Kartoffelproduzenten dürfen sich freuen. Das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) hat das Mittel Dormir zur Keimhemmung der Lagerkartoffeln bewilligt. Im Ausland als 1,4-Sight bekannt, ersetzt das Produkt mit dem natürlichen Wirkstoff 1,4-Dimethylnaphthalin (DMN) ab sofort das umstrittene Chlorpropham (CIPC).
Nach EU-Verbot zieht die Schweiz nach: Ab Oktober Verbot von Chlorpropham
CIPC wurde von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) als «möglicherweise gesundheitsgefährdend» eingestuft. Daraufhin waren alle Europäischen Mitgliedsstaaten angehalten, bis zum 8. Januar 2020 allen Produkten mit diesem Wirkstoff die Zulassung zu entziehen. Nach einer Reevaluation hat nun auch die Schweiz nachgezogen und ein Verbot ab Oktober 2020 erlassen.
Gleichwertige Alternative deutlich teurer und komplizierter in der Anwendung
Der neue Keimhemmer Dormir wurde von der schottischen Herstellerfirma Dormfresh im vergangenen Jahr zur Zulassung in der Schweiz beantragt. Mit der Bewilligung steht den Lagerhaltern nun eine gute Alternative zu Chlorpropham zur Verfügung. Diesen Entscheid begrüsst Swisspatat, die Branchenorganisation der Schweizer Kartoffelwirtschaft. «Auch wenn diese Alternative deutlich teurer und komplizierter in der Anwendung ist», stellt Christian Bucher, Swisspatat-Geschäftsführer, auf Anfrage der BauernZeitung fest.
DMN kommt natürlich in Kartoffeln vor
DMN kommt natürlicherweise in sehr geringer Konzentration bereits in der Kartoffelknolle vor. Durch die Applikation von Dormir wird der Anteil von DMN in der Knolle für eine gewisse Zeit erhöht, ohne die Backfarbe zu beeinträchtigen. Durch Folgeanwendungen wird der notwendige Gehalt des Wirkstoffs immer wieder auf ein für die Keimruhe ausreichendes Niveau angehoben. Dies ist wichtig, denn «der Keimprozess führt in den Knollen zu einer Umwandlung von Stärke in Zucker, was bei der Zubereitung bei hohen Temperaturen zu Acrylamid führen kann. Keimhemmer dienen also dazu, Qualitätsverminderung und Verluste zu reduzieren und die Gesundheit der Konsumenten zu schützen», erklärt der Swisspatat-Geschäftsführer.
Spezielle Technik notwendig
Als Keimhemmer muss das Mittel Dormir «sehr gezielt und mit einer speziellen Applikationstechnik ausgebracht werden. Dies insbesondere auch, damit die Rückstandshöchstgehalte(15 mg DMN/kg Kartoffeln) gemäss Lebensmittelrecht eingehalten werden können», teilt die Branchenorganisation Swisspatat in einem Schreiben vom 9. September an die Lagerhalter, Abpack- und Verarbeitungsbetriebe von Kartoffeln mit.
Applikation nur in gut abgedichteten Lagerhallen
Um die Wirkungssicherheit von Dormir zu gewährleisten, muss die Applikation per Heissvernebelung zudem in gut abgedichteten Lagern erfolgen, um eine gleichmässige Verteilung zu gewährleisten und keine Kontamination anderer Erntegüter in derselben Lagerhalle zu riskieren, weiss Geri Busslinger. Busslinger, Berater bei der Agroline Service & Bioprotect (Fenaco-Pflanzenschutz und UFA-Samen Nützlinge), arbeitet eng zusammen mit der schottischen Herstellerfirma Dormfresh. Seit der Zulassung am 4. September hat er die Beratung rund um das Produkt sowie dessen Applikation übernommen.
Qualität hat ihren Preis
Für die Applikation von Dormir wird ein Elektrofogger benötigt, dessen Investition vor allem für kleine Lagerhallen zu hoch ist, erklärt Geri Busslinger. Qualitativ gute Vernebelungsgeräte seien erst ab 20 000 Franken erhältlich. Busslinger empfiehlt daher, den Service der Agroline in Anspruch zu nehmen.
Bei einem 100-Tonnen-Lager werden von der Agroline pro Behandlung 500 Franken veranschlagt. Je nach Lagerdauer werden zwischen zwei bis sechs Applikationen benötigt. Ist das Lager kühl, ist weniger vom Produkt notwendig. Die Hauptkosten verursacht das Produkt mit 220 Franken pro Liter.
Behandlung bereits im Feld durchführen
Sind die Lager nicht geeignet für die Applikation von Dormir – bei Unsicherheit kann das Lager von den genannten Firmen beurteilt werden –, rät Geri Busslinger einen Einsatz des Wirkstoffs Maleinsäurehydrazid (Fazor, Itcan usw.) bereits im Feld während der Vegetation. «Im besten Falle würde sich die Keimhemmung am Lager dann erübrigen, wenn sich ein Rückstandsgehalt von etwa 8 bis12 mg/kg in der Knolle eingestellt hat», so Busslinger.
Drei Keimhemmer zur Hand
Neben Dormir (nicht für Bio zugelassen) stehen die natürlichen Wirkstoffe Grüne-Minze-Öl (Biox-M) sowie Ethylen (Restrain) für die Keimhemmung im Lager zur Verfügung – beide auch für die Lagerhaltung von Bio-Kartoffeln zugelassen. Biox-M wirkt in geringen Konzentrationen auf das Längenwachstum der Keime. Mit steigenden Konzentrationen wird das keimende Gewebe zerstört. Je nach Lagertemperatur sehen die Keime nach einigen Stunden oder Tagen wie abgebrannt aus. Restrain verhindert die Keimung, zerstört die Keimkraft aber nicht.
Verfügbarkeit von Dormir wird knapp sein
Der Bedarf an Dormir wird durch das Verbot von CIPC europaweit in die Höhe schnellen. «Die Verfügbarkeit ist 2020/ 2021 deshalb kritisch zu sehen», schätzt Geri Busslinger ein. Aus diesem Grund wird Agroline ab der dritten Behandlung den Einsatz von Biox-M empfehlen.
«Die Verfügbarkeit von Dormir ist 2020 / 2021 kritisch.»
Geri Busslinger, Berater bei der Agroline, schätzt den Bedarf durch das europaweite Verbot von Chlorpropham als sehr hoch ein.
Zudem hat Dormir eine Wartefrist von 30 Tagen. «Dies ist zu lang. Also macht es Sinn am Schluss mit Biox-M mit einer Wartefrist von drei Tagen zu arbeiten. Danach ist eine gute Lüftung notwendig, damit der Minzgeschmack weggeht.» Ethylen habe sich bei den Speisekartoffeln gut bewährt. Agroline arbeite deshalb eng zusammen mit Andermatt Biocontrol (Biox-M) und Netagco (Restrain), die für deren Applikation zuständig sind. «Mit diesen drei Produkten stehen uns gute Möglichkeiten zur Keimhemmung zur Verfügung.» Laut Busslinger sei dies vor allem der Kartoffelbranche zu verdanken, die sich für die Zulassung dieser stark eingesetzt habe.
Sorten für Kaltlagerung werden geprüft
Für den Speise- und Chips-Bereich stehen laut Swisspatat mittlerweile aber auch diverse Sorten zur Verfügung, die sich für die Lagerung bei tieferen Temperaturen (Kaltlagerung) eignen. Dadurch könne bei entsprechender Lagerung über eine längere Zeit oder sogar ganz auf einen Keimhemmer verzichtet werden, heisst es. Bei den Frites-Sorten sei dies allerdings noch nicht der Fall. Swisspatat prüfe jedoch weiterhin Sorten auf Kaltlagerung bei 4°C (Chips) oder 6°C (Frites). Durch die Kaltlagerung keimen die Knollen weniger schnell aus – so ist weniger oder gar kein Keimhemmungsmittel mehr notwendig. «Da die Züchtung von neuen Kartoffelsorten aber ein langwieriger Prozess ist, wird dies einige Zeit in Anspruch nehmen und Sorten mit Kaltlagereigenschaften stehen nicht sofort zur Verfügung», so Christian Bucher.
Chlorpropham-Rückstände beseitigen
Das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) hat die Zulassung des Kartoffel-Keimhemmers Chlorpropham (CIPC) per 1. Juli nicht mehr erneuert. Das heisst, CIPC-haltige Produkte dürfen in Anwendung einer dreimonatigen Aufbrauchsfrist nur noch bis zum 30. September eingesetzt werden.
Höchstgehalt in Kartoffeln nicht überschreiten
Aufgrund seiner «möglicherweise gesundheitsgefährdenden» Wirkung darf der
Rückstandshöchstgehalt CIPC-behandelter Kartoffeln nicht überschritten werden. Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) hat deshalb folgende Rückstandshöchstgehalte festgelegt:
- Bis zum 30. Juni 2021 ist unter Berücksichtigung der Übergangsfrist der aktuelle (alte) Rückstandshöchstgehalt (RHG) für Chlorpropham von 30 mg/kg in Kartoffeln gültig.
- Ab dem 1. Juli 2021 gilt ein RHG von 10 mg/kg.
- Der zuständige Ausschuss der EU-Kommission wird am 28./29. September 2020 tagen und über die Implementierung eines temporären RHG von 0,4 mg/kg Chlorpropham in Kartoffeln abstimmen. Die Schweiz wird diesen vorübergehenden RHG bei der nächsten Revision der Anhänge der entsprechenden Verordnung (VPRH) übernehmen.
Gegen Rückstände reinigen
Lager, Anlagen und Gerätschaften, die mit CIPC behandelt wurden, müssen deshalb vor der Einlagerung neuer Kartoffeln – zwischen Mai und Juli – gründlich gereinigt werden, um eine Kontamination dieser zu verhindern (siehe Grafik). Swisspatat stellt hierfür hilfreiche Informationen und eine Checkliste für die Erzeuger und Lagerhalter zur Dokumentation ihrer Reinigungsaktivitäten und als Nachweis der Reinigung gegenüber der Abnehmer und Verarbeiter zur Verfügung.
Die Hinweise und Anweisungen in diesen Materialien basieren auf einer Reihe von Reinigungsversuchen aus verschiedenen EU-Mitgliedsstaaten.