BauernZeitung: Während der letzten 35 Jahre ist in der Landwirtschaft viel passiert. Wo sehen Sie die grössten Veränderungen?
Hermann Brenner: Als ich 1983 hier anfing, war die Landwirtschaft wie in den 70iger Jahren noch hauptsächlich auf Produktion ausgerichtet. Ziel war es, die Erträge zu steigern. Dazu wurden zur Ertragsmaximierung bessere Sorten gesucht und viel Dünger und Pflanzenschutzmittel (PSM) eingesetzt.
Ende der Achtziger Jahre gab es ein Umdenken: Statt ums Maximieren ging es nun ums Optimieren. Es entwickelte sich die Integrierte Produktion (IP) als neue Produktionsrichtung. Später entstand daraus der ökologische Leistungsnachweis (ÖLN), der heute gesteuert von der Politik laufend angepasst wird. Der IP-Gedanke hat den Einsatz der Hilfsmittel wie Dünger und PSM hinterfragt, neu wurde nach Bekämpfungsschwellen und nicht nach Spritzplan behandelt und schon damals wurde die mechanische Unkrautbekämpfung gefördert. Ich erinnere mich noch gut daran, wie bei uns Mais und Zuckerrüben gehackt und bandgespritzt wurden. Die Devise hiess: Zuerst beobachten, dann entscheiden, ob gespritzt wird oder nicht. Allmählich ging die Euphorie der Integrierten Produktion aber etwas verloren. Unter dem Rationalisierungs- und Kostendruck kam man wieder weg von der Prävention und dem Slogan "Behandeln nur wenn nötig".
In den letzten 10 Jahren gab es erneut eine Kehrtwendung in Richtung IP-Gedanken. Dazu kam mit dem schweizweiten "Aktionsplan Pflanzenschutz" der Druck, die PSM gezielter einzusetzen und generell zu reduzieren.
Der Thurgau ist bekannt als Apfelkanton. Wie sind bei Obstkulturen die immer strengeren Regelungen im Pflanzenschutz zu bewältigen?
Der Erfolgsdruck ist beim Obstbau besonders hoch. Man hat es hier mit vielen Schädlingen und Krankheiten zu tun und es kann zu grossen Ernteausfällen kommen. Eine zusätzliche Schwierigkeit ist, dass Obst auch den hohen äusseren Ansprüchen der Konsumenten genügen muss. Auch der Handel verlangt makellose, rückstandsfreie Früchte. Die Beratung des BBZ Arenenberg unterstützt die Produzenten. Zum Beispiel wird mit neuen Methoden wie Totaleinnetzung der Obstanlage und Einsatz von Nützlingen versucht, den Insektizidaufwand zu reduzieren.
Die heutigen Massnahmen für einen nachhaltigeren Pflanzenschutz umfassen sowohl Verbote wie auch Anreize. Letztere beispielsweise in Form von Ressourceneffizienzbeiträgen (REB), wenn ein Betrieb bestimmte Methoden wie das Gülle Ausbringen mit Schleppschlauch anwendet. Was eignet sich besser, um ans Ziel zu kommen?
Es braucht beides. Die Landwirtschaft findet in der Natur statt. Mit den Gesetzen wird der Handlungsrahmen definiert, mit dem Ziel Umweltschäden zu verhindern. Ein Bauer verschmutzt nicht willentlich Gewässer. Aber ein Bauer hat lieber ein System, wo er auch selbst entscheiden kann und nicht nur von Vorschriften gesteuert wird. Mit den REB-Beiträgen wird ihm ein Teil der Verantwortung überlassen und er kann jenes Programm wählen, das auf seinen Betrieb passt. In der Summe entwickelt sich die Landwirtschaft so freiwillig in die richtige Richtung.
Die digitalisierte Landwirtschaft kann ebenfalls bei der Reduktion von PSM mithelfen, etwa mit Drohnen zur Schädlingsbekämpfung oder Traktoren mit GPS. Allerdings können sich das kleinere Betriebe kaum leisten. Gibt es Alternativen?
Vielleicht müsste vermehrt wieder auf Maschinengemeinschaften gesetzt werden, um gemeinsam High-Tech-Geräte zu nutzen. Man muss aber auch feststellen, dass nicht alle dieser zum Teil überdimensionierten, modernen Maschinen für die kleinräumige Schweiz mit ihrer besonderen Infrastruktur und Topographie gemacht sind. Man kann auch ohne High-Tech-Geräte PSM einsparen, zum Beispiel, wenn man beim Getreide oder Mais den Striegel zur mechanischen Unkrautbekämpfung eingesetzt werden, was einfach und kostengünstig ist.
Sie haben das Striegeln angesprochen, das auch kürzlich beim Ackerbautreff Arenenberg vorgestellt wurde: Immer wieder greift die konventionelle Landwirtschaft auf Methoden aus dem Bio-Landbau zurück. Was ist aus dem Graben zwischen konventionell und Bio geworden?
Wichtig scheint mir, dass die verschiedenen Produktionsrichtungen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Jede Produktionsrichtung hat seine Berechtigung und erhöht die Vielfalt. Aktuell kann die konventionelle Landwirtschaft sicher von den Erfahrungen der Biobetriebe in der mechanischen Unkrautbekämpfung profitieren. Umgekehrt kann ein Biobetrieb, der ja auch PSM einsetzt, zum Beispiel bezüglich Spritztechnik von konventionellen Betrieben profitieren. Für eine starke Landwirtschaft gegenüber "Dritten" ist die Solidarität zwischen Konventionell und Bio, aber auch zwischen unterschiedlichen Bereichen wie Ackerbau, Milchwirtschaft und anderen sehr entscheidend. Leider ist das heute nicht immer der Fall.
Ein jährlich wiederkehrendes Thema ist der Feuerbrand. Heute ist hier und da zu hören, dass man sich mittlerweile daran gewöhnt habe. Was ist dran an dieser Aussage?
Das Bakterium tauchte 1989 in der Schweiz auf und entwickelte sich anfangs langsam, später exponentiell. 2007 kam es zur Katastrophe, die zahlreiche Obstbäume nicht überstanden. Ein weiterer Grossbefall ist zwar nicht auszuschliessen, dennoch ist nicht das Schlimmste zu befürchten: In der Zwischenzeit gibt es präzise Beobachtungsmethoden, Prognosemodelle, schnelle Blütendiagnostik und gut vorbereitete Obstbauern, die aufgrund dieser Informationen entsprechend handeln und die zur Verfügung stehende PSM gezielt einsetzen können. Natürlich spielt jedes Jahr die Witterung eine entscheidende Rolle. Auch der Bund wird per 1.1.2020 den Feuerbrand auf der Gefahrenskala zurückstufen und als Geregelter Nicht-Quarantäneorganismus führen.
In unserer globalisierten Welt stellen Quarantäneorganismen ständig eine potentielle Gefahr dar. Welche Arten sind derzeit in der Schweiz ein Thema?
Es gibt eine sehr grosse Anzahl. Dazu gehören beispielsweise der Laubholzbockkäfer oder der 2017 im Tessin entdeckte Japankäfer. Gerade dieser schädigt verschiedene Pflanzenarten, was die Bekämpfung enorm erschwert. Die Quarantäneorganismen müssen den Pflanzenschutzstellen gemeldet werden.
Wo stehen wir im Kampf gegen Neophyten?
Es gibt weit über hundert zugewanderte Pflanzenarten bei uns. Das zeigt, dass die Mittel zur Bekämpfung auf die wichtigsten Arten gebündelt werden müssen. Teilweise ist deren Verbreitung schon so gross wie z.B. bei der Kanadischen Goldrute, dass der Kampf praktisch verloren ist. Ein Paradebeispiel wie ein Neophyt eliminiert werden kann, wenn rechtzeitig am Anfang der Ausbreitung eingegriffen wird, ist die Ambrosia. Im Kanton Thurgau haben wir die Massnahmen an die Feuerbrandkontrolle gekoppelt, die ebenfalls in die Gärten führte. Gebessert hat sich die Lage auch dadurch, als das Vogelfutter keine Ambrosiasamen mehr enthalten durfte.
Die Gesellschaft redet immer häufiger mit, wenn es um landwirtschaftliche Themen geht. Das zeigen auch die beiden aktuellen Volksinitiativen zu Trinkwasser und Pflanzenschutz. Sehen sie darin eine Chance oder vor allem eine Bürde?
Die meisten Konsumenten haben keinen Bezug mehr zur Landwirtschaft. Sie sind aber Steuerzahler und wollen wissen, wofür die Direktzahlungen eingesetzt werden. Es liegt sicher eine Chance darin, ihnen offen zu zeigen, was es zur Produktion von Nahrungsmitteln alles braucht. Dazu eignen sich auch Veranstaltungen wie der "Tag der offenen Stalltüre" oder die Direktvermarktung ab Hof. Dadurch kann das Verständnis für die Landwirtschaft gefördert werden.
Welche Themen aus Ihrer Zeit am Arenenberg bleiben Ihnen am meisten in Erinnerung?
Eines meiner Schwerpunktthemen war die Bekämpfung der Maikäfer und Engerlinge. Nachdem die Verwendung von Insektiziden laufend eingeschränkt und schliesslich verboten wurde, gelang es im Thurgau mit Hilfe des natürlichen Gegenspielers, dem Pilz "Beauveria brongniartii", das Maikäferproblem erfolgreich zu bekämpfen und auf ein erträgliches Niveau zu senken.
Sehr emotional verlief die Feuerbrandepidemie, wo ich von betroffenen Betrieben das Fällen von Obstbäumen verlangen musste. Da musste ich mir eine dicke Haut zulegen, ich erhielt sogar Drohungen.
Zuletzt habe ich mich intensiv mit der Verbreitung und Bekämpfung des problematischen Erdmandelgrases befasst. Ein Thema das wohl auch meinen Nachfolger noch beschäftigen wird.
Zur Person
Hermann Brenner begann seine Laufbahn beim BZZ Arenenberg 1983 als junger Agronom, nachdem er an der ETH seine Dissertation über Sojabohnen abgeschlossen hatte. Er war zunächst als Pflanzenbaulehrer und Berater tätig. 1989 übernahm Brenner die Leitung der Fachstelle Pflanzenschutz und Ökologie und 17 Jahre später zusätzlich die Leitung des Bereichs Acker- und Futterbau. Kürzlich ist er nun in den Ruhestand getreten.