beim gemeinsamen Austausch wird das Gesehene besprochen – und vielleicht die eine oder andere künftige Sortenpflanzung geplant.