Biodiversität und Landwirtschaft. Zwei Schlagwörter, die in der politischen und gesellschaftlichen Diskussion häufiger als Feinde statt Freunde in Verbindung gebracht werden. «Zu Unrecht!», findet Bernard Belk, Vizedirektor des Bundesamts für Landwirtschaft (BLW). Er sprach letzten Montag an einer Online-Diskussion des Lifefair-Forums über den Verlust an Biodiversität. Belk repräsentierte die Landwirtschaft in einer Runde mit Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Naturschutzorganisationen.
Der Mensch zerstört
Bernard Belk verweist auf verschiedene Studien der Agroscope und des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL). Diese zeigten, dass Biodiversität und Landwirtschaft Hand in Hand gehen könne, ja sogar müsse. Die Landwirte in der Schweiz seien bereit, die Herausforderung der Biodiversitätserhaltung anzugehen. «Vor 25 Jahren konnte man in der Landwirtschaftsschule nicht über Biodiversität sprechen – sonst wurde man beim Bier nach der Schule von den anderen ausgeschlossen. Das ist heute anders», sagt BLW-Vizedirektor Belk. Von Generation zu Generation finde ein Umdenken statt. Das brauche einfach Zeit.
Zeit, die man nicht mehr habe, sagt Bruno Oberle, Generaldirektor der International Union of Conservation of Nature (IUCN) und ehemaliger Direktor des Bundesamts für Umwelt (Bafu).
«Wir müssen den Verlust der biologischen Vielfalt bis ins Jahr 2030 stoppen. Ab dann müssen wir die Biodiversität wieder aufbauen»
Bruno Oberle, IUCN
Seine Vision: 2050 soll die biologische Vielfalt wieder auf dem Niveau wie im Jahr 2020 sein. Tönt nicht sonderlich ambitiös, ist es aber. Nach Angaben des WEF hat die Menschheit bereits den Verlust von mehr als 80 Prozent aller wild lebenden Säugetiere und 50 Prozent der Pflanzen zu verantworten. In der Runde wird von irreparablen Schäden an der Natur mit monetären Folgen in Billionen-Höhe gesprochen.
Viele Wege führen nach Rom
Über den Weg, wie Biodiversität erhalten bleiben soll, sind sich die Podiums-Teilnehmer uneinig. «Man muss von Ort zu Ort unterscheiden, was schützenswerte Natur ist», sagt Regina Ammann, Leiterin der Abteilung Business Sustainability bei Syngenta. Demnach fokussiere sich ihr Unternehmen auf die Zusammenarbeit mit lokalen Landwirten und Experten, die das Ökosystem am besten kennen. Universelle Biodiversitäts-Ziele festzulegen sei schwierig.
Dem widerspricht die Freiburger SP-Nationalrätin Ursula Schneider Schüttel. Die Politik habe sich zu fragen, ob man Monokulturen weiter fördern will. «Wir Schweizer sind nicht unschuldig am Biodiversitätsverlust wegen Monokulturen im Ausland. Wir importieren Mais und Soja für Tierfutter, um Fleisch zu produzieren, das wir in zu grossem Masse konsumieren», enerviert sie sich. Sie plädiert für staatliche Anreizsysteme, die die Fleischproduktion und den Konsum drücken sollen.
Wirtschaft stärker regulieren
Wo sich die Podiumsteilnehmer des Lifefair-Forums einig sind: So wie bis anhin kann es nicht weitergehen. Das politische System müsse in Sachen Biodiversitäts-Schutz überdenkt werden. Nur wie? «Die Schweiz delegiert die Ökosystem- und Biodiversitätspolitik zu einem sehr hohen Mass an die Landwirtschaft», sagt Markus Fischer, Direktor des Instituts für Pflanzenwissenschaften der Universität Bern. «Das müsste nicht sein.» Die Landwirtschaft bekomme oft ungerechtfertigt «eine aufs Dach». Für den Biodiversitätsverlust seien alle verantwortlich, nicht nur die Bauern.
Fischer bemängelt die schwache umweltpolitische Regulierung der Wirtschafts- und Finanzsektoren: «Die Schweiz ist eine riesige Rohstoff-Drehscheibe. 50 Prozent unserer Biodiversitätsauswirkung fällt im Ausland an.» Da müsse die Politik endlich den Hebel ansetzen.