Den Obstsortengarten in Roggwil TG könnte man schon fast als ein Stück Kulturgut bezeichnen. Hier, mitten in Mostindien, stehen um die 400 Obstbäume, darunter viele sehr alte Sorten. An jedem Baum hängt eine Holztafel, auf der der Sortenname steht: Elena Zwetschgen, Glockenapfel oder Butterbirne, um nur drei Beispiele zu nennen.

Obstgärten waren früher sehr verbreitet

Die Idee einer Obstsortensammlung entstand in den 80er-Jahren im Zusammenhang mit der Planung der Umfahrungstrasse Arbon. Im Rahmen einer Landumlegungskorporation kaufte der Kanton Thurgau die vier Hektar grosse Parzelle neben dem Autobahnzubringer und verpachtete sie dem Verein Obstsortensammlung Roggwil. «Der Boden war in einem schlechten Zustand, er musste saniert werden», berichtet Urs Müller, Obstbauberater am BBZ Arenenberg. Darunter würden die Bäume heute noch leiden, wie man auch an derer Grösse sieht. Obwohl die Bäume vor 25 Jahren gepflanzt wurden, gibt es viele, die immer noch recht klein sind – und wohl auch bleiben.

 

Der Obstsortengarten in Zahlen

396 Hochstammbäume mit dementsprechend vielen Sorten stehen im Obstgarten in Roggwil. Es sind

  • 160 Apfelbäume
  • 87 Birnbäume
  • 52 Kirschbäume
  • 31 Pflaumen- und Zwetschgenbäume und
  • 66 Nussbäume.

Die Sorten stammen aus der Schweiz oder dem angrenzenden Ausland. Unterhalten wird der Obstgarten vom Verein Obstsortensammlung Roggwil. 500 Mitglieder gehören dem Verein an. 

 

Der Verein startete 1994 mit 23 Mitgliedern. Das Ziel war ein Hochstammobstgarten, wie es ihn bis vor wenigen Jahrzehnten im Oberthurgau noch häufig gab. «Man legte sich auf einen Baumabstand von zehn mal zehn Meter fest. Jeder Baum sollte eine andere Sorte haben», sagt Müller, der das Projekt von Anfang an als Obstbauberater begleitete. Für die Sortenwahl wurde ein gesamtschweizerischer Aufruf an die Bauern gestartet, alte Sorten zu melden.

Die Vielfalt an Sorten und Aromen ist riesig

Dass dem langjährigen Obstbauexperten Urs Müller die Sortenvielfalt am Herzen liegt, merkt man auf einem Gang durch den Obstgarten ziemlich rasch. Zu jedem Baum respektive zu jeder Sorte kann Müller etwas erzählen. Dabei verrät er auch, dass die Pomologie, die Lehre der Arten und Sorten von Obst sowie deren Bestimmung und systematische Einteilung, seine grosse Leidenschaft ist. Besonders die Birnen haben es ihm angetan. «Die Vielfalt der Aromen ist faszinierend. Es gibt solche, die nach Banane, nach Quitte oder sogar nach Rosen schmecken.»

Die Amanlis Butterbirne kommt zum Beispiel ohne Pflanzenschutz aus. Von den Rotlänglern gibt es 30 verschiedene Typen. «Das sind die besten Dörrbirnen», bemerkt Müller. Er weiss auch viele Geschichten und Anekdoten zu erzählen. Die Geschichte um die Egnacher Obstbirne sei  ein «Bschiss». «Diese Sorte kam ursprünglich aus der Innerschweiz, nicht aus dem thurgauischen Egnach.» Dass es sie im Oberthurgau heute praktisch nicht mehr gibt, hat mit ihrer grossen Anfälligkeit auf Feuerbrand zu tun.

Sorten drohen zu Verschwinden

Der Verein Obstsortensammlung Roggwil zählt heute 500 Mitglieder und zwar weit über den Kanton Thurgau hinaus. Aktivmitglieder helfen bei den Pflegearbeiten in der Obstanlage sowie bei der Ernte mit. Vieles sind Passivmitglieder und Gönner. Urs Müller freut sich über dieses Interesse: «Das braucht es, um die Sortenvielfalt zu erhalten.» Ausserdem lerne man durch den vielseitigen Austausch immer wieder Neues. 

So grosse Obstgärten wie in Roggwil gibt es in der Schweiz nur noch wenige. Müller nennt einen im Wallis, zwei in Schaffhausen und einen in Flurlingen. Ansonsten seien es vor allem kleinere Sammlungen. Wichtig sind diese aber allemal. «Eine Sorte verschwindet leider sehr schnell, wenn man sie nicht erhaltet», gibt Müller zu bedenken. Der Obstsortengarten wird vom Kanton sowie vom Bundesamt für Landwirtschaft unterstützt. In Müllers Augen könnte man mehr für die Erhaltung alter Sorten machen. Er würde sich wünschen, dass der Bund für Sortenerhaltungsprojekte mehr Ressourcen zur Verfügung stellt.