Weit hinten im St. Gallischen Neckertal, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, liegt der Biohof Albisboden. Wer hier ankommt, hat eine Reise auf einem kurvigen Strässchen hinter sich, das auf den letzten hundert Metern in einen Schotterweg abzweigt. Manche Besucher kommen von weit her, aus Frankreich etwa, auf der Suche nach Wildobstpflanzen, welche in der verwunschenen Waldlichtung zahlreich angepflanzt werden.
Wildfrüchte haben in Osteuropa Tradition
Gründer und jahrzehntelanger Betreiber der Wildobst-Baumschule ist Pavel Beco, der das Anwesen vor 37 Jahren übernommen hat. Bereits als Kind in der ehemaligen Tschechoslowakei hatte er Wildfrüchte gesammelt, zusammen mit seinem Grossvater. 1968 flüchtete er als Jugendlicher mit seiner Familie in die Schweiz. Er studierte zunächst Biologie und absolvierte anschliessend eine Ausbildung zum Primarlehrer. Nach fünf Jahren Unterricht an einer kleinen Gesamtschule fand er bei Dicken SG den Hof Albisboden mit 6,5 Hektaren, wo er während Jahrzehnten begleitetes Wohnen anbot und Pflegekinder aufnahm. Zudem begann er sich mit Wildfrüchten zu befassen.
In den letzten Jahrzehnten hat er hunderte verschiedener Arten und über Tausend Sorten gesammelt und angepflanzt. Darunter befinden sich hierzulande weit verbreitete Arten wie Holunder, Kornelkirsche, Felsenbirne, Weissdorn, Schwarzdorn oder Sanddorn. Es sind aber auch bei uns weniger bekannte wie die Scheinquitte, die Ölweide oder die Mispel. Letztere spielte bei den Römern eine grosse Rolle.
Auch Wildfrüchte werden kultiviert
Doch was sind Wildfrüchte überhaupt? Wildes Obst, welches sich abseits von menschlichem Einfluss entwickelt hat? Dem hält Pavel Beco entgegen: «Auch Wildobst hat sich unter menschlichem Einfluss entwickelt. Vor allem in Osteuropa hat die gezielte Züchtung grosse Tradition». Je weiter man nach Osten gehe, desto häufiger treffe man auf Wildfrüchte, die kultiviert wurden, um sie als gesunde und vitaminreiche Nahrungsmittel zu nutzen. So gesehen, ist eine scharfe Abgrenzung zu verbreiteten Obstarten wie Äpfel, Birnen oder Zwetschgen fraglich.
Im Unterschied zu früheren Zeiten spielt Wildobst in den Schweizer Küchen keine grosse Rolle mehr, abgesehen vom Holunderblütensirup, der in vielen Haushalten selbst hergestellt wird. «Dabei gibt es auch bei uns zahlreiche Arten, die man nutzen kann. Zu finden sind diese nicht nur wild am Waldrand. Der Asiatische Blüten-Hartriegel etwa ist in vielen Gärten zu finden, doch kaum jemand weiss, dass die Beeren geniessbar sind. So geht es auch mit vielen anderen Arten.» Zudem kursieren laut dem Fachmann auch Falschinformationen. Die Vogelbeere etwa ist entgegen landläufiger Meinung gar nicht giftig, sondern schmeckt lediglich bitter, wenn sie roh gegessen wird. Es kommt dementsprechend auch auf die Verwertung der jeweiligen Früchte an.
Der landwirtschaftliche Anbau liegt im Trend
In unserer Landwirtschaft hat der Anbau von Wildfrüchten wenig Tradition. Hauptgrund dafür ist, dass sich die Ernte oftmals aufwendig gestaltet, weil sie viel Handarbeit erfordert. Ein Beispiel dafür ist die Kornelkirsche mit kleinen Früchten, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten reif sind, weshalb es mehrere Erntedurchgänge braucht. Daher werden gezielt wünschenswerte Eigenschaften gezüchtet: So sind immer mehr Sorten erhältlich, die besonders grosse oder süsse Früchte liefern, die ausserdem gleichzeitig reif sind. Ein weiterer Grund, weshalb Wildobst hierzulande selten angebaut wird: Anders als in Osteuropa haben wir schon seit Langem kostengünstigere Quellen für Vitamin C.
«Seit ein paar Jahren ist jedoch festzustellen, dass der landwirtschaftliche Anbau von Wildfrüchten zunimmt», stellt Pavel Beco fest. Schweizweit werden heute auf 40 ha Aroniabeeren angebaut, auf 25 ha Holunder und 2 ha Sanddorn. Zudem gibt es seit einiger Zeit auch ein paar Betriebe, die auf Hagebutten und Haselnüsse setzen.
Wildobstpflanzen gelten im Allgemeinen als robust. Hinweise auf ihre Anspruchslosigkeit sind bei manchen im Namen zu finden: Die Felsenbirne trifft man auf Schuttplätzen an, der Sanddorn am Rande von Gewässern. Als Schädlinge sind vor allem Vögel wie Amseln und Drosseln bekannt, neuerdings muss auch mit Schäden durch die Kirchessigfliege gerechnet werden. Bei den Rosengewächsen wie beispielsweise bei Wildrose, Felsenbirne oder Weissdorn kann auch Feuerbrand auftreten. Wer auf einen grösseren Ertrag abzielt, kann die Pflanzen mit Stickstoff düngen, dabei eignet sich beispielsweise Hühnermist.
Getrocknete oder eingekochte Früchte
Unter Pavel Becos Kunden sind immer mehr Gartenbesitzer. Diese wünschen sich Sträucher oder Bäume, welche verschiedene Zwecke vereinen. Die Gewächse sollen eine Zier fürs Auge sein, Bienen und Insekten anlocken und zudem gesunde Früchte hervorbringen. Einer steigenden Beliebtheit erfreuen sich besonders sogenannte Fress-hecken, die sich nach Bedarf zusammenstellen lassen. Beispielsweise nach Erntezeit: Den Anfang der Reihe machen frühe Arten wie Maibeere und Felsenbirne, den Schluss bilden gegen Ende Oktober und Anfang November die Mispel und die Scheinquitte.
Viele der wilden Beeren und Früchte sind nicht unbedingt im rohen Zustand am besten, sondern werden beispielsweise getrocknet oder als Konfitüre eingekocht.
Beco ist derzeit daran, den Hof und die Sammlung an zwei Nachfolger weiterzugeben. Auf ihn selbst wartet in Slowenien, wo er zusammen mit seiner Partnerin einen Hof in einem Naturpark gekauft hat, ein neuer Lebensabschnitt.
Weitere Informationen: www.pavels.ch
Grösste Wildobst-Sammlung
Zusammen mit Waltraud Kugler von der SAVE Foundation, welche sich für die landwirtschaftliche Artenvielfalt in Europa einsetzt, hat Pavel Beco eine Datenbank mit über 270 Arten und 2000 Sorten zusammengestellt. Ebenfalls in Zusammenarbeit mit dieser Organisation hat er in St. Gallen und Mogelsberg die bisher grösste Wildobst-Sammlung Europas angelegt. Auf dem Weg zum Baumwipfelpfad wurden kürzlich über 200 Arten sowie 1000 Sorten gepflanzt und beschildert. stü
Weitere Informationen: www.wildobst.info
Am Samstag, 12. September, findet in Mogelsberg SG die Eröffnung der Sammlung statt. Um 14 und 15 Uhr gibt es öffentliche Führungen.