Vor rund einem Monat wurde am 1. September die Bodenverbesserungsgenossenschaft Sins-Reussegg aufgelöst. Über 17 Jahre nach deren Gründung Ende Juni 2004. Eine Ausführungskommission unter Leitung von Präsident Hansruedi Brun begleitete diese «Moderne Melioration», ein Pionierprojekt mit Vorzeigecharakter. Früher seien Meliorationen auf Versorgungssicherheit und landwirtschaftliche Produktion ausgelegt gewesen. Im Laufe der Zeit kamen jedoch Erhaltung und Förderung von Naturwerten als gleichwertige Elemente dazu. So gehe es heute nicht mehr nur um «Bodenverbesserung» oder «Güterregulierung», erklärt Brun.
Auenschutzpark an Reuss
Vielmehr sei die Realisierung des im kantonalen Richtplan festgelegten Auenschutzparkes im Reussegger Schachen der Auslöser und das Herzstück der landschaftlichen Aufwertungsmassnahmen gewesen, heisst es im Schlussbericht.
Allein dafür galt es, 20 ha bereitzustellen. Ziele waren ferner ein besserer Hochwasserschutz und ökologische Aufwertungen. Zudem werden innerhalb des neuen Auenparks etappiert zwei Grundwasserpumpwerke der Wasserversorgungsgenossenschaft stillgelegt beziehungsweise verlegt, weil sie die dynamische Entwicklung des Auenschutzgebietes behindern würden.
Für die Landwirte ging es um Arrondierung der Betriebe mit Zusammenlegung und Bereinigung der Pachtflächen, Sanierungen von Hofzufahrten und Ergänzungen des Flurwegnetzes.
Betroffen waren 41 Grundeigentümer in einem Perimeter von 230 ha Land und 10 ha Wald. Vor der Melioration gab es 129 Parzellen, danach noch 81. Es wurden fast 7 km neue befestigte Wege erstellt, 3,5 km wurden rückgebaut und 4,2 km bestehende Wege verstärkt.
«Mit freiwilligem Landabtausch wäre das Ziel nicht erreichbar gewesen.»
Bemerkung im Schlussbericht, warum ein Bauer seine Liegenschaft verkaufte.
Realersatz war möglich
Das ist viel Verlust von gutem Kulturland für eine Auenlandschaft und für ökologische Strukturen, wie konnten so die Landeigentümer für dieses Meliorations-projekt gewonnen werden?
Es sei ein glücklicher Zufall gewesen, dass der Kanton 17 ha Land kaufen konnte und dem betroffenen Bauern von Pro Natura Aargau ein Ersatzbetrieb in Birmenstorf vermittelt werden konnte, um das nötige Land für die Auen und die Melioration bereitzustellen. «Mit anderen Mitteln wie freihändiger Landabtausch hätte dies wohl nicht erreicht werden können», heisst es im Schlussbericht. Zudem gilt der grösste Teil des Auengebietes weiterhin als landwirtschaftliche Nutzfläche, ist allerdings extensiv zu bewirtschaften. Gekostet hat das Projekt rund 7,55 Millionen Franken. Das sei aber gut investiertes Geld in bessere landwirtschaftliche Strukturen und in die Renaturierung der Umwelt, meinte der Sinser Gemeindeammann Josef Huwiler. Die Kosten wurden weitgehend durch die Öffentlichkeit (Bund, Kanton, Gemeinde) getragen, die Genossenschafter hatten lediglich 20 Prozent der beitragsberechtigen Kosten zu übernehmen. Der gesamte Anteil der Grundeigentümer betrug im Schnitt 22 Franken pro Are.
«Die besseren Hofzufahrten waren wohl für die Bauern die Motivation.»
Daniel Heeb zu den Vorteilen für das Mitmachen bei der Melioration.
Weitere Meliorationen initiiert
Gemäss Alfred Frey von Landwirtschaft Aargau sind analoge Projekte wie die Moderne Melioration Reussegg auch in anderen Regionen vorgesehen, wo es darum geht, Landoptimierungen und Renaturierungen zu ermöglichen. So in Würenlos bei der Limmat oder in Othmarsingen bei der Bünz. Ganz aktuell ist ein Projekt im Suhrental in den Gemeinden Moosleerau, Staffelbach und Attelwil/Reitnau. Dort wurden bereits drei Genossenschaften gegründet, davon kürzlich in Reitnau, und die Ausführungskommissionen hätten ihre Arbeit aufgenommen. Auslöser war ein geplantes Hochwasser-Rückhaltebecken in Staffelbach, welches viel Land benötigt. Betroffen seien mehrere Hundert Hektaren, teils ganze Gemeindegebiete. Zum Perimeter gehören auch Seitenbäche und es gehe auch um Bachöffnungen, neben Hochwasserschutz und besserer Parzellierung, erklärt Frey. Auch beim Suhrentaler Projekt sei ein verkaufter und ausgesiedelter Betrieb wohl der Türöffner. So dass die Bauernbetriebe im Perimeter nicht Land verlieren. Ralf Bucher vom Bauernverband Aargau ergänzt, dass wohl umfangreiche Hochwasserschutzprojekte nur noch mit Gesamtmeliorationen möglich seien, wo auch Land umverteilt werden könne.
Meinungen zur Modernen Melioration Sins-Reussegg
Als Landwirtschaftsdirektor lägen ihm gute Rahmenbedingungen für die produzierende Landwirtschaft am Herzen, erklärte Regierungsrat Markus Dieth im aktuellen Newsletter von vergangener Woche. Mit Strukturverbesserungen wie dieser Gesamtmelioration würden neben den Interessen der Landwirtschaft auch die des Landschafts- und Naturschutzes, des Hochwasserschutzes, der Trinkwasserversorgungssicherheit und der Raumplanung berücksichtigt.
Übertriebene Bürokratie
Gemäss Hansruedi Brun, Präsident der Bodenverbesserungsgenossenschaft, konnten die gesteckten landwirtschaftlichen Ziele voll und ganz erreicht werden: Besserer Arrondierungsgrad und bessere Parzellenstruktur, rationellere Bewirtschaftung dank geeignetem Wegnetz, Hofzufahrten sowie wirksamem Hochwasserschutz. Kritik äussert er zur Bewilligungspraxis. Die laufenden Veränderungen und Verschärfungen hätten die Kosten in die Höhe getrieben. «Die übertriebene Bürokratie steht im Widerspruch zu einem effizienten Staat.» Erstaunt war Brun auch ob den Einwänden von Naturschutzorganisationen, obwohl doch die Natur mit so viel geschaffenen neuen Werten zu den grossen Gewinnern gehörte.
Für Landwirt Jakob Sidler aus Sins ist die Melioration ein gelungenes Projekt mit vielen Gewinnern. Er ist froh, dass die Strassen des Flurwegnetzes an die Gemeinde übergingen und so die Diskussionen um den Unterhalt der Vergangenheit angehören. Eine grosse Herausforderung sei die lange Bauzeit gewesen, die über fünf Jahre die Bewirtschaftung seines Betriebes erschwerte. «Und die gewaltigen Erdbewegungen führten zu unschönen Erscheinungen in den Böden wie vernässte Stellen, wohl noch für viele Jahre.»
Auch der auf intensive Milchwirtschaft spezialisierte 25-ha-Betrieb von Daniel Heeb von der Oberreussegg war stark von der Melioration betroffen. Dieser hatte eine ungünstige Parzellierung und eine un-befestigte, steile Hofzufahrt. «Die besseren Hoferschliessungen waren wohl für viele Bauern die Hauptmotivation, bei der Melioration mitzumachen», ist Heeb überzeugt.
Fragwürdige Verlegung
Kritische Anmerkungen macht er zur schlussendlich sogar vom Bundesgericht erzwungenen Verlegung der Pumpwasser-werke, wegen des neuen Auengebiets. Offenbar sei die Wasserqualität noch nicht wie gewünscht und wie früher. Auch dass der Auenpark nun im Reussegger Schachen statt, wie ursprünglich geplant, im Sinser Schachen liegt, sei bezüglich Hochwasserschutz fachlich eher fragwürdig. Zumal der Sinser Schachen bei den diesjährigen Unwettern wieder überschwemmt wurde. Insgesamt zieht Heeb aber eine sehr positive Bilanz. Vor allem die Übernahme des Wegnetzes durch die Gemeinde entlaste die Grundeigentümer sehr. Auch sein Nachbar Stephan Sachs freut sich ob den grösseren Parzellen und der besseren Erschliessung. Der Kanton habe die Anliegen der Landwirtschaft stets gut berücksichtigt.
Für Alfred Frey von Land-wirtschaft Aargau hat das Reussegger Projekt Vorzeige-charakter bezüglich der Multifunktionalität. Solche Meliorationen seien ein wirkungsvolles Instrument, um vielschichtige Vorhaben im ländlichen Raum einer allseits akzeptierten Lösung zuführen zu können. Frey weist darauf hin, dass die Reussdämme nicht nur in Luzern, sondern auch im Aargau ins Alter kämen und es Lösungen brauche für besseren Hochwasserschutz, etwa mit solchen Meliorationen.