Behutsam legt Hans Frei seine Hand auf die geöffnete Magazinbeute. Er spürt die Wärme der Wintertraube – wenn die Bienen ganz eng zusammenrücken und sich gegenseitig wärmen. «Im Winter können sie den Stock auf 30°C aufheizen. Bei der allmählichen Wiederaufnahme des Brutgeschäfts im Frühjahr steigt die Temperatur im Brutnest sogar auf 35°C an», erklärt der passionierte Imker. Seine insgesamt 70 Bienenvölker werden langsam aktiv mit den steigenden Temperaturen und schwirren aus, um Wasser für sich und das Volk zu sammeln.
Der ehemalige Schreiner hat seine Leidenschaft zum Beruf gemacht und betreibt seit über 10 Jahren einen Imkershop mit Wachsverarbeitung und eigener Imkerei in Müllheim Dorf TG. Zudem ist er noch als Bestäubungsimker tätig. «Der Kantonalverband kam vor etwa 7 Jahren auf mich zu, ob ich nicht Interesse hätte, zwei Landwirten aus der Region mit Bienen auszuhelfen», blickt Hans Frei zurück. Damals seien ein, zwei Imker weggefallen und deshalb zu wenig Bienenvölker in der Nähe gewesen, die ihre Obst- und Beerenanlage bestäuben würden. Frei sagte zu. Seitdem fährt er u. a. 16 von seinen 70 Bienenvölkern jedes Frühjahr in die 10 kmentfernte Birnenanlage von Obstbauer Erich Meier nach Mammern TG.
«Ich bin auf Bienen angewiesen»
Erich Meier hat nur gute Erfahrungen mit dem Service von Hans Frei gemacht. «Ich habe damals festgestellt, dass die Bienen in meiner Birnenanlage weniger geworden sind. Wir hatten zwei Imker in Mammern, aber die Völker standen nicht ideal. Die Bestäubung für unsere 20 Hektaren fand deshalb nur im mageren Ausmass statt», resümiert der Obstbauer. Für die Bestäubung sind Honigbienen aber essenziell, «sie sind die besten Bestäuber», ist sich Meier sicher. Zuvor habe er eine Zeit lang mit Hummeln gearbeitet. Diese werden teuer aus dem Ausland importiert und verfügen nicht einmal im Geringsten über die gleiche Masse wie die 20'000 Bienen pro Volk, die in Meiers Anlage ihre Arbeit verrichten.
«Lieber unterstütze ich die regionalen Imker und ihre Bienen.»
Erich Meier, Obstbauer in Mammern TG, über den Importvon Hummeln.
Ob er deshalb mit Einbussen zu kämpfen hatte? Dies könne der Obstbauer nicht genau sagen, solange ein guter Knospenansatz vorhanden ist. Wenn allerdings der Ansatz kombiniert mit Schlechtwetter weniger gut ausfällt, dann sei Meier auf die grosse Anzahl der Bienen angewiesen. «Meine Birnen fallen auf jeden Fall schöner und runder aus durch die Bestäubung der Bienen. Denn durch eine bessere Bestäubung werden auch mehr Kerne gebildet», konstatiert er.
Trotz Frost gute Ernte
Erich Meier wohnt in einem Mekka für den Obstbau: «Wir haben eines der besten Klimata der gesamten Schweiz», schwärmt er. Durch die abschüssige, nordhaltige Lage von Mammern besteht im Frühjahr weniger Frostgefahr als in anderen Regionen. Im Sommer speichert der Untersee die Hitze. Es hat also beste klimatische Voraussetzungen für den Anbau von Obst, so Meier. Der Obstbauer baut mehrere Sorten Birnen an, zu 80 % Kaiser Alexander und jeweils zu 10 % Williams und Conférence. «Weil sich unsere Hauptsorte nicht selbst befruchten kann, sind wir auf die Bestäubung von Bienen angewiesen. Ich könnte mir auch wieder Hummeln kaufen, aber das Risiko ist mir zu hoch.» Meier geht dabei auf das Jahr 2021 ein, als Frost, Hagel und starke Niederschläge nicht nur im Obstbau viel Schaden verursachten. «Wir sind noch mit einem blauen Auge davon gekommen, auch wegen der guten Lage hier. Wenn wir aber nicht die Bienen gehabt hätten, wüssten wir nicht, wie gross der Schaden dann noch gewesen wäre», gibt er zu. Meier betreibt eine Intensivkultur und kann sich einen Schaden nicht leisten. Auch wenn nur 10 bis 20 Prozent weniger Blüten bestäubt würden, wäre der Verlust extrem gross, sagt er.
Im Jahr 2017 musste er allerdings trotz der Bienen einen Totalschaden verzeichnen. Durch den damalig starken Frühjahrsfrost sind die Bienen nicht ausgeflogen. Totalausfall war die Folge. «Hans Frei war aber sehr zuvorkommend. Trotz der vielen Arbeit, die er mit den Bienen immer hat, wollte er sich nicht bezahlen lassen. ‹Behalte dein Geld. Das ist das Wetter›, sagte er. ‹Wir sehen uns nächstes Jahr wieder›.» Dies sei ein weiterer Grund, warum Meier die Zusammenarbeit sehr schätzt und lieber die regionalen Imker und damit auch den Aufbau der Bienenvölker in der Umgebung unterstützt.
Betriebsspiegel Birnenanlage
Name: Erich Meier
Ort: Mammern TG
LN: 20 ha konventionell betriebene Birnenanlage mit 16 Bienenvölker während der Blüte
Weiteres: Gasthof und Hotel «Zum Schiff» (seit dem 18. Jahrhundert bewirtet von und im Besitzder Familie Meier)
Vertrieb: Lebensmittel aus eigener Produktion, Jagd und Fischerei im Gasthof
Bei Anruf gibt es Bienen
[IMG 2] Ende April bis Anfang Mai, sobald die ersten 10 bis 12 Prozent der Birnenblüten geöffnet sind, wird Erich Meier den Imker wieder anrufen. «Wenn schon ein kleiner Teil der Blüten geöffnet ist, fliegen die Bienen sofort darauf und spezialisieren sich auf die Birnenblüte», begründet der Obstbauer. In Mammern wird sehr wenig Raps und Sonnenblumen angebaut. Dies ist ein Vorteil, den wir haben, sagt er weiter.
[IMG 3] Hans Frei schaut mehrmals die Woche bei seinen Bienen vorbei. Ab Anfang/Mitte Mai erweitert sich die Brut von 10'000 auf 30'000 bis 50'000 Bienen pro Stock. Frei inspiziert währenddessen die Entwicklung, platziert weitere Mittelwände für den Aufbau der Brut und beobachtet zudem das Schwarmverhalten. Denn erreicht das Volk eine bestimmte Grösse, wird sich ein Teil davon ablösen und einen anderen Ort zum Niederlassen aufsuchen.
Bevor es dazu kommt, muss Frei das ausschwärmende Volk einsammeln. Das passiere vor allem in der Beerenanlage in Engwilen TG, wo die Blüte länger andauert. Hier ist Frei dann viermal die Woche je drei Stunden am Gange. Je nach Aufwand werden nur 50 bis 100 Franken in Rechnung gestellt.
Nach etwa zwei Wochen, sobald die Blütenöffnung beendet ist und Meier die Hagelnetze schliessen möchte, holt Hans Frei seine Magazinbeuten wieder ab. Dies geschieht hauptsächlich nachts oder in den frühen Morgenstunden. «Damit gehe ich sicher, dass alle Bienen im Magazin sind», sagt Frei. Eine sehr unkomplizierte Sache für den Obstproduzenten. Auch für den Imker: Er habe bei Meier noch nie Bienen verloren wegen der Insektizide, sagt er. «Wir achten sehr darauf, dass wir während der Blüte keine spritzen. Wenn Fungizide appliziert werden müssen, dann nur ausserhalb des Bienenfluges – abends ab 20 Uhr bis morgens um 9 Uhr», erklärt der Obstbauer.
Auf der sicheren Seite sein
Erich Meier ist mehr als zufrieden. «Mit den Bienenvölkern in der eigenen Anlage bin ich auf der sicheren Seite.» Denn selbst, wenn es Völker in der Umgebung gäbe, wüsste er nicht, ob diese auch, vor allem bei Schlechtwetter, zwei bis drei Kilometer in seine Anlage fliegen würden. «Bienen kann niemand ersetzen. Es ist das einzige Insekt, das nach der Überwinterung eine akzeptable Masse für die Bestäubung hervorbringt», ist sich Hans Frei sicher. Zudem können nur die Bienen eine Blütebeständigkeit hervorbringen. «Wildbienen z. B. tragen noch andere Pollen auf sich, dadurch kommt es bei der Zielkultur nicht immer zur Befruchtung.»
Was rät er den Landwirten? «Man sollte sich zuerst orientieren, wer überhaupt Bienen in der Umgebung hat und wie viele davon», empfiehlt er. Auf GIS-Karten ist ersichtlich, wo in der Umgebung Völker gehalten werden (siehe Kasten). Bienen fliegen nur 3 km weit. Je näher diese sich an einer Anlage befinden, desto grösser sei der Erfolg. Er selbst könne keine weiteren Landwirte betreuen. Ist einBedarf vorhanden, rät er, den Imker oder Imkerverein in der näheren Umgebung zu kontaktieren.
In Zahlen
170'000 Bienenvölker existieren schätzungsweise in der Schweiz; bezogen auf die landwirtschaftliche Nutzfläche sind das deutlich mehr als in den umliegenden Ländern.Bis zu 4 Völker pro Hektare sichern eine optimale Bestäubung von Obst-kulturen.
1 Bienenvolk besteht in der Vegetationszeit aus 20 bis 40'000 Bienen.
Rund 18'000 Imker halten in der Schweiz Bienen, der grösste Teil davon kommt nicht aus der Landwirtschaft.
Wie findet man Bienenvölker?
Hat ein Landwirt oder eine Landwirtin Bedenken bzgl. der Bestäubungssicherheit in einer Anlage, empfiehlt Mathias Götti Limacher von Bienen Schweiz den örtlichen Imkerverein anzufragen. Es gebe auch die Möglichkeit auf dem Bestäubungsmarktplatz von Bienen Schweiz ein Inserat aufzugeben, wenn man Bienenvölker sucht. «Es wird noch nicht viel genutzt», gibt Götti Limacher zu. Dies könne aber daran liegen, dass diese Möglichkeit noch zu wenig unter den Landwirten bekannt ist. «Üblicherweise kennt man sich lokal», sagt er.
Des Weiteren bietet jeder Kanton ein geografisches Informationssystem (GIS) an. Darin ist ersichtlich, wo Bienenstände existieren und je nach Kanton auch, wem sie gehören, informiert Kaspar Stiefel vom Api-Center. Ist nur eine Standnummer vorhanden, könne das Veterinäramt Auskunft geben, wem der Bienenstand gehört, um mit dem entsprechenden Imker Kontakt aufzunehmen. Steht im Umkreis von 500 Metern ein Bienenhaus, sei die Bestäubung in der Regel nicht gefährdet, so Stiefel.
Verzeichnis Imkervereine Schweiz: hier
Bestäubungsmarktplatz: hier
GIS-Karten Beispiele
- Thurgau
- Zürich
- Bern