Der Streit um Glyphosat bzw. dessen Gefährlichkeit für Mensch und Umwelt war einer der Auslöser für die grosse Pflanzenschutzdebatte hierzulande, hat der Schweizer Bauernverband (SBV) 2023 analysiert. Dieser Streit hat vor zehn Jahren begonnen und beschäftigt noch heute. Umso mehr lässt eine Studie aus Deutschland aufhorchen, die Abwasserreinigungsanlagen (ARAs) als bisher unbekannte Quelle von Glyphosat identifiziert. Ist das eine Wende in der Diskussion?

Passt nicht zur Anwendung

Tatsächlich wurde bereits im vergangenen Jahr von Forschenden der deutschen Universität Tübingen der Verdacht geäussert, «ein Grossteil» der Glyphosatbelastung in europäischen Oberflächengewässern stamme aus eingeleitetem Abwasser aus Kläranlagen. Damit lasse sich erklären, dass die in Flüssen gemessenen Glyphosatwerte nicht zur Anwendung als Herbizid passen: Es seien kaum saisonale oder wetterbedingte Schwankungen zu beobachten. Daher vermuteten die Forscher(innen), dass die Belastung einen anderen Hintergrund hat, nämlich die Substanz DTPMP, ein Zusatzstoff von Wasch- und industriellen Reinigungsmitteln. Kürzlich ist nun die fertige Studie erschienen. Darin beschreiben die Autoren, wie Glyphosat in ihren Experimenten mit echtem Klärschlamm aus DTPMP entstanden ist.

Da besagte Studie in einem renommierten Fachmagazin veröffentlicht worden ist, gehe man davon aus, dass die Arbeit alle Qualitätsanforderungen erfülle, schreibt der Verband Schweizer Abwasser- und Gewässerschutzfachleute (VSA) auf Anfrage der BauernZeitung. Demnach scheine der Prozess der Umwandlung von DTPMP unter mehr oder weniger realen Bedingungen stattzufinden.

«Allerdings waren die Umwandlungsraten sehr niedrig, es entstand nur wenig Glyphosat», ordnet der VSA ein. «Die beobachteten geringen Bildungsraten reichen noch nicht aus, um die in der Abwasserbehandlung und in Flüssen beobachteten hohen Konzentrationen zu erklären», halten auch die Studienautoren fest. Sie schlagen vor, den Prozess näher zu untersuchen.

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Sehr kleine Menge

Basierend auf der geschätzten landesweiten Einsatzmenge von DTPMP in Deutschland und der Gesamtmenge Abwasser haben die Forschenden berechnet, dass der von ihnen beschriebene Vorgang Glyphosat-Konzentrationen von 0.001–0.003 µg/L im ARA-Auslauf verursachen könnte (1 µg = 0,000001 g). Allerdings könnten verschiedene Faktoren die Bildungsrate in einer echten ARA beeinflussen, heisst es in der Studie. Genannt werden etwa die Verweildauer des Klärschlamms, lokale Quellen von DTPMP oder auch die Jahreszeit.

Vermutlich sei der Pro-Kopf-Verbrauch von DTPMP in der Schweiz und Deutschland vergleichbar, meint der VSA. «0.001–0.003 µg/L Glyphosat wären mit heute gängigen Analysemethoden aber gar nicht nachweisbar». Im Vergleich zu anderen Einträgen von Glyphosat sei dieser vernachlässigbar, so das Fazit des VSA. «Im Gegenteil: In Glyphosat-belasteten Gewässern wird die Konzentration durch die ARA-Einleitung je nach Einleitverhältnis deutlich verdünnt und damit reduziert.»

Womit sich die Frage stellt, wie relevant die bestehende Glyphosatbelastung in Schweizer Gewässern ist. Und hier tut sich eine Kluft auf zwischen der rechtlichen und einer ökotoxikologischen Beurteilung.

«Für Leben im Gewässer eher unbedenklich.»

Gewässerschutz- und Abwasserfachleute über Glyphosat.

Nur allgemeiner Grenzwert

«Glyphosat wird in fast allen untersuchten Fliessgewässern der Schweiz nachgewiesen», gibt der VSA Auskunft. Insbesondere auch dort, wo kein gereinigtes Abwasser eingeleitet werde, weshalb von ARAs unabhängige Einträge für die Gesamtbelastung zweifelsohne wichtig seien. Im Vergleich zu anderen Pflanzenschutzmitteln (PSM) seien die gemessenen Konzentrationen eher hoch und in dieser Höhe «grundsätzlich unerwünscht», fährt der VSA fort. Für Glyphosat gilt der allgemeine Grenzwert von 0,1 µg/L, der in vielen Gewässern überschritten werde.

«Folglich ist die Glyphosatbelastung in Schweizer Oberflächengewässern als problematisch einzustufen», fassen die Gewässerschutzfachleute zusammen. Allerdings ist der Grenzwert von 0,1 µg/L wie erwähnt ein allgemeiner Wert. Nur für wenige Wirkstoffe gibt es spezifische Grenzwerte im Gewässerschutz, die sich an deren Toxizität bemessen und je nachdem deutlich unter oder – für Gewässer ohne Trinkwassernutzung – über 0,1 µg/L liegen.

«Falsches Signal»

«Kein Krebsrisiko»

Gemäss Daten des Bundes überschreiten PSM-Wirkstoffe im Grundwasser, das für die Trinkwassernutzung wichtig ist, jedes Jahr an 1–2 Prozent der Messstellen die Grenzwerte gemäss Gewässerschutz. Meist handelt es sich bei den Wirkstoffen mit Grenzwertüberschreitungen um Herbizide, auch Glyphosat.

Ob Glyphosat für die menschliche Gesundheit ein Risiko darstellt, ist umstritten. In einem Infoblatt zeichnet das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) nach, wie verschiedene internationale Beurteilungen zu unterschiedlichen Resultaten gekommen sind. Die Einstufung als «wahrscheinlich krebserregend» stammte demnach von einer WHO-Agentur, die das kanzerogene Gefährdungspotenzial allerdings unabhängig von der Dosis bewertet habe. Die EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit und das BLV kommen hingegen zu dem Schluss, dass Glyphosat über die Ernährung aufgenommen kein Krebsrisiko für Menschen darstellt.

Ein höherer, ökotoxikologischer Grenzwert für Glyphosat war in der Schweiz 2017 in Diskussion, die entsprechende Verordnungsanpassung sogar in der Vernehmlassung. Doch aufgrund der Kritik, die starke Erhöhung der zulässigen Konzentrationen von Wirkstoffen in Gewässern sei ein falsches Signal, hat damals das Umweltdepartement davon abgesehen. Auch der VSA bestätigt, dass die ökotoxikologische Perspektive im Fall von Glyphosat zu einem anderen Fazit führt als die rechtliche: «Aus ökotoxikologischer Sicht ist Glyphosat für Gewässerlebewesen eher unbedenklich.

Das bestätigt ein weiterer Wert, der vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) für die Definition von Auflagen im Rahmen der Zulassung von Wirkstoffen genutzt wird: Die regulatorisch akzeptable PSM-Konzentration (RAC) in Oberflächengewässern. Es handelt sich dabei um diejenige Konzentration, die weder kurz- noch langfristige, unannehmbare Auswirkungen auf Gewässerorganismen hat. Die Auflagen in der Zulassung werden so bemessen, dass dieser Wert nicht überschritten wird. Für Glyphosat liegt er bei 50 µg/L.

Einmal ausgebracht, beeinflusst Glyphosat allerdings potenziell nicht nur Gewässer. Hinsichtlich Vögel und anderer Wildtiere zitiert ein Infoblatt des Schweizerischen Zentrums für angewandte Ökotoxikologie (Oekotoxzentrum) eine ökotoxikologische Risikobeurteilung. Demnach gehe das grösste Risiko durch Glyphosat für diese Tiere vom durch das unselektive Herbizid veränderten Lebensraum aus.

Wildpflanzen im Kulturland – die je nach Standort und Sichtweise als Unkraut wahrgenommen werden – dienen als Nahrungsquelle für Insekten, die wiederum von Vögeln und anderen Tieren gefressen werden. Verschiedene BFF-Elemente und der Extenso-Anbau tragen diesem Umstand Rechnung.

Auf Seiten der Anwendung von Glyphosat dreht sich die Diskussion rasch auch um den Bodenschutz, denn gezielt eingesetzt gilt das Herbizid als wichtiger Baustein für die Direktsaat.

In einem Kurz-Gutachten von Agroscope zu Handen des Bundesamts für Landwirtschaft (BLW) von 2020 heisst es, ein vollständiger Verzicht auf Glyphosat würde aufgrund der bisher zur Verfügung stehenden Alternativen (vor allem mechanische Verfahren) zwar positive Folgen fürs Süsswasser haben, aber Verschlechterungen in den Bereichen Energie, Klima und Boden bringen. Der SBV notiert, hierzulande sei der Einsatz von Glyphosat in der Landwirtschaft – «weitestgehend unbemerkt von Medien und Politik» – zwischen 2008 und 2021 um 70 Prozent gesunken.

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Keine anderen Wirkstoffe

Von Glyphosat zurück zu den Prozessen in ARAs. Könnten auch andere als PSM-Wirkstoffe bekannte Substanzen oder deren Abbauprodukte – allenfalls solche, die ökologisch und aus Sicht der menschlichen Gesundheit bedenklicher sind als Glyphosat – in Kläranlagen entstehen? «Wir halten dies aufgrund unseres aktuellen Wissens für unwahrscheinlich, wir haben keine Hinweise darauf», antwortet der VSA.

Mit Blick auf Mikroverunreinigungen, aber auch Stickstoffeinträge sowohl aus der Landwirtschaft als auch dem Abwasser (siehe Kasten2) betont der Verband, die Ressource Wasser lasse sich nur gemeinsam schützen. Daher begrüsse man die Massnahmen zur Reduktion der Risiken beim Einsatz von PSM. «Nur mit den vorgesehenen Massnahmen in den Bereichen ARA und Landwirtschaft kann die Gewässerqualität flächendeckend deutlich verbessert werden.»

ARAs verbessern

Vor vier Jahren hat das Parlament zwei Motionen verabschiedet, die Verbesserungen im Bereich der Schweizer Kläranlagen verlangen:

Reduktion der Stickstoffeinträge aus ARAs: 36 Prozent der Nitrateinträge würden aus Kläranlagen in Gewässer gelangen, so der Motionstext. Der Bundesrat solle diese Problematik «rasch angehen» und Massnahmen zu deren Reduktion treffen.
Massnahmen zur Elimination von Mikroverunreinigungen in ARAs: Eine zusätzliche Reinigungsstufe soll Einträge von Medikamentenrückständen, Hormonen, Schwermetallen und Chemikalien aus Haushalten und Industrie vermeiden.

70 % bis 2040
Nach Aussage des VSA verfügen bereits 33 grosse von rund 740 Kläranlagen in der Schweiz über eine solche vierte Reinigungsstufe, rund 1,7 Millionen Einwohner(innen) seien ans sie angeschlossen. Bis 2040 erhielten rund 120 Kläranlagen diese Reinigungsstufe und diese reinigen dann bereits rund 70 % des häuslichen Abwassers in Bezug auf Mikroverunreinigungen. Um die zweitgenannten Motion umzusetzen, müssen weitere knapp 300 Kläranlagen mit einer zusätzlichen Reinigungsstufe ausgebaut werden, so der VSA.

Zweite Hälfte 2025
«Die Arbeiten zur Umsetzung der beiden Motionen laufen», heisst es beim Bundesamt für Umwelt (Bafu) auf Anfrage. Geplant sei, dass der Bundesrat in der zweiten Jahreshälfte die Vernehemlassung zur entsprechenden Änderung im Gewässerschutzgesetz eröffnen könnte.