«Man setzt auf dreisten Etikettenschwindel, um Konsument(innen) Gentechfood schmackhaft zu machen», wendet sich der Verein für gentechnikfreie Lebensmittel an die Medien. Die Kritik richtet sich gegen den Verein «Sorten für morgen». Zu dessen Mitgliedern zählen mehrere landwirtschaftliche Verbände, aber auch die Migros und das Konsumentenforum. Das Ziel deren Lobbyings sei, im vom Bundesrat angekündigten Spezialgesetz zur Regelung von Genom-Editierung und verwandten Ansätzen den Begriff Gentechnik «komplett durch die verharmlosende Bezeichnung ‹neue Züchtungsmethoden› zu ersetzen».
«Wo Gentechnik drin ist, soll nicht mehr Gentechnik draufstehen», so das empörte Fazit. Ein vertrauliches, dem Verein zugespieltes Geheimdokument – ein Vorschlag für das neue Spezialgesetz – belege dies.
Noch nichts vom Bundesrat
«Wie die Deklaration geregelt werden soll – u.a. mit welchem Wortlaut – ist noch völlig offen», stellt Jürg Niklaus, Präsident von «Sorten für morgen» auf Anfrage klar. Es sei noch nicht einmal der Gesetzesentwurf des Bundesrats veröffentlicht worden. Dass ein Vorschlag des Vereins auf dem Tisch liege, zeige vor allem, dass sich dieser damit auseinandersetzt. «Ein solches Vorgehen fördert die sachliche Debatte und steht allen Kreisen offen.» Ob dieser Entwurf in den politischen Prozess einfliesst, werde sich zeigen. Es handle sich jedenfalls nicht um ein «Geheimdokument».
Andere Organisationen würden eine Volksinitiative lancieren, um ihre Anliegen voranzubringen, bemerkt Niklaus. Diesen Weg geht der Verein gentechnikfreie Lebensmittel mit seiner Lebensmittelschutz-Initiative, die eine strenge Regelung von Genom-Editierung usw. (neue Züchtungsverfahren) fordert.
Saat- und Pflanzgut deklarieren
Ein Anliegen der Initianten ist die Wahlfreiheit für Konsumenten wie auch Produzenten. Diese sei mit dem Entwurf von «Sorten für morgen» gewährleistet, erläutert Jürg Niklaus. «Jede(r) Landwirt(in) entscheidet selbst, ob er oder sie Saat- und Pflanzgut, das mit neuen Züchtungsverfahren hergestellt worden ist, verwenden will oder nicht», gibt er zu bedenken. «Unser Vorschlag verlangt eine Pflichtdeklaration bis zum Saatgut.»
Woran sich der Verein für gentechnikfreie Lebensmittel gemäss Mitteilung stört, ist v.a. die Begrifflichkeit. Das Bundesgesetz für Gentechnik im Ausserhumanbereich definiert gentechnisch veränderte Organismen (GVO) als Organismen, deren genetisches Material so verändert worden ist, wie dies unter natürlichen Bedingungen durch Kreuzen oder natürliche Rekombination nicht vorkommt.
«Unseres Erachtens ist es gerechtfertigt, Pflanzen aus neuen Züchtungsverfahren, die sich nicht von konventionell gezüchteten oder spontan mutierten unterscheiden, von den GVO-Bestimmungen auszunehmen», sagt Jürg Niklaus. Die ungezielte Mutationszüchtung, die hierzulande sowohl im konventionellen als auch biologischen Bereich seit Jahrzehnten problemlos eingesetzt werde, gelte bekanntlich ebenfalls als Züchtungsverfahren und nicht als GVO. Sie basiert auf durch Menschen herbeigeführte, aber zufällig im Genom verteilte Änderungen (z. B. durch radioaktive Strahlung oder chemische Behandlung).
Risiken nicht grösser
Der Bundesrat hat vom Parlament den Auftrag zu einer risikobasierten Zulassungsregelung für neue Züchtungsverfahren erhalten. Die Wissenschaft habe mehrfach festgestellt, dass die Risiken bei diesen Techniken nicht grösser seien als jene bei der konventionellen Züchtung, gibt Jürg Niklaus zu bedenken. Eine Risikoprüfung bei den neuen Züchtungsverfahren lasse sich daher wissenschaftlich nicht rechtfertigen.
«Trotzdem sieht unser Entwurf vor, dass alle Produkte eine Prüfung im Feld über mehrere Jahre durchlaufen müssen», so Niklaus. Über die Sortenprüfung könnten Pflanzen mit unerwünschten Eigenschaften zuverlässig aussortiert werden. Ausserdem greife sein Gesetzesentwurf einen schmalen Anwendungsbereich auf, wie er im Parlamentsauftrag beschrieben sei: nur landwirtschaftliche und gartenbauliche Nutzpflanzen, nur arteigenes Erbmaterial, nur neue Züchtungsverfahren. Zudem wird ein zu erwartender Mehrwert für Landwirtschaft, Umwelt oder Konsumenten vorausgesetzt.
EU geht voran
Die EU arbeitet ebenfalls an ihrer gesetzlichen Regelung für neue Züchtungsverfahren, die im EU-Raum neue genomische Techniken (NGT) genannt werden. Ihr Entwurf sieht vor, jene NGT, die auch natürlich oder durch konventionelle Züchtung entstehen könnten, von den GVO-Bestimmungen auszunehmen. Solche Pflanzen müssten in der EU nicht speziell deklariert werden, wohl aber daraus produziertes Saatgut. «Es ist gut möglich, dass die EU das neue Regelwerk noch 2025 verabschiedet», so Jürg Niklaus.
«Wir befürchten, dass eine Pflichtdeklaration am finalen Produkt zu technischen Handelshemmnissen und hierzulande zu hohem administrativem Aufwand führen wird, v.a. wenn die EU eine solche nicht vorsieht», fährt Niklaus fort. Durch die Deklaration von Saat- und Pflanzgut könnten aber Landwirte und Label-Organisationen auf neue Züchtungsverfahren verzichten und dies ausloben. So habe auch der Konsument die Wahlfreiheit.