Zuerst waren die Bedingungen im Frühling wahnsinnig nass, was die Feldarbeiten stark erschwerte und verzögerte. Pflanzenschutzmittel konnten erst gespritzt werden, als Krankheiten in ihrer Entwicklung bereits fortgeschritten waren. Nun hat das Wetter eine 180-Grad-Wende vollzogen. Seit mehreren Wochen ist in der Deutschschweiz kein Niederschlag gefallen und wenn, dann so minimal, dass der Boden nur oberflächlich befeuchtet wurde. Draussen auf dem Feld macht man sich derweil Sorgen, wie die Gerstenernte ausfallen wird.
In den letzten Tagen ist der Farbumschlag bei der Gerste relativ zügig vorangegangen. Erst grün, präsentieren sich die Bestände nun fast dürr, sagt Martin Bertschi, Pflanzenbauberater am Strickhof, Lindau ZH. «Dies sah vor ein paar Tagen noch ganz anders aus.» Aber das sei nicht untypisch für diese Kultur, sagt Bertschi.
Nun ist die Ährchenausbildung längst abgeschlossen, und auch die Kornfüllung ist bereits weit fortgeschritten. Muss man mit einer Notreife rechnen?
Unterschiede je nach Region
«Eine witterungsbedingt beschleunigte, natürliche Abreife ist nicht das Gleiche wie die Notreife. Nur wenn der Abreifeprozess die Kornfüllung früh beendet, wirkt es sich stark negativ auf den Ertrag und die Gehalte aus», erklärt Martin Bertschi. Hier gebe es aber je nach Bodentyp, Sorte, Intensität und lokaler Witterung grosse Unterschiede. Wie sich auch bei den von uns befragten Landwirten herausstellt.
«Sicher ist es nicht sehr vorteilhaft, dass es nun trocken ist. Die Gerste hat von Natur aus ein schwach ausgebildetes Wurzelwerk. Tief im Boden befindet sich noch viel Feuchtigkeit, aber die Gerste kommt aufgrund dessen nicht an das Wasser heran», sagt Landwirt Stefan Leu aus dem Zürcher Wyland.
Positiver Effekt auf Pilzkrankheiten
Einen positiven Effekt würde die Trockenheit nun auf die Pilzkrankheiten haben, unter welchen die Gerste wegen des feuchten Wetters gelitten hat. Fungizidbehandlungen konnten wegen schlechter Befahrbarkeit nicht optimal platziert werden. Dennoch, die guten Bedingungen für Pilzkrankheiten im Frühjahr sowie die Trockenheit tragen dazu bei, dass die Bestände nun schneller abreifen, beobachtet Stefan Leu. Dies werde sich, wie er sagt, negativ auf das Hektolitergewicht auswirken. Er rechnet nicht mit Spitzengewichten. Den Zielertrag von 100 kg/Are wird er diese Saison nicht erreichen.
Auswirkung auf HLG
Bei einem angenommenen Ertrag von 80 dt/ha macht der Preisabzug von Fr. 0.15–0.60.–/dt bei tiefen HLG unter 65 kg/Are maximal Fr. 48.–/ha aus. Fällt das HLG allerdings unter 61 kg/Are, wird die Sammelstelle entweder stärker reinigen, um Schmachtkörner zu entfernen, oder stärkere Abzüge machen.
Wird die Gerste notreif, wirkt sich dies allerdings nicht nur auf den Preis, sondern vor allem auch auf die abgelieferte Menge aus.
Regen könnte noch helfen
In der Regel erfolgt die Ernte Anfang bis Mitte Juli bei Stefan Leu. Ob diese nun viel früher stattfinde, sei abhängig vom Wetter, sagt er. «Bei spätreifen Beständen könnte der Regen noch durchaus helfen, bei den eher früher reifenden weniger. Aber diese werden auch weniger Schaden haben, da sie mit der Entwicklung früher beginnen.» Leu schätzt, dass er in der ersten Juliwoche mit der Gerstenernte beginnen wird. «Dann sind wir auch nicht so weit weg vom normalen Erntezeitpunkt.»
Das bestätigt auch Martin Bertschi: Extensogerste wird je nach Region und Witterung Ende Juni bis Anfang Juli geerntet. Die Ernte der intensiven Gerste erfolgt Anfang bis Mitte Juli. «Wir laufen also nicht auf eine historisch frühe Ernte hinaus in diesem Jahr», so der Pflanzenbauberater.
Trockenheit für Gerste weniger ein Problem
Christoph Schwarz aus dem aargauischen Villigen bleibt optimistisch. Er baut Extensogerste an. «Die Gerste hat die Trockenheit noch am besten ertragen und wird jetzt sowieso reif», sagt er. In seiner Region hat es ebenso seit vier Wochen nicht mehr geregnet. «Die erste Gerste wird nächste Woche reif werden. Die Verzögerung durch den nassen und kalten Frühling hat die Trockenheit wieder aufgeholt. Die Bestände sehen recht gut aus. Die Trockenheit hat aber sicher einen Einfluss auf das Hektolitergewicht und die Erträge.»
Auch Urs Bürgi, Landwirt aus Limpach BE, relativiert: «Für Gerste wird die Trockenheit weniger ein Problem sein. Die Körner sind bereits gefüllt und voll eingelagert. Die Nährstoffe müssen nur noch reif werden. Aber ja, für das Hektolitergewicht wäre etwas mehr Regen vorteilhaft gewesen.»
Sorgen um den Weizen
Christoph Schwarz und Urs Bürgi machen sich eher Sorgen um die Weizenbestände, welche erst in der Blüte stehen und dringend Wasser benötigen. Die Abreife dauert beim Weizen noch etwas und die Trockenheit könne deswegen mehr Schaden anfügen.
«Weizen könnte tatsächlich notreif werden.»
Martin Bertschi, Strickhof, Lindau ZH, über den Einfluss der anhaltenden Trockenheit.
Dies bestätigt auch der Pflanzenbauberater Martin Bertschi: «Grundsätzlich wirkt sich die Trockenheit bei Weizen stärker aus als bei der relativ trockenheitstoleranten Gerste. Da Weizen natürlicherweise später reif wird, wäre dieser von einer weiter anhaltenden Trockenheit auch stärker betroffen und würde womöglich tatsächlich notreif werden.» Notreife bei Weizen hätte die gleichen Auswirkungen wie bei Gerste, jedoch leidet mit der geringen Kornfüllung auch die Proteinausbildung und damit womöglich die Backqualität. Je nach Region und Bodentyp leidet der gut verwurzelte Weizen bisher aber noch nicht extrem.