Der Hirsch ist auf dem Vormarsch, sein Bestand nimmt laufend zu. Vor allem im östlichen Teil des Berner Oberlands, in gewissen Teilen des Emmentals und auch im Oberaargau gibt es von Jahr zu Jahr mehr Hirsche zu sehen. Doch so majestätisch er auch sein mag, schadet er dem Wald; insbesondere der Schutzwald leidet unter seiner Anwesenheit.

Die Bäume, vor allem die jungen, sind gefährdet

Die Entwicklung ganzer Generationen von jungen Bäumen sind durch die hohen Hirsch- und Rehbestände gefährdet. Die Triebe werden abgefressen, bevor der Baum überhaupt richtig Wurzeln schlagen kann. Auch die Schälschäden sind an den Laubhölzern nicht zu übersehen. Die Folgen sind dramatisch: Der Wald überaltert, die jungen Bäume fehlen mit der Zeit. Deshalb braucht es eine höhere Bestandesregulierung des Wildes, das fordert nicht nur die Forstwirtschaft.

Die Waldverjüngung braucht Hilfe

Seit mehreren Jahrzehnten stellen die Waldeigentümer und der Forstdienst fest, dass ein Problem bei der Waldverjüngung besteht. So ist auch im Gebiet Habkern-Beatenberg-Unterseen der übermässige Wildverbiss im Schutzwald nicht zu übersehen. Bei einem Medienanlass, eingeladen von der Wirtschafts-, Energie- und Umweltdirektion (WEU) des Kanton Berns, wurde vor Ort in Habkern im Berner Oberland aufgezeigt, welche negativen Auswirkungen ein zu hoher Rotwildbestand auf die Verjüngung des Waldes hat. Das Gebiet in Habkern ist eines von vier Pilotprojekten im Kanton, wo besonderer Handlungsbedarf besteht. «Hirsch und Reh verursachen hier einen sehr grossen Schaden, dem müssen wir mit geeigneten Massnahmen entgegenwirken», sagt Isabel Ballmer vom Amt für Wald und Naturgefahren im Kanton Bern.

Ein wichtiges Zusammenspiel aller Akteure

Das vom Kanton lancierte «Wald-Wild-Konzept» ziele vor allem auf eine enge, umsetzungsorientierte Zusammenarbeit zwischen Jägern, Wildhütern und der Forstwirtschaft ab. Das Ziel dieser Vollzugshilfe ist die Förderung der natürlichen Wald­verjüngung, so dass diese nicht durch übermässigen Einfluss vom Rotwild verhindert oder in ihrer Zusammensetzung massgeblich verändert wird.

Eine stärkere Bejagung auf der einen Seite

«Wichtig ist auch zu erkennen, dass die notwendige Koexistenz von Wald und Wild nicht nur über eine wildbiologisch korrekt geplante und effizient durch­geführte Bejagung erreicht werden kann, sondern zusätzlich eine aktive Aufwertung und gezielte Beruhigung des Lebensraumes und der Einstände des Wildes notwendig sind», hält der Wildhüter Kurt Schweizer fest.

Die Beruhigung des Lebensraums auf der anderen Seite

Für Kurt Schweizer ist klar, dass auch der Mensch mit seinen Freizeitbeschäftigungen im Wald dem Wild mehr und mehr zusetze. «Sei es zu Fuss, auf Rädern, mit Hund oder hoch zu Ross, immer mehr Leute suchen die Erholung im Wald. Dass sie damit allerdings in den Lebensraum von Wildtieren eindringen, dessen sind sie sich nicht immer bewusst», so der Wildhüter. Durch Menschen ausgelöste Störungen lösen bei Wildtieren Stress aus: Sie werden aufgeschreckt und ergreifen die Flucht. Im Schnee steigt ihr Energieverbrauch nochmals bis um das Dreifache an, was ihre überlebenswichtigen Fettreserven reduziert und so zu unerwünschten Folgen führt wie vermehr­tem Verbiss an Waldbäumen. «Das Ziel muss sein, dass wir bei den Wildtieren möglichst keine Stressreaktionen auslösen», so Kurt Schweizer.

Die Ziele sind noch weit entfernt

Am Anlass zeigte sich auch, dass allein die Verjüngungssituation nur mit waldbaulichen Mitteln ohne die verstärkte Bejagung des Rotwilds nicht entscheidend verbessert werden kann. Sicher trägt aber eine verstärkte Holznutzung, die Pflege der Wälder, die Präsenz des Luchses und das Öffnen von Waldwiesen zu einer Verbesserung der Waldverjüngung bei. Dennoch seien die waldbaulichen Ziele noch lange nicht erreicht.

Geduld und Zeit ist gefragt

«Damit wir hier im Schutzwald in Habkern einen Erfolg sehen, dauert es noch Jahre», ist sich Andreas Lötscher vom Amt für Wald und Naturgefahren bewusst. Dennoch ist er überzeugt, dass sie mit dem «Wald-Wild-Konzept» auf dem richtigen Weg sind. Denn: «Es gilt jetzt, die während mehr als einem Jahrhundert aufgebauten Schutzwirkungen zu erhalten und zu verbessern», sagt Lötscher. Und wenn es nicht anders gehe, auch durch die stärkere Bejagung von Hirsch und Reh.