«Wir konnten von über 100 Kirschenbäumen auf 100 Sorten lediglich einige weisse Kirschen mit harter Haut ernten», sagt Urs Amrein vom Archehof Neuhof. Die Kirschessigfliege (Kef) habe dieses Jahr fast die gesamte Ernte vernichtet. Der Befall sei schon in den letzten Jahren hoch gewesen, aber noch nie so drastisch wie diesmal.

Auf seinem Betrieb stehen 650 Hochstammbäume, 500 davon sind Patenbäume. So könnten auch alte Sorten erhalten werden. «Die unsichere Ernte mindert die Attraktivität von Kirschbäumen für die Paten, obwohl viele Leute grosse Freude an Kirschbäumen und den traditionellen Kirschensorten haben.»

Kirschen in Anlagen

Kirschen-Hochstämmer hätten eine schwierige Zukunft, wenn nicht sehr bald ein Nützling die Kef in Schach halten könne, ist Urs Amrein überzeugt. Wegen der Anfälligkeit auf Pilzkrankheiten sind Hochstammkirschen auf einen regelmässigen Pflanzenschutz angewiesen. Fällt die Ernte über mehrere Jahre aus, wird dieser vernachlässigt.

Auch wegen Absatzproblemen für Brenn- und Industriekirschen könnten bald sehr viele Bäume verschwinden. Amrein weist auf den sinkenden Konsum von Kirschwasser und anderen Produkten aus Kirschen hin, dafür gebe es auch immer weniger Abnehmer. Derzeit würden sich Kirschen besser für geschützte Anlagen eignen. Hochstammkirschen würden vermutlich nur auf einzelnen Betrieben in einer Nischenproduktion überleben.

Schwieriger Produktabsatz

Zwar gebe es für Hochstammbäume grosse Sympathien bei der Bevölkerung. Solche Bäume seien positiv für das Landschaftsbild, die Biodiversität und grundsätzlich bräuchten sie auch weniger Pflanzenschutz. Urs Amrein erwähnt auch die Bedeutung als CO2-Speicher und die Vorteile von Agroforst-Systemen.

Die grosse Herausforderung liege aber beim Absatz von Hochstamm-Produkten. Da seien ausser Coop kaum Abnehmer für grosse Mengen erkennbar, lediglich in Nischen seien die gefragt. Beim Mostobst sei die Situation noch etwas anders, aber auch da stagniere der Konsum, oder es werde wegen der Zuckerthematik auf verdünnte Säfte ausgewichen. Der Mehrpreis für Hochstamm-Mostobst ist zu gering. «Deswegen setzt kein Bauer auf Hochstamm-Mostobst.»

[IMG 2]

Die Erhaltung fördern

Wer heute Bäume in der LN setzen wolle, müsse sich gut überlegen, ob das Obstbäume sein sollen und ob es einen Absatzkanal für die Produkte gebe. Urs Amrein findet daher, dass Förderbeiträge für Neupflanzungen überdacht werden sollten. Ebenso wichtig wäre es, den Erhalt der bestehenden Hochstammbäume finanziell stärker zu unterstützen. Förderungswürdig wären grosse alte Obstbäume, die oft frei in der Landschaft stehen, aber wirtschaftlich wenig rentabel sind. 

Bäume wegen Ökoauflagen

Die Spezialisierung in der Landwirtschaft habe dazu beigetragen, dass Hochstämmer einen schweren Stand hätten. Auf vielen Betrieben hätten die Obstgärten um den Hof zwar noch eine gewisse Bedeutung, aus Tradition oder zur Erreichung der ökologischen Auflagen.

Und es gebe im Seetal einige Betriebe, die Chancen sehen und professionell, mit entsprechender Mechanisierung wie Hebebühnen und Auflesemaschinen, auf Hochstamm-Produkte und Direktvermarktung als Betriebszweig setzen würden.

«Es braucht rasch Nützlinge gegen die Kef.»

Die Kirschessigfliege ist eine Bedrohung für Hochstämmer, sagt Urs Amrein.

Wirkung der PRE fraglich

Zum Nutzen und der Wirkung der vor Jahren lancierten Projekte zur regionalen Entwicklung (PRE) wie «Hochstamm Seetal» oder auch «Zuger Rigi Chriesi» (siehe Kasten) müsse man sich heute durchaus kritische Fragen stellen. Mit seiner Betriebsstrategie mit Patenbäumen, Events auf dem Bauernhof und einem breiten Sortiment an Spezialitäten habe er sicherlich von den damaligen Projekt-Impulsen profitiert, erklärt Amrein.

Im Hofladen steht eine grosse Auswahl an Produkten mit dem Label «Hochstamm Seetal». Auch im eigenen Webshop hofft Amrein, vermehrt Käufer für die Hochstammspezialitäten zu finden. So gehören eine Birnenweggenfüllung, Senfe, Obstbalsamicos, Apfel- und Birnenessig, Konfitüren, Birno, sortenreine Säfte und vieles mehr zum Angebot. 

Erwartungen nicht erfüllt

Die PRE und die später daraus gegründeten (inzwischen teils wieder liquidierten) Firmen hätten aber nie zu Produktionsmengen geführt, die man eigentlich erwartet habe, sagt Urs Amrein. Die Gründe, wieso dies nicht klappte, seien vielfältig. Grundsätzlich sei es wohl schwierig, eine Region in eine Richtung zu entwickeln, auch aufgrund der vielen verschiedenen Akteure. Punktuell hätten die PRE zwar Erfolge ermöglicht, aber sicher nicht wie erwartet flächendeckend.

Kaum Einsatz für Absatz

Die Politik und viele Organisationen, auch im Landschafts- und Naturschutzbereich, würden Pflanzungen zu Förderung und Erhalt von Hochstammbäumen propagieren. Für den Absatz der Produkte setze sich aber kaum jemand ein. Bei der erstmaligen Präsenz an der Luga mit den Seetaler Hochstamm-Produkten hätten sie auch feststellen müssen, wie wenig den Leuten der Begriff Hochstammbäume bekannt sei. Auch seien den Konsumenten die Zusammenhänge zwischen schönen Apfel-Hochstammbäumen und dem Süssmost-Konsum kaum bewusst.

GmbH neu organisiert

Das veränderte Marktumfeld spürte auch die Hochstamm Produkte GmbH, die knapp 100 t an Rohstoffen von Hochstammbäumen für ihre Produkte benötigt. Der Umsatz von einer halben Million Franken reichte nicht, um die Kosten für einen Geschäftsführer, eine eigene Logistik und für die Administration zu decken. Die Firma, bei der Urs Amrein zusammen mit dem pensionierten Biobauer Mathias Hünerfauth Eigentümer ist, wurde deshalb im letzten Jahr neu organisiert und musste Kosteneinsparungen vornehmen.

Seit April 2024 ist für das operative Geschäft der Firma der Archehof zuständig. Séverine Budmiger, die auf dem Archehof arbeitet, führt nun zusammen mit Urs Amrein die Hochstamm Produkte GmbH. Das Lager wurde wieder ins Seetal verlegt, zur Brunner Landesprodukte AG in Aesch, und der Absatz an Hochstamm-Produkten soll gefördert werden.

Heute sind die Produkte in Coop-Filialen in der ganzen Deutschschweiz erhältlich, und auch wenige Restaurants setzen auf Hochstamm-Produkte. «Wir wollen uns künftig breiter ­abstützen und noch mehr Verkaufsstellen finden», erklärt Séverine Budmiger.

Weitere Informationen zum Archehof

PRE «Hochstamm Seetal» und «Zuger Rigi Chriesi»

Die Idee für das Projekt zur regionalen Entwicklung (PRE) «Hochstamm Seetal» sei vor allem aus nicht-bäuerlichen Kreisen gekommen. Und zwar mit dem Anspruch, die Kulturlandschaft zu wahren und gleichzeitig die Region wirtschaftlich zu fördern, heisst es im Portrait von Agridea. Träger waren die IG Hochstamm Seetal und Natur und Markt Seetal. Vorabklärungen liefen ab 2007, die Umsetzung dauerte von 2009 bis Februar 2015. Gesamthaft wurden 4,65 Mio Franken investiert, davon trugen Bund und die Kantone Luzern und Aargau 63 Prozent. Die Umsatzentwicklung sei deutlich tiefer als erwartet gewesen. So kam die Hochstamm Seetal AG nach der Umsetzungsphase in finanzielle Schwierigkeiten und wurde schon 2014 liquidiert. In den Businessplänen sei gewissen Kosten zu wenig Beachtung geschenkt worden, heisst es selbstkritisch. An ihre Stelle trat die Hochstamm Produkte GmbH, die diesen Frühling neu organisiert wurde.

Auslöser des PRE «Zuger Rigi Chriesi» war die Vision von Zug, Luzern und Schwyz, die Hochstamm-Kirschenkultur zu retten. Umgesetzt wurde das Projekt 2012 bis 2017, nach Vorabklärungen schon ab 2009. Investiert wurden 4 Mio Franken, davon übernahmen Bund und Kantone 53 Prozent. 2011 wurde für die Umsetzung die Zuger Rigi Chriesi AG gegründet.  Es wurden neue Produkte lanciert, viele Kirschbäume gepflanzt, der Kirschpreis konnte erhöht und die Zuger Kirschtorte 2025 geografisch geschützt werden. Für diese darf seither nur mehr Zuger und Rigi Kirsch verwendet werden. Ende 2023 wurde die AG wegen finanzieller Schwierigkeiten liquidiert. Die grösste Herausforderung sei der Wandel von einem finanziell unterstützten PRE zu einem wirtschaftlich funktionierenden Unternehmen. Derzeit setzt sich noch die 2008 gegründete IG Zuger Chriesi für den Erhalt der Kirschenbäume und Kirschenkultur ein.