Bei Marcel Itin beziehen Ende März 500 vierfleckige Kugelmarienkäfer (Exochomus quadripustulatus) ihr neues Quartier. In seiner 110 a grossen Kirschenanlage hat der Bio-Landwirt aus Ormalingen BL fünf Grosserntekisten platziert und mit frühblühenden, einheimischen Blumen bepflanzt. «Für die Käfer ist das ein Hotel mit Vollpension», erklärt der pensionierte Obstbauberater Franco Weibel die Idee. Auf dieses Quartier sind die schwarz-roten Käfer angewiesen, wenn sie aus ihren Transportboxen geschüttelt werden – denn noch ist die Anlage kahl.
Bis zum Totalausfall
Es sind allerdings bereits Insekten aktiv, nämlich Blattläuse. Etwa ab März schlüpft die Schwarze Kirschenblattlaus aus ihren Wintereiern. Der Schädling vermehrt sich massenhaft ungeschlechtlich und lebendgebärend. Die Folge sind eingerollte Blätter, es kann aber auch durch mit Honigtau verschmutzte Früchte zum Totalausfall oder zum Absterben von Jungbäumen kommen. Das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) bezeichnet die Schwarze Kirschenblattlaus als «grösstes Pflanzenschutzproblem in Tafelkirschenanlagen unter Witterungsschutz».
Im Steinobst seien die Läuse zwei bis drei Wochen früher aktiv als im Kernobst, sagt Franco Weibel. Das Problem: Wenn dieser Schädling sein Unwesen zu treiben beginnt, ist es für Nützlinge wie Ohrwürmer oder die bekannten, roten Marienkäfer mit den schwarzen Punkten noch zu früh. «Kirschbäume stammen ursprünglich aus Vorderasien und die Blattläuse wurden wohl von den Römern mit nach Westeuropa transportiert», vermutet Helena Römer, die verantwortliche Versuchsleiterin seitens des Ebenrains. So erklärt es sich, dass die Schwarze Kirschenblattlaus hierzulande kaum natürlichen Feinde hat, die sie bereits im Anfangsstadium eindämmen könnten. Das wäre aber angesichts ihrer früh im Jahr einsetzenden, rasanten Vermehrung zentral.
Lausdruck tief halten
«In einer Anlage in Dietgen sind die Knospen schon schwarz vor Läusen», schildert Franco Weibel. Itins Pflanzen scheinen an diesem Märztag bisher verschont. Später im Jahr, kurz vor und bei Bedarf auch nach der Blüte, setzt der Bio-Landwirt jeweils Neem als Insektizid ein. «Im Gegensatz zu konventionellen Wirkstoffen tötet es die Läuse nicht direkt ab, sondern verringert ihre Fruchtbarkeit», so Weibel. Pro Laus gibt es also weniger Nachkommen. Und die sollten den bis dahin wachgewordenen Nützlingen zum Opfer fallen.
«Mit Neem versuche ich, den Lausdruck tief zu halten, bis meine Kavallerie anrückt», erklärt Marcel Itin und meint damit die Ohrwürmer. Für sie hat der Obstbauer Stücke ausgedienter Feuerwehrschläuche mit Holzwolle gefüllt und zwischen die Bäume gehängt – «Tontöpfe gehen schneller kaputt», bemerkt er. Wie die berittenen Einheiten eines Heeres kommen Ohrwürmer in grosser Zahl und machen den Läusen schnell den Garaus, so seine Erfahrung. «Sie fressen auch mal eine Kirschessigfliege, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet.» Zugunsten von Nützlingen verzichtet er darauf, sämtliches Unkraut aus seiner Anlage zu putzen. «Ich hacke die Baumstreifen, um die Konkurrenz im Frühling tief zu halten», stellt Itin klar. Das bedeutet, dass später, den Sommer hindurch und im Herbst, verschiedene Pflanzen unter den Bäumen aufkommen können. Wenn dann z. B. die gemeine Melde voller Läuse hängt – die für die Kirschen ungefährlich sind – beschert das auch den Obstbau-Nützlingen einen willkommenen Zusatz-Lebensraum mit Nahrung und zur Vermehrung.
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In einem Vorversuch mit Blühkisten im letzten Jahr beobachteten die Fachleute vom Ebenrain und Marcel Itin nach der Freisetzung noch zahlreiche Kugelmarienkäfer in der Anlage und der Landwirt verzichtete auf eine zweite Neem-Behandlung. Damit sparte er sich den Aufwand und das teure Bio-Spritzmittel, ohne es im Nachgang zu bereuen.
«Feuerwehrübung» 2024
Im Abendlicht des kühlen Frühlingstages zeigen sich die freigelassenen Käfer wenig bewegungsfreudig. Das ist auch gut so, schliesslich sollen sie die Anlage nicht gleich wieder verlassen – daher die Wahl des Zeitpunkts der Freilassung. Auch Schwebfliegen könnten von den frühlingshaften Blühkisten angelockt werden, ergänzen Helena Römer und Franco Weibel. Diese sind wie ein Hochbeet aufgebaut und enthalten eine Auswahl aus 16 heimischen Arten, die Pollen und Nektar als Nahrung sowie Deckung bieten.
2024 hat Weibel das Projekt mit den Kugelmarienkäfern gestartet, «in einer Feuerwehrübung», wie er sagt. Es habe lange gedauert, eine Bewilligung des BLV für die Freisetzung des Nützlings zu bekommen – obwohl es sich um eine einheimische Art handelt. Die freigelassenen Käfer stammen aus einer Zucht in Italien, da es hierzulande keine solche gibt. Um Import und Bewilligung kümmerte sich die Agroline Bioprotect in Aesch BL. Kugelmarienkäfer leben in der Schweiz eher an Waldrändern als in Obstanlagen, da sie im Gehölz früher austreibende und blühende Pflanzen wie z. B. Schwarzdorn finden. Zwischen kahle Kirschbäume zieht sie nichts. Blühkisten oder -reservoirs (siehe Kasten) könnten das ändern.
Anfang April 2025 sichtete Marcel Itin vereinzelt sowohl Kugelmarienkäfer als auch Läuse. Viel Erfahrung gibt es nach dem ersten Projektjahr nicht – zumal die Freisetzung damals erst später als geplant durchgeführt werden konnte. Für den Baselbieter passt die Arbeit mit Exochomus aber zu seiner Strategie, wann immer möglich auf natürliche Gegenspieler zu vertrauen. Die nächsten Jahre werden unter anderem zeigen, ob die schwarz-roten Nützlinge in seiner Anlage sogar überwintern, und keine weiteren Freilassungen mehr nötig werden.
«Für die Käfer sind die bepflanzten Kisten wie ein Hotel mit Vollpension.»
Normalerweise gebe es für die Nützlinge so früh nichts zu holen, sagt Franco Weibel.
Blühreservoirs in ungenutzten Ecken
Der Ebenrain spannt für das Kugelmarienkäfer-Projekt mit dem FiBL zusammen, das zu auch zu sogenannten Blühreservoirs in Steinobstanlagen forscht. «Es sind insgesamt neun Betriebe in den Kantonen Bern, Aargau, Baselland und Solothurn beteiligt», gibt FiBL-Forscherin Lara Reinbacher Auskunft.
Diverses untersucht
Die Beteiligten sind in Dreier-Gruppen zusammengefasst, wobei jeweils ein Betrieb Blühboxen, einer Blühreservoirs und einer keine zusätzlichen Blühstrukturen hat. «Die Betriebe mit Blühboxen betreut hauptsächlich der Ebenrain, wir machen überall Basiserhebungen.» Dazu gehören Untersuchungen zum Befall durch die Schwarze Kirschenblattlaus, zu Anzahl und Zusammensetzung der natürlichen Gegenspieler, aber auch zu Bestäuberaktivität und -vielfalt.
Im Gegensatz zu den Blühboxen des Ebenrains sind die Blühreservoirs des FiBL als streifenförmige Mischungen aus 20 Kräutern und zwei Gräserarten innerhalb der Insektenschutznetze am Rand der Anlagen angelegt – also in einem ansonsten ungenutzten Bereich. «Die Reservoirs sollen quasi als Speicher für Nützlinge dienen», erklärt Lara Reinbacher. Die 2–3 m breiten Streifen verlaufen auf der ganzen Länge einer Anlage und sorgen für ein möglichst durchgehendes Blühangebot mit für Nützlinge attraktiven, einheimischen Pflanzen. Für die Reservoirs ist eine extensive Pflege mit einem Schnitt pro Jahr vorgesehen.
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Bisher wenig Daten
«Wir wollen damit bereits vorhandene Nützlinge fördern», fährt Lara Reinbacher fort. «Aber weil durch die Insektenschutznetze bei den Kirschen der Einflug aus der Umgebung erschwert ist, machen wir eine zusätzliche Freilassung.» So kommen auch hier die in Italien gezüchtete Kugelmarienkäfer zum Einsatz. Ergebnisse aus dem ersten Jahr des Projekts gibt es auch vonseiten FiBL nicht. «Die Blühreservoirs wurden angelegt. Weil diese aber erst im Wachsen begriffen waren, fand die Datenerhebung nur in geringerem Umfang statt.»
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