Der Stickstoffkreislauf ist im Schweizer Ernährungssystem alles andere als geschlossen: Die Zufuhr geschieht unter anderem via Futtermittel- und Düngerimporte, während Stickstoff als Emissionen oder via Abwasserreinigungsanlagen (ARAs) das System wieder verlässt. Sowohl für die Herstellung von Mineraldünger brauche es Energie als auch für die Abfuhr in der ARA, stellte Michael Studer von der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL) an einem Webinar fest. Die HAFL forscht verschiedentlich daran, wie der Stickstoffkreislauf zu schliessen wäre.

Ersatz für Mineraldünger

Abo Der Stickstoff aus der Kläranlage könnte zum Beispiel im Getreide eingesetzt werden. (Bilder David Eppenberger) Recycling Stickstoff-Dünger aus Klärschlamm: Sinnvoll, aber teuer und wenig nachgefragt Wednesday, 27. May 2020 Die Emissionen sind ein bekannter und vieldiskutierter Ansatzpunkt. «Es braucht emissionsmindernde Massnahmen auf allen Stufen der Hofdüngerkaskade», hielt dazu HAFL-Forscher Thomas Kupper fest. Weniger im Fokus ist dagegen die Nutzung jener Nährstoffe, die vom Menschen ausgeschieden werden. «Das Recycling von Stickstoff aus dem Abwasser ist kein Tropfen auf den heissen Stein», sagte Simone Brethauer und untermauerte dies mit zwei Zahlen: Die Importmenge an Stickstoff in Form von Mineraldünger beläuft sich auf 41 000 t pro Jahr. Gleichzeitig gehen jedes Jahr 40 000 t Stickstoff aus menschlichen Ausscheidungen ungenutzt verloren. Damit liesse sich also – rein rechnerisch – praktisch der gesamte Importdünger ersetzen.

Die Frage ist nur, wie der Stickstoff aus dem Abwasser nutzbar gemacht werden kann. Früher brachte man Klärschlamm auf die Felder aus, was heute aber wegen der darin enthaltenen Schadstoffe (Schwermetalle) verboten ist. Es braucht demnach ausgeklügeltere Verfahren, die allerdings nicht unbekannt sind. Simone Brethauer erläuterte das Vorgehen für die Gewinnung von Ammoniumsulfat aus Faulwasser, das in ARAs anfällt. «Dafür sprechen die hohe Rückgewinnungsrate von 90 Prozent und die Entlastung der biologischen Reinigungsstufe der ARA», erklärte sie. Letzteres gewinne mit wachsender Bevölkerung an Bedeutung. Die Schweizer Pilotanlage für die Rückgewinnung von Ammoniumsulfat ist allerdings sehr gross: Sie erstrecke sich über drei Stockwerke. Ausserdem muss das Faulwasser unter hohem Energieaufwand mit Wasser belüftet und das so gelöste NH3 anschliessend durch Salzsäure geleitet werden. Der Prozess braucht weiter grosse Mengen Natronlauge, um den pH zu steuern. Alles in allem sei der Energieaufwand pro kg N damit höher als im Haber-Bosch-Verfahren, das für die Herstellung von Mineraldünger zum Einsatz kommt. «Heute ist das nicht wirtschaftlich», so Simone Brethauer. «Aber», ergänzte sie, «der Prozess ist auch noch nicht optimiert.»

Einmal düngen reicht

In der Anwendung wäre das Ammoniumsulfat aus ARAs hingegen unkompliziert, wie Bernhard Streit ausführte. «Das geht wie bei normalen (Flüssig-)Düngern und wird auch schon gemacht, etwa mit einer Feldspritze oder als Zusatz zur Aufwertung von Gülle.» Sehr vielversprechend ist in diesem Zusammenhang das Cultan-Verfahren, bei dem das Ammoniumsulfat in den Boden injiziert wird. Es entstehe so ein Ammoniumdepot im Boden, das als Langzeitdünger wirke und mit einem geringen Auswaschungsrisiko verbunden sei. Damit wäre eine Gabe mit der gesamten Düngermenge ausreichend – die Nährstoffaufnahme geschehe anschliessend während der ganzen Wachstumsperiode der Kultur. Kleinparzellen-Versuche der HAFL haben laut Streit keine Ertragsunterschiede zwischen einer Cultan-Düngung und einer konventionellen mineralischen Düngung gezeigt. «Aber die Wachstumsdynamik war anders», so Streit. Nach der Cultan-Applikation habe es ein starkes Sprosswachstum des Winterweizens gegeben. «Bei früher Anwendung bedeutet das eine stärkere Unkrautunterdrückung. Es besteht aber die Gefahr einer suboptimalen N-Versorgung gegen Ende des Weizenwachstums.»

Höhere Effizienz

Herausforderungen in Logistik und Applikationstechnik hält Bernhard Streit für lösbar. Neben dem wegfallenden Aufwand für mehrere Düngergaben und einer reduzierten Auswaschung spreche ausserdem eine tendenziell bessere N-Ausnutzung für die Verwendung von Ammoniumsulfat bzw. Cultan. Der Ausbringungszeitpunkt und die Platzierung der Ammoniumlösung müssten aber an die Kulturpflanzen angepasst werden.