Klimatische Veränderungen, Wetterextreme, der politisch verordnete Absenkpfad für Nährstoffe und immer weniger Wirkstoffe, die dem Pflanzenschutz zur Verfügung stehen: Um Herausforderungen wie diese zu bewältigen, braucht es neue, angepasste Sorten. Dies benötigt jedoch viel Zeit. Die konventionelle Pflanzenzüchtung braucht Jahrzehnte, um beispielsweise eine neue Apfel-sorte hervorzubringen. Welche Rolle könnten moderne Züchtungstechnologien wie Crispr/Cas spielen, die weniger Zeit beanspruchen, aber kontrovers sind? Dieser Frage widmete sich die diesjährige Wülflinger Tagung, die am 19. Januar in Winterthur stattfand.

Neu sind gezielte Eingriffe möglich

Bruno Studer, Professor für molekulare Pflanzenzüchtung an der ETH, umriss zunächst die Funktionsweise von Crispr/Cas: Mit diesem Werkzeug, auch Genschere genannt und vor gut zehn Jahren entwickelt, lassen sich beliebige Stellen am Genom mittels Schneiden, Reparieren oder Einfügen verändern (Genomeditierung). «Neu ist gegenüber früheren Techniken, dass Crispr/Cas gezielte Reparaturen ermöglicht», so der Wissenschaftler. Dabei sei zu unterscheiden, ob die Reparatur von der gleichen Pflanze (cisgen) oder von einer anderen Art (transgen) stammt. Derzeit gibt es weltweit rund 850 wissenschaftlich beschriebene Crispr/Cas-Anwendungen für 73 verschiedene Kulturpflanzen. Studer nannte Beispiele: 

Weizen: Für eine Mehltau-Resistenz konnten 2013 via Genomeditierung alle sechs Kopien eines bestimmten Gens inaktiviert werden. Mit klassischer Züchtung ist dies kaum möglich.

Äpfel: 2014 konnte die Feuerbrandresistenz aus einem Wildapfel auf die Sorte Gala übertragen werden.  

Kartoffeln: 2022 konnte die Toleranz gegenüber Kraut- und Knollenfäule verbessert werden. Bereits zuvor gelang es, ein bestimmtes Gen auszuschalten, um die Bildung von Acrylamid beim Erhitzen zu reduzieren.

«Die Tage des Moratoriums sind gezählt.»

Jürg Niklaus, Präsident von «Sorten für morgen».

Es gibt auch kritische Aspekte 

Einige der Anwendungen der Genomeditierung seien auch für die Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft interessant, so Bruno Studer. Doch er machte auch auf kritische Aspekte aufmerksam: «Komplexere Editierungen sind nach wie vor sehr ineffizient.» Zudem würden sich nicht alle Kulturpflanzen dafür eignen. Wie sieht es mit Risiken aus? Es könne vorkommen, dass ein Eingriff sein Ziel verfehlt, räumte Studer ein. Diese Off-Target-Effekte kämen jedoch bei der Mutationszüchtung, die durch Bestrahlung Mutationen auslöst, deutlich häufiger vor. 

Studer schlussfolgerte: «Die Genomeditierung könnte als zusätzliches Züchtungswerkzeug einen Beitrag zu einer nachhaltigen Landwirtschaft leisten.» Dabei sei nicht die Technologie an sich, sondern deren Anwendung einer Regulierung zu unterziehen. Wichtig sei auch, dass sie für alle zugänglich ist. 

Klare Regeln sind gefordert

Wie auch in der EU, ist die Genomeditierung in der Schweiz streng reguliert. So wurde das Gentech-Moratorium 2021 um weitere vier Jahre verlängert. Das Parlament hat sich jedoch für Ausnahmen ausgesprochen, welche neue Verfahren betreffen. Der Bundesrat hat nun bis Mitte 2024 eine risikobasierte Zulassungsregelung vorzulegen, wie gentechnisch veränderte Organismen ohne transgenes Erbmaterial vom Moratorium ausgenommen werden können.

Saatgut Gentech: Bundesrat will «behutsame Öffnung» Wednesday, 25. October 2023 Jürg Niklaus erörterte als Präsident des Vereins «Sorten für morgen» die politökonomische Sichtweise: «Für die Schweiz sind die neuen Züchtungsverfahren, die in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht haben, eine Chance.» Sie würden Autonomie und Versorgungssicherheit stärken sowie die Abhängigkeit von globalen Playern reduzieren. Dies vor dem Hintergrund, dass die Pflanzenproduktion Grundlage jeglicher landwirtschaft­licher Produktion sei und der ­beschlossene Absenkpfad Nährstoffe die Werkzeugkiste des Pflanzenbaus allmählich leere.

Bio Suisse nicht grundsätzlich dagegen

Die Tage des Gentech-Moratoriums seien gezählt, so Niklaus. Die Schweiz müsse autonom vorwärtsmachen und dürfe nicht hinter die EU zurückfallen. «Dazu müssen wir eine Debatte führen.» Wie auch Bruno Studer vertrat er die Meinung, dass es eine Kombination verschiedener Werkzeuge braucht, darunter auch die Genomeditierung.

Martin Bossard, Leiter Politik bei Bio Suisse, zeigte sich skeptisch: «Wir sind nicht grundsätzlich gegen neue Züchtungsverfahren, doch muss dabei die Wahlfreiheit gewährleistet sein.» Er erinnerte daran, dass Bio weltweit auf Gentechnik verzichtet. Würden jedoch gentechnisch veränderte Produkte erlaubt, sei mit Kontaminationen zu rechnen. In der Folge hätte unter anderem die Glaubwürdigkeit von Schweizer Produkten zu leiden. «Daher braucht es klare Regeln», so Bossard. Er nannte als Beispiele Schutzmassnahmen im Anbau oder Warenflusstrennung in Handel und Verarbeitung. Zudem müsse die Haftung geklärt werden.