Man sieht dem Weizenfeld weder das miese Wetter der letzten Monate an, noch dass darin keine Fungizide, Insektizide, Wachstumsregulatoren oder Herbizide zum Einsatz gekommen sind. «Der Hans, der kanns», schreibt die Delley Samen und Pflanzen AG (DSP) zur Sorte Hanswin, die hier auf einem Betrieb nahe der Stadt Bern so gut gediehen ist. Ein anderer Hans steht auch gerade im Feld: Hans Winzeler, seit Jahrzehnten in der Getreidezüchtung aktiv und Namensgeber für Hanswin.

Getreide anders als Mais

«Der Sortenname war ein Abschiedsgeschenk zu meiner Pensionierung», hält Hans Winzeler fest. Es ist ihm wichtig, zu betonen, wie viele verschiedene Personen an der Entwicklung einer Sorte beteiligt sind. «Das sind sicher 20 Leute», schätzt er – je nachdem, wen man alles dazuzähle. «Es braucht zum Beispiel auch den Landwirt, der ein schönes Saatbett hinbekommt, in dem unsere kleinen Maschinen nicht versaufen», bemerkt der Forscher. In seiner Karriere war Winzeler sowohl für Agroscope als auch für DSP tätig und leitete diverse Projekte.

 

«Kanadischer Weizen würde so hoch wie Mais.»

Hans Winzeler betont die Bedeutung der inländischen Sortenentwicklung.

Er habe nicht so recht gewusst, wo man ihn gebrauchen könnte. So beschreibt Hans Winzeler seinen Weg in die Getreidezüchtung. Der Bauernsohn aus Barzheim SH hätte sich eigentlich nach seinem Agronomiestudium eher für Mais interessiert, bekam dann aber die Gelegenheit für eine Masterarbeit in Kanada und eine Doktorarbeit an der ETH über die Physiologie von Gerste und Weizen. Es folgten zwei Jahre in den USA, wo sich Winzeler vertieft mit der Züchtung beschäftigte. «Was gibt es für einen Bauern Schöneres als Weizen, so weit das Auge reicht?», fragt der 75-Jährige rhetorisch.

Qualität an der Form gemessen

Aus Übersee brachte er auch Saatgut für die Weiterzucht in der Schweiz mit. Da Getreide anders als Mais sehr stark auf klimatische Unterschiede reagiere, sei die Sortenentwicklung im Inland bei dieser Kultur ungleich wichtiger. «Würde man hier kanadischen Weizen anbauen, würde er etwa so hoch wie Mais – solange er stünde», sagt Hans Winzeler.

Den internationalen Austausch hält der Forscher für eine wichtige Quelle von Inspiration und Zuchtmaterial. «Kanada ist für Brotgetreide von hoher Qualität bekannt», schildert Winzeler. Nicht umsonst wird diese Ware auch gerne importiert, um damit Brot zu backen. «Die Kanadier haben damals die Qualität aber mangels Infrastruktur nicht über Gehaltsanalysen bestimmt wie wir», fährt Winzeler fort, «sondern die Körner mussten eine bestimmte Form haben.» Eine solche Qualitätsbeurteilung wurde in der Schweiz nie eingeführt – im Gegensatz zur digitalen Buchführung. In den USA hätten Pflanzenzüchter bereits Computer eingesetzt, als in der Schweiz die Zuchtbuchführung noch von Hand dokumentiert wurde.

Das erste Jahr entscheidet

Etwa 15 Jahre dauert die Entwicklung einer neuen Sorte. Eine so lange Entwicklungszeit braucht Durchhaltewillen. «Man macht ja nicht nur das», winkt Hans Winzeler ab. Die schönste Zeit sei immer jene auf dem Feld, wenn das Getreide wächst. Und als Züchter komme man im Idealfall auch in der Welt herum. «Man muss nur etwas frustresistent sein», bemerkt der Schaffhauser schmunzelnd. Denn längst nicht alle neuen Sorten schaffen es – zuerst in den nationalen Sortenkatalog, dann auf die Liste der empfohlenen Sorten und letztlich aufs Feld.

«Das erste Jahr im Anbau bei den Landwirten ist das wichtigste», weiss Winzeler. Wenn eine Neuheit dann nicht überzeuge, werde ihr selten eine zweite Chance gegeben. «Viele denken, eine neue Sorte sollte am besten 10 Prozent mehr Ertrag liefern», sagt der Forscher und erinnert an den starken Fokus auf Robustheit und Qualität in der Zucht. Im Gegensatz zu Deutschland müssen sich Kandidatensorten in der Schweiz bei der Sortenprüfung immer unter Extenso-Bedingungen beweisen. Dank der Empfehlungsliste und seit Neuheiten in Feldversuchen häufiger gezeigt werden, fänden sie aber auch häufiger ihren Weg auf die Betriebe. «Ich denke, die Schweizer Landwirte probieren oft genug etwas Neues aus», lobt Winzeler.

Auch Schönheit zählt

Für einen, der sich sein ganzes Berufsleben mit der Weiterentwicklung von Sorten beschäftigt hat, ist der Anbau alter Landsorten fast ein bisschen ein Rückschritt. «Der sieht aber wirklich schön aus», räumt Hans Winzeler beim Anblick einer Parzelle mit Rütti 40 ein. Er habe schon den Vorwurf gehört, die konventionellen Züchter(innen) würden nur auf messbare Parameter achten. «Natürlich muss das Getreide auch schön sein», findet Winzeler, «aber das kommt von selbst.»

Die Wiederbelebung von Rütti 40 kam in einem gemeinsamen Projekt der Bäckerei Reinhard, IP-Suisse, DSP, der Mühle Burgholz und mit finanzieller Unterstützung vom Bundesamt für Landwirtschaft zustande. Im Gegensatz zur heutigen Kombinationszüchtung sind solche Landsorten das Resultat der jahrelangen Auslese der besten Pflanzen in einer Region.

Rütti von Rütti

Abo Rütti 40 kurz vor seiner Ernte im Juli 2023. Aus dem geschichtsträchtigen Weizen entsteht ein Spezialbrot. Nischensorte Rütti 40, ein «fast vergessener Schatz» Monday, 22. January 2024 «Vermutlich wurden an der Landwirtschaftlichen Schule Rütti aus der Landsorte Erlach Anfang des letzten Jahrhunderts verschiedene Linien ausgelesen», sagt Hans Winzeler, «und die Beste daraus war die Rütti 40.» Landsorten seien nicht nur optimal an die lokalen Gegebenheiten angepasst, sondern auch interessantes Ausgangsmaterial für die Kreuzungszüchtung. «Urechte Landsorten sind aber nicht so homogen», meint er mit Blick auf den Rütti 40 vor ihm. «Und sie fallen quasi um, wenn man sie ansieht.» Auch das ist bei Rütti 40 nicht der Fall – solange der Weizen kaum oder gar nicht gedüngt wird. Einen Vorteil sieht der Züchter in der guten Geschichte, die sich zu alten Sorten erzählen lässt – das nutzen die Projektpartner und backen aus Rütti 40 das Brot «Ur-Bärner 1797».

 

«Sie fallen quasi um, wenn man sie ansieht.»

Der Getreidezüchter über Landsorten, die aber auch ihre Vorteile hätten.

Gentech hilft

Hans Winzeler hat die Entwicklung der Getreidezüchtung miterlebt und mitgeprägt. Zum Beispiel die ersten Versuche mit Bestrahlung zur Erzeugung potenziell nützlicher Mutationen mit dem Ziel kürzerer Dinkelsorten. «Das hat nicht viel gebracht», sagt er rückblickend. Die Einführung des Computers als Hilfsmittel sei da schon ein viel grösserer Meilenstein gewesen. Aber man habe diese Form der Mutagenese ausprobieren müssen, ist er überzeugt, da beim Dinkel keine kurzen Sorten zur Verfügung gestanden hätten. Daher befürwortet er Gentech als Hilfsmittel in der Züchtung und zeigt sich offen für neue Methoden wie die Genschere Crispr-Cas. «Es ist schwierig, fachlich gross etwas dagegen zu haben», so Winzelers Meinung. Damit lasse sich zwar definitiv nicht die Welt auf einen Schlag verbessern – «aber es hilft», ist der Züchter überzeugt.

Mit Crispr-Cas lassen sich einzelne Eigenschaften gezielt verändern oder einführen. Um das Kreuzen und die Selektion im Feld komme man aber nie herum. «Wer im Labor arbeitet, mag vielleicht glauben, mit einem eingefügten Gen würde eine Pflanze perfekt», sagt Hans Winzeler. Eine Sorte sei aber immer ein Gesamtpaket, welches vielmehr 30 statt nur eine einzelne Eigenschaft ausmachen würden. «Aber die Analyse genetischer Marker hat die Pflanzenzüchtung unbestreitbar vereinfacht», ergänzt der Forscher.

Eine von vielen

Heute ist Hans Winzeler in die Entwicklung von Sortenmischungen für IP-Suisse involviert. «Es tun immer alle so, als wäre das etwas Neues. Dabei gab es auf den Feldern der DDR nichts anderes», erzählt er. Dort habe das Geld für Pflanzenschutzmittel gefehlt und Sortenmischungen seien nötig gewesen, um trotzdem akzeptable Erträge einfahren zu können.

In seiner Karriere hat Hans Winzeler an vielen Sorten gearbeitet. Nur eine ist nach ihm benannt. «Um ehrlich zu sein, ich hätte mir eine andere ausgesucht, hätte ich wählen können», gibt der Forscher zu. Trotzdem ist er zufrieden mit Hanswin, der seit immerhin neun Jahren auf der Liste empfohlener Sorten steht. «Mein Favorit von damals hat sich nicht so lange halten können.»